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LBBW: Die EZB stellt sich endlich der Realität

Beim jährlichen Treffen der Notenbankeliten in Jackson Hole wurde insbesondere der gleichermaßen kurzen wie falkenhaften Rede des Fed-Präsidenten Jerome Powell Aufmerksamkeit zuteil. Daneben gab es - weniger beachtet - eine bemerkenswerte und wohl zukunftsweisende Rede von Isabel Schnabel.

Dr. Moritz Kraemer, Chefvolkswirt und Leiter LBBW-Research 
Dr. Moritz Kraemer, Chefvolkswirt und Leiter LBBW-Research © Mila Pairan für LBBW

Jerome Powell machte es so deutlich wie möglich, dass die US-Zentralbank eine Rezession in Kauf nehmen wird, falls das der Preis für eine Inflationsbekämpfung sein sollte. "Weniger beachtet, aber gerade für Europa mindestens ebenso bedeutsam, war die Intervention der EZB. Christine Lagarde war nicht zugegen – zur allgemeinen Verwunderung. Dafür hielt Isabel
Schnabel, deutsches Mitglied im Exekutivdirektorium, eine bemerkenswerte Rede. Schnabel gilt zunehmend als das einflussreichste Mitglied der EZB-Spitze, nachdem der Chefökonom
der Zentralbank, Philip Lane, durch hartnäckiges Beharren auf der These einer „transitorischen Inflation“ an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat", stellt Dr. Moritz Kraemer, Chefvolkswirt und Leiter LBBW-Research, in der neuesten Ausgabe der Publikation "Cross-Asset- und Strategy-Research" fest.

Isabel Schnabels wichtigste Punkte für den “Neustart”
- Die Inflationserwartungen sind dabei, sich zu verselbständigen. Die Glaubwürdigkeit der Zentralbanken ist in Gefahr.
- Eine zu zögerliche Geldpolitik kann am Ende die realwirtschaftlichen Kosten einer Inflationsbekämpfung erhöhen.
- Um die Inflationserwartungen wieder einzufangen, müssen die Leitzinsen stärker steigen als die Inflationserwartungen.
- Die Zentralbank darf beim Kampf gegen die Inflation nicht nachlassen, solange die Inflationserwartungen zu hoch sind.

Erwacht die EZB aus dem Dornröschenschlaf?
Dr. Kraemers Einschätzung: "Schnabels Rede kann als das Fundament für einen „Neustart