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Von dekadenten Deutschen und vereinsamten Diktatoren

Christoph Heusgen, seines Zeichens Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz lieferte am Institutional Money Kongress eine Tour d'Horizon zur geopolitischen Situation Deutschlands ab. Eine Einordnung von zuvor vielleicht als unkalkulierbar wahrgenommenen Risiken fiel danach deutlich leichter.

Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, im Dialog mit Starmoderatorin Sissi Hajtmanek.
Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, im Dialog mit Starmoderatorin Sissi Hajtmanek.© Christoph Hemmerich / Institutional Money

Wenn der ehemalige Spitzendiplomat über Russland und sonstige geopolitische Risiken spricht, dann erfüllt er ein Klischee nicht: Das des Diplomaten. Denn anstatt Herausforderungen und Risiken möglichst konfliktfrei zu beschreiben, sucht und findet der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz in der Regel nur die klarsten Formulierungen. Etwa die: "Putin testet uns aus, er hält uns für Weicheier und dekadent und glaubt deshalb, er sitzt am längeren Ast." Der russische Präsident setzt derzeit darauf, dass der Ukraine die Soldaten und Ländern wie Deutschland die Luft ausgehe. Wenn es der Ukraine im Frühjahr nicht gelinge, eine substanzielle Fläche an Territorium zurückzugewinnen, könnte Putin nicht zuletzt in Hoffnung auf einen republikanischen Präsidentschaftssieg in den USA denken, dass allfällige Gelände-Rückgewinn "mit letzter Kraft erzielt wurden. Irgendwann hole ich mir das wieder."

Der isolierte Präsident
Auch einen Blick in das Innere des russischen Präsidenten gestatte Heusgen den Teilnehmern des Sonderformates IM Spezial, das von Starmoderatorin Sissi Hajtmanek geleitet wurde, wobei das Publikum auch an dieser Stelle von den tiefen und langjährigen Kontakten profitierte, die Heusen in seiner diplomatischen Karriere unter Angela Merkel und als deutscher Vertreter bei der UNO sammeln konnte. So berichtete Heusgen Moderatorin Hajtmanek, dass die Kanzlerin bereits am Höhepunkt der Pandemie ihrer Sorge Ausdruck verliehen hätte, wonach sich Putin zunehmen isoliere. Fast zwei Jahre sei es zu keinen Vier-Augen-Gesprächen gekommen, Putin habe sich abgekapselt – auch von seinen engsten Beratern. "Wobei, Berater eines Diktators will man ohnehin nicht wirklich sein", meinte ein launiger Heusgen.

Abschreckende ukrainische Aufrüstung war unmöglich
Hajtmanek stellte zudem eine Frage, die wahrscheinlich vielen Spitzenpolitikern schlaflose Nächte bereitet: "Hätte man den Angriff verhindern können, ist etwas im Vorfeld falsch gelaufen?" Heusgen meinte hier, dass die russische Invasion nicht durch Diplomatie sondern nur durch Abschreckung – also eine massive Aufrüstung der Ukraine gewirkt hätte. Diese sei aber innenpolitisch im Westen nicht möglich gewesen. Und sicherheitspolitisch hätte sie ein enormes Risiko dargestellt, "das ukrainische Hardliner versucht hätten, die 2014 verlorenen Territorien wieder zu gewinnen."

Was die Zukunft bringt
Doch was ist perspektivisch zu erwarten, wollte Hajtmanek wissen, wie sieht es mit den Szenarien rund um eine Frühjahrsoffensive aus. Hier wollte sich Heusgen – außer auf die Aussage, dass es eine solche geben werden – auf keine punktuelle Prognose einlassen. Eine Rückeroberung der 2014 annektierte Gebiete hält der ehemalige Spitzendiplomat für schwierig, wichtig sei es jedoch, die Ukraine mit allen gebotenen Mitteln zu unterstützen. Denn so lange Putin glaube, er würde den Krieg nicht verlieren, werde es keine Verhandlungen geben.

In einem größeren geopolitischen Wurf wurde auch die Rolle Chinas besprochen. Hier schloss Heusgen Lieferungen von direkten Waffen aus. "Dazu stehe China wirtschaftlich zu schwach da. Präsident Xi kann jetzt keine Sanktionen gebrauchen." Dennoch sei Russland immer stärker auf China angewiesen – etwa als Exportmarkt für seine Rohstoffe. "Russland ist zur Diskonttankstelle Chinas geworden", fasst Heusgen zusammen.

Eine Reise in den Süden
Olaf Scholz' diplomatische Initiativen im geografischen Süden bedachte Heusgen mit Lob. Hier müsse man neue Allianzen suchen. "Eine Reise wird da aber nicht genügen." Dies gelte insbesondere angesichts des großen diplomatischen Vorsprungs Chinas. Die Volksrepublik setze ein regelrechtes diplomatisches Heer in Bewegung. Dem sei die deutsche Außenpolitik derzeit höchst unterlegen – was sich in Zukunft sowohl politisch wie auch wirtschaftlich als enormes Risiko herausstellen könnte. Das China stark an seiner globalen Rolle arbeite habe kurzfristig aber auch positive Auswirkungen. Das China "stark auf sein internationales Image achtet" könnte es den Einsatz nuklearer Waffen durch Russland nicht ignorieren und müsste dann seine schützende Hand über Russland fortziehen. Insofern trägt China also dazu bei, dass das Schwarze Schwan-Event eines Nuklearschlages abgewendet werden sollte. (hw)

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