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Wenn Clemens Fuest an Deutschland in der Nacht denkt

Der Chef des ifo-Instituts, Clemens Fuest, lieferte am 14. Institutional Money Kongress eine fulminante Keynote ab, in der er sich unter anderem mit Sinn und Unsinn von Inflationsbekämpfung und Klimaneutralität beschäftigte. Ein Zinsziel für die Eurozone gab der Ökonom ebenfalls ab.

ifo-Chef Clemens Fuest mit einer messerscharfen Analyse zu Deutschlands Herauforderungen in Gegenwart und Zukunft
ifo-Chef Clemens Fuest mit einer messerscharfen Analyse zu Deutschlands Herauforderungen in Gegenwart und Zukunft© Nikola Haubner / Institutional Money

Vielleicht hat sich Heinrich Heine ein bisschen so wie Clemens Fuest gefühlt, als er sein bekanntes Gedicht rund um seine stressbedingten Schlafstörungen schrieb. Denn Fuest scheint sich gegenwärtig nicht viel weniger um Deutschland zu sorgen, als Heine damals vor fast 200 Jahren.

Auf dem Institutional Money Kongress in Frankfurt haben ihn dabei vor allem drei Sorgen umgetrieben. Zum ersten die um inflationsbedingte Verteilungskonflikte, zum zweiten die um den Verlust der deutschen Wettbewerbsfähigkeit und zum dritten die um Fehlentwicklungen, die in der jüngsten Vergangenheit rund um die Dekarbonisierung Deutschlands aufgetreten sind.

Hätte schlimmer kommen können
Beeindruckend ist bei Fuests Vorträgen immer wieder die Vielfalt an Blickwinkel, die der Ökonom zu jedem Thema findet. So zeigte er auf der einen leichte Verblüffung über die positive Rezeption des 1,8-prozentigne Wirtschaftswachstums, das Deutschland im vergangenen Jahr geschafft hat. Angesichts des Nachholbedarfs aus der Pandemiezeit, sei dieses Wachstum nicht besonders beeindruckend. Die Stagnation, die für 2023 erwartet wird, ist auf der anderen Seite zwar alles andere als erfreullich, "es hätte aber auch deutlich schlimmer werden können."

Leitzins-Deckel
Interessant werde jedenfalls der Kurs der EZB in dieser Gemengelage bleiben. Dass der ifo-Chef mit maximal 4,5 Prozent Leitzins – "möglicherweise darunter" – rechnet, leitet dieser nicht zuletzt aus den Schwierigkeiten des Bankensektors ab. Wenn dieser aufgrund angespannter Bilanz-Positionen nur zögerlich Kredite vergeben können, so löst sich die Mission der EZB, die Geldströme einzuschränken von selbst. Exzessive Zinsschritte wären dann nicht mehr nötig.

Reales BIP immer noch unter 2019
Einmal mehr lieferte sich Fuest auch einen Schlagabtausch mit Bundeskanzler Olaf Scholz. Mit Hinblick auf die 1,8 Prozent BIP-Plus sagte er: "Herr Scholz sucht ja das Wirtschaftswunder." Das suche er jedoch vergeblich. Denn das reale, kumulierte BIP liege heute immer noch unter dem Wert von 2019. Kaufkraftbereinigt werde es zumindest bis 2025 dauern, "bis wir vielleicht das Niveau von 2019 erreichen." Hand in Hand damit gehe ein immer stärkerer Verteilungskampf, denn "wir haben keine Zuwächse zu verkaufen, sonder Verluste zu verteilen."

Schwierige Aufholjagd
Eine Aufholjagd Deutschlands wird angesichts der hohen Energiepreise nicht leichter. Der Verfechter einen neuen Geoökonomik weist darauf hin, dass "wir in dieser Hinsicht schon vor dem russischen Angriff auf die Ukraine vor enormen Herausforderungen gestanden sind. Das hat nicht nur mit der 'Zeitenwende' zu tun", so der ifo-Chef. Gerade mit einen Wieder-Anspringen der chinesischen Wirtschaft und der damit einhergehenden steigenden globalen Nachfrage nach Energie werden sich die geoökonomischen Herausforderungen puncto Energieversorgung eher verstärken.

Und Deutschlands Antwort? Das Abschalten der AKW und der Plan einer kompletten Dekarbonisierung. Dieser Plan basiere auf der Entwicklung einer Wasserstoffwirtschaft, die wiederum "auf einer Technologie basiert, die es noch gar nicht gibt." Die Übergangsphase mit Gaskraftwerken zu bestreiten, die wasserstofftauglich sind, habe bis 2021 noch Sinn ergeben. "Aber jetzt ist das Gas weg", konstatiert Fuest. Rechnet man jetzt den Ausfall der Stromproduktion aus Kernenergie weg, so müsse unter Einberechnung der entsprechenden Wirtschaftsleistung "die Stromberarbeitungskapazität bis 2030 verdoppelt werden. Wir werden das nicht einhalten können und als Konsequenz wohl mehr Kohle verbrennen."

Zur Positionierung gegenüber China hatte Fuest ebenfalls Gedanken. Den Handel mit der Volksrepublik aufgrund geopolitischer Unsicherheiten bewusst einzuschränken, wie es politisch mitunter gefordert wird – Stichwort unter anderem: Nearshoring – hält der Ökonom bei allem Verständnis für die demokratiepolitischen Beweggründe, für den falschen Weg: "Das ist als würde man Selbstmord aus Angst vor dem Tod begehen."

Heine zitiert Fuest am Ende des Vortrage übrigens nicht. Dass er nächstens trotzdem an den an Deutschland denkenden Dichter denkt, ist aber möglich. (hw)

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