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Die ETF-Todesliste von Refinitiv

Am Ende könnte 2020 laut den Datenanalyse-Spezialisten von Refinitiv das Jahr mit den meisten ETF-Schließungen werden. Der Beginn einer Konsolidierung der Passiv-Branche sei das aber noch nicht.

Eine Reihe von ETFs könnte es bald nicht mehr geben. 
Eine Reihe von ETFs könnte es bald nicht mehr geben. © andrys lukowski / stock.adobe.com

Auch wenn 2020 – nicht nur für die Branche der passiven Investments – bisher ein hartes Jahr war, scheint die europäische ETF-Branche in guter Verfassung zu sein. Zu diesem Schluss kommt Detlef Glow, Head of EMEA Research bei Refinitiv Lipper, nicht ohne Grund in seiner aktuellen Analyse des ETF-Sektors in Europa. Das verwaltete Vermögen sei immerhin von 870,0 Milliarden Euro zum 31. Dezember 2019 auf 874,3 Milliarden Euro Ende Oktober 2020 gestiegen. "Ein Anstieg des verwalteten Vermögens um 4,3 Milliarden Euro im bisherigen Jahresverlauf, was einem Plus von lediglich 0,5 Prozent entspricht, mag für eine Wachstumsbranche gering erscheinen", so Glow. Aber diese Entwicklungen seien von der Performance der zugrunde liegenden Märkte getrieben gewesen, was zu einem Rückgang des verwalteten Vermögens um 46,2 Milliarden Euro geführt habe. Positiv sei der Wert des verwalteten Vermögens nur deshalb, weil sich die Branche eines gesunden geschätzten Nettoumsatzes von 50,5 Milliarden Euro erfreue.

Grundsätzlich kommt Glow daher zu dem Schluss: "Da das verwaltete Vermögen und die Muster bei den Mittelflüssen für das Jahr insgesamt recht gesund ausgesehen haben, kann man meiner Ansicht nach nicht zu dem Schluss kommen, dass sich die Branche in einem Konsolidierungsmodus befindet. Auch wenn einige Marktbeobachter möglicherweise eine umfassendere Konsolidierung der europäischen ETF-Branche vor sich sehen und die hohe Zahl der ETF-Schließungen als klares Zeichen dafür ansehen würden, würde ich die Zahlen nicht in dieser Weise interpretieren."

2020 könnte für ETFs zu einem historisch bedeutenden Jahr werden
Dennoch sei es eine Überraschung, dass 2020 das Potenzial habe, zum Jahr mit der höchsten Zahl von ETF-Schließungen seit der Gründung der europäischen ETF-Industrie im Jahr 2000 zu werden. "Aus meiner Sicht steht die hohe Zahl der ETF-Schließungen in Europa im Einklang mit einer hohen Startaktivität", erklärt Glow. "Da nicht alle neuen Produkte am Ende die Erwartungen der Anleger erfüllen, werden sie eben nach einer gewissen Zeit geschlossen."

Ein möglicher Grund für die hohe Zahl der bisherigen Schließungen von ETFs im Laufe des Jahres 2020 könnte laut Glow etwa die mangelnde Rentabilität der jeweiligen ETFs sein. "Im aktuellen Marktumfeld überprüfen eine Reihe von Fonds- und/oder ETF-Promotoren ihre Angebotspalette auf Produkte, die eine mangelnde Rentabilität aufweisen und/oder aus der Mode kommen könnten, da die Margen und damit die Gesamtgewinne in der Vermögensverwaltungsbranche aus verschiedenen internen und externen Gründen unter Druck geraten sind", so Glow weiter in seiner Analyse.

