Logo von Institutional Money
| Kommentar

Des Kaisers neue Kleider reloaded

Das berühmte Märchen von Hans Christian Andersen kann als Parabel für Leichtgläubigkeit gelten. Es steht für unkritische Akzeptanz von Meinungen angeblicher Autoritäten und sogenannter Experten - und für die heutige Zeit der Fake-News.

© neurobite / stock.adobe.com

Dr. Thomas Meyer, Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute, publizierte Mitte September einen überaus interessanten Beitrag mit dem Titel "Der Pleitegeier über dem Eurosystem". Darin führt er aus, dass die EZB technisch mehr oder weniger Pleite ist beziehungsweise kurz davor steht. Denn die Zinserhöhungen, die nun kommen, bewirken entsprechende Buchverluste der um die fünf Billionen Euro an Staatsanleihen, die sich im Bauch der Zentralbank befinden. In einem sehenswerten Video führt der Ökonom aus, wie bei einer vermuteten Duration von acht Jahren jedes Prozent Renditeerhöhung die EZB um die 400 Milliarden Euro kostet, sodass bald ihr gesamtes Eigenkapital aufgezehrt sein wird und sie damit auf die technische Insolvenz zu steuert. Die EZB habe sich verzockt, so Thomas Meyer im Originalton. Allerdings werde es der Notenbank bis zum Bilanzstichtag gelingen, ihr Gesicht zu wahren und diese Verluste zu verschleiern, legt sie doch selbst ihre Bilanzierungsregeln aus. „Für geldpolitische Zwecke gehaltene Wertpapiere", die eigentlich mark-to-market bewertet werden müssten, da sie ja nicht bis zur Endfälligkeit gehalten werden, werden dann wohl weiterhin mit den hohen Anschaffungskursen in den Büchern stehen.

Technischer k.o. bleibt für die breite Öffentlichkeit unsichtbar
Die EZB steht also nackt da, um bei der Analogie zum Märchen zu bleiben. Sie kann als Zentralbank zwar nicht Pleite gehen, ist es aber technisch bald. Das Interesse, dass darüber in den Mainstreammedien berichtet wird, ist endenwollend. Tatsächlich hat man bis heute kaum etwas davon gehört, gilt es doch, sich als schreibende und meist staatlich subventionierte Zunft staatstragend zu gerieren. Man wirkt also an den Roben der nackten Kaiserin, die ihre Verluste verschleiert, mit und will von jenen, die da rufen: "Aber sie hat ja gar nichts an!" nichts wissen. Denn schließlich müsse man das Vertrauen der Euroland-Bürger in die gemeinschaftliche Währung aufrechterhalten.

Muss man das?
Nein, nicht wirklich. Denn proeuropäische Haltung durch Verschweigen ernsthafter Probleme zu zeigen, verspielt auch hier Vertrauen. Man schadet der europäischen Idee nicht, wenn man Schwachstellen benennt, und der Euro in seiner Konstruktion ist nun einmal eine solche. Er ist wie ein Schlussstein, den man auf eine aus Sand gebaute Kathedrale setzt und sich wundert, wenn das Bauwerk einstürzt. Festes Mauerwerk wie ein vollkommener Währungsraum mit einer gemeinsamen Fiskalpolitik wäre nötig, und der Euro wäre dann der krönende Abschluss der Integration. Europa als Idee ist stark genug, um Rückschläge auszuhalten, Auch ein Rückbau in Richtung eines Europas der Vaterländer ist kein Versagen, sondern ein kluger Schachzug, der viel von dem aufgestauten Unmut in der Bevölkerung abzubauen hilft.

Bildung
Vieles von dem, was in der Gegenwart von der unwissenden Öffentlichkeit akzeptiert werden muss, ginge nicht durch, wenn Wirtschaftswissen im Bildungssystem endlich den Platz erhielte, der ihm zustünde. Doch daran haben Konservative wie Linke kein Interesse. Erstere, weil sonst ihr Wissensvorsprung passé wäre, letzte, weil sie mit freien Märkten nichts am Hut haben und den letzten Rest selbiger, den es heute noch gibt, eher heute als morgen abschaffen möchten. Liberale Stimmen hingegen scheinen leider zu schwach, um sich breitflächig Gehör zu verschaffen. (kb)

Dieses Seite teilen