Logo von Institutional Money
| Märkte

Einigkeit der EZB bröckelt wegen zunehmender Rezessionsgefahr

Die Einigkeit in der Europäischen Zentralbank über das notwendige Ausmaß geldpolitischer Maßnahmen könnte in den kommenden Monaten ins Wanken geraten. Die Währungshüter sind uneins darüber, wie stark sie angesichts der tiefen Energiekrise die Konjunktur bremsen wollen.

© Nabee / stock.adobe.com

Am Donnerstag beginnt turnusgemäß die selbstauferlegte Schweigeperiode vor der Ratssitzung am 27. Oktober 2022. Eine Vielzahl von Äußerungen, die Ratsmitglieder aus beiden Lagern in den letzten Tagen in Washington von sich gaben, deutet auf eine fundamentale Zwietracht hin, die sich zum Jahresende hin noch verstärken dürfte. Über diese Entwicklung berichtet Bloomberg.

Falken zeigen ihre Krallen
Die Falken der EZB scheinen entschlossen zu sein, die drastischste Straffung in der Geschichte der Eurozone ähnlich wie die Federal Reserve bis weit ins Jahr 2023 auszudehnen und überdies rasch mit der Schrumpfung ihrer 8,8 Billionen Euro schweren Bilanz loszulegen.

Unterdessen werden die Tauben im 25-köpfigen Rat nach den bisherigen Zinsschritten von 125 Basispunkten zunehmend nervöser. Damit könnte die Entschlossenheit der EZB nachlassen und der von Präsidentin Christine Lagarde geforderte Konsens immer schwieriger zu erreichen sein.

Zum Konflikt könnte es kommen, wenn die EZB-Zinsen ein Niveau erreicht haben, bei dem die Kreditkosten als neutral für die Wirtschaft angesehen werden, also möglicherweise schon im Dezember.

Wendepunkt
“Wir werden wahrscheinlich nicht aufhören, die Zinssätze zu erhöhen, aber wir werden in einen anderen Teil der Entwicklung eintreten: einen flexibleren und möglicherweise langsameren”, sagte der Gouverneur der Bank von Frankreich, Francois Villeroy de Galhau, letzte Woche in einer Rede an der Columbia University in New York. Der Franzose, ein selbsternannter Pragmatiker, der sich weigert, seine Ansichten mit einem bestimmten Etikett zu versehen, bezeichnete das Jahr 2022 als Wendepunkt in der Debatte.

Falken wie der niederländische Gouverneur Klaas Knot und der Lette Martins Kazaks äußerten sich ähnlich, während manche Ratsmitglieder sich für eine Fortsetzung der energischen Maßnahmen aussprachen.

“Der EZB-Rat darf nicht zu schnell nachlassen”, sagte Bundesbankpräsident Joachim Nagel, während sein slowakischer Kollege Peter Kazimir argumentierte, dass “wir uns weiter durchsetzen müssen”.

Der belgische Notenbanker Pierre Wunsch sagte, es sei “vernünftig”, die Zinsen auf drei Prozent anzuheben, da selbst die leichte Rezession, die er als Basisszenario in Europa ansieht, nicht ausreichen werde, um die Inflation unter Kontrolle zu bringen.

Im Gegensatz dazu warnte ihr italienischer Kollege Ignazio Visco, dass das Jahr 2023 “sehr schwierig” werden wird. Der Portugiese Mario Centeno gab zu bedenken, dass diese geldpolitische Aggressivität in einer Zeit konjunktureller Unsicherheit teuer werden könnte.

Stringente Politik notwendig
Der schlimmste Fall wäre, wenn wir irgendwann hin und her gehen müssten”, sagte er. “Wir müssen eine Quelle der Stabilität sein. Wir können nicht den Eindruck erwecken, dass wir keinen Plan haben oder irgendwann unsere Entscheidungen rückgängig machen müssen”.

Lagarde betonte öffentlich, dass sich die Eurozone - trotz eines gegenteiligen wirtschaftlichen Konsenses - derzeit nicht in einer Rezession befinde. Ihr Vizepräsident Luis de Guindos räumte jedoch ein, dass ein solches Ergebnis auf “technischer Basis” möglich ist.

Die EZB wird auch mit der Frage konfrontiert sein, was sie mit den großzügigen Konditionen von mehr als zwei Billionen Euro an langfristigen Krediten an den Bankensektor machen soll. Einige Ratsmitglieder halten es für machbar, die Bedingungen rückwirkend zu ändern.

Quantitative Tightening
Eine weitere Frage ist, was mit 3,3 Billionen Euro an Anleihen geschehen soll, die die EZB einst aufgekauft hat, um die schlummernde Inflation anzukurbeln. Die Ideen für den Prozess, der als quantitative Straffung bekannt ist, reichen von Wunschs “so bald wie möglich” über Nagels Präferenz “zeitnah” bis hin zum finnischen Gouverneur Olli Rehn, dem “in der ersten Hälfte des nächsten Jahres” vorschwebt.

Da diese Debatte erst anfängt, raten die Ratsmitglieder zur Vorsicht. Die Bilanzverkürzung werde im Hintergrund laufen und wahrscheinlich langsam beginnen, um die Aufnahmefähigkeit der Märkte zu testen. Knot erinnerte an einen Vergleich der ehemaligen Fed-Vorsitzenden Janet Yellen, die einmal bemerkte, die Straffung müsse so allmählich ablaufen wie es sei, Farbe beim Trocknen zuzusehen.

Bezüglich der nächsten Ratssitzungen gehörten der litauische Rat Gediminas Simkus, der Österreicher Robert Holzmann und der Slowene Bostjan Vasle zu denen, die Zinserhöhungen von 75 Basispunkten im Oktober und 50 bis 75 Punkten im Dezember forderten.

EZB-Chefvolkswirt Philip Lane äußerte sich zurückhaltender. “Es ist klar, dass wir uns von einer Situation wegbewegt haben, in der die maximale Erhöhung bei 25 liegt”, sagte er, aber “wir müssen noch an unserer optimalen Geschwindigkeit arbeiten.” (aa)

Dieses Seite teilen