Komplexe Definition
Da die mögliche Schließung eines ETFs ein Anliegen der Anleger ist, habe Refintiv eine Liste von Fonds zusammengestellt, die in naher Zukunft das Risiko einer Fusion oder Liquidation eingehen könnten. "Die Produkte wurden auf die Liste gesetzt, da sie nicht in der Lage waren, genügend verwaltete Vermögenswerte einzusammeln, um für den jeweiligen ETF-Promoter profitabel zu sein", erläutert Glow. Auch wenn es keine definitive Zahl gebe, um zu definieren, welche Höhe des verwalteten Vermögens ein ETF haben müsse, um profitabel zu sein, werde in der Analyse zu diesem Zweck 100 Millionen Euro als fundierte Schätzung verwendet. Glow: "Das ist eine Zahl, die im gesamten ETF-Ökosystem weithin akzeptiert ist."

Insgesamt 826 der 1.689 für den Verkauf in Europa registrierten ETF-Portfolios verfügen laut Refintiv-Zahlen über ein verwaltetes Vermögen von mehr als 100 Millionen Euro. Dies bedeutet wiederum, dass 863 ETF-Portfolios (51,1 Prozent der verfügbaren Produkte) Vermögen unterhalb dieser Schwelle halten. "Auch wenn dies in Bezug auf die Verteilung des verwalteten Vermögens einigermaßen vernünftig klingen mag, wird bei näherer Betrachtung des Marktanteils nach verwaltetem Vermögen deutlich, dass das Vermögen in der europäischen ETF-Industrie stark konzentriert ist, da die 826 ETF-Portfolios mit mehr als 100 Millionen Euro an verwaltetem Vermögen 96,6 Prozent des von der europäischen ETF-Industrie insgesamt verwalteten Vermögens ausmachen.

Wie man eine ETF-Todesliste erstellt
Unter Bezugnahme auf diese Zahlen lohnt es sich daher nach Ansicht von Glow, eine Liste der ETFs zu erstellen, bei denen im Laufe der nächsten zwölf bis 18 Monate das Risiko einer Schließung droht. "Um eine zutreffende Bewertung der verwalteten Vermögenswerte durchzuführen, müssen dazu alle Vermögenswerte, die in unterschiedlichen Anteilsklassen gehalten werden, in einem Portfolio zusammengefasst werden", so Glow. Im Falle der europäischen ETF-Industrie verringere sich die Anzahl der Portfolios von 2.953 bis Ende Oktober 2020 verfügbaren Haupt- und Nebenanteilsklassen auf 1.689.

"Da kein Fonds- oder ETF-Promoter damit rechnen kann, dass ein Produkt kurz nach seiner Auflegung die Rentabilität erreicht, muss bei der Bewertung des Erfolgs eines Fonds oder ETFs in Bezug auf die im jeweiligen Portfolio gehaltenen verwalteten Vermögenswerte ein angemessener Zeitraum berücksichtigt werden", so der Analyst. Da professionelle Anleger oft eine Erfolgsbilanz von drei oder mehr Jahren benötigen, um die Performance eines Fonds zu bewerten, bevor sie ihn in ihre Kauflisten aufnehmen, könne dies ein angemessener Zeitraum sein. "Auch wenn der Bewertungszeitraum für ETFs oft wesentlich kürzer ist, haben wir nur ETFs berücksichtigt, die mindestens drei Jahre alt waren", so Glow. Dieses Screening habe die Anzahl der Portfolios von 1.689 auf 1.110 reduziert, was auch der Erwartung von professionellen Anlegern Rechnung trage, wonach Fonds oder ETFs, die sie für ihre Portfolios in Betracht ziehen, vor dem Kauf ein ausreichendes Volumen an verwalteten Vermögenswerten halten.

Screening über drei Jahre
"Im Anschluss daran haben wir die Entwicklung der verwalteten Vermögen im Laufe der letzten 36 Monate untersucht", erklärt Glow weiter. "Wir haben den Zeitraum von November 2017 bis Oktober 2020 untersucht und alle ETFs betrachtetet, die in mindestens einem Monat des Beobachtungszeitraums mehr als 100 Millionen Euro an verwaltetem Vermögen hielten." Dieses Screening habe die Zahl der ETFs, bei denen das Risiko einer Schließung droht, von 1.110 auf 358 reduziert. Das bedeutet, dass 358 ETF-Portfolios, die älter als drei Jahre sind, im Laufe der letzten drei Jahre in mindestens einem Monat nicht mehr als 100 Millionen Euro an verwaltetem Vermögen aufweisen konnten.

"88 dieser 358 Fonds hielten Ende Oktober 2020 nicht mehr als 10 Millionen Euro an verwaltetem Vermögen, so dass diese Fonds einem hohen Schließungsrisiko ausgesetzt sind", erklärt Glow. Für die endgültige Erstellung seiner ETF-Todesliste seien diese 88 Fonds am Ende jedes Monats im Beobachtungszeitraum November 2017 bis Oktober 2020 auf einen Mindestbetrag von 10 Millionen Euro an verwaltetem Vermögen untersucht worden. Diese abschließende Prüfung habe ergeben, dass die 31 in der Tabelle aufgeführten ETF-Portfolios im Laufe der letzten drei Jahre mindestens einmal weniger als 10 Millionen Euro an verwaltetem Vermögen aufgewiesen haben.

Es muss nicht immer gleich zur Schließung kommen
Ein genauerer Blick auf diese 31 ETF-Portfolios zeige, dass bei einigen dieser Produkte aus rein geschäftlichen Überlegungen nicht unbedingt das Risiko einer Schließung bestehe. "Das liegt daran, dass einige von ihnen aus der Sicht des Initiators möglicherweise beibehalten werden müssen, weil der möglicherweise als One-Stop-Shop für angeschlossene Vermögensverwalter fungiere. Außerdem würden manche Initiatoren solche kleinvolumigen ETFs mit einer durchaus langfristigen strategischen Perspektive dazu nutzen, ihre Präsenz auf den jeweiligen Märkten aufrechtzuerhalten und zu unterstützen. "Daneben gibt es auch einige tradingorientierte ETFs wie fremdfinanzierte Long-Short- oder fremdfinanzierte Short-Strategien, bei denen eine Schließung ebenfalls nicht anstehen dürfte", so Glow, der als Grund dafür nennt, dass bei diesen Instrumenten nicht erwartet werde, dass sie ein hohes Volumen halten, weil der Promotor dieser Produkte vor allem an der Handelsaktivität mit diesen Instrumenten verdient.

"Auch ist zu bedenken, dass die Liste nicht vollständig sein kann, weil zum Beispiel die Fusion zwischen Lyxor ETF und ComStage zu einer Konsolidierung der kombinierten Angebotspalette aufgrund von Produktüberschneidungen führen kann", erklärt der Analyst. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass in der ETF-Todesliste nur die kleinsten Produkte der europäischen ETF-Industrie aufgeführt seien. "Das bedeutet jedoch nicht, dass eines der übrigen Produkte nicht von einer Schließung bedroht sein könnte, denn selbst größere ETFs erfüllen möglicherweise nicht die Rentabilitätserwartungen des jeweiligen Initiators", so Glow, der trotz der höheren Zahl von ETF-Schließungen im laufenden Jahr nicht von einer Konsolidierung ausgeht. "Die europäische ETF-Industrie war schon immer sehr innovativ und nicht alle aufgelegten ETFs haben die Nachfrage oder Risikobereitschaft der Anleger erfüllen können", blickt der Analyst in die Geschichte der Branche zurück. Das sei ja der Grund dafür, dass sie irgendwann geschlossen würden. Zudem seien solche Entwicklungen nicht ausschließlich in der europäischen ETF-Industrie zu beobachten. Glow: "Auch herkömmliche Investmentfonds werden geschlossen, wenn sie nicht den Erwartungen der Fondspromotoren entsprechen." (hh)

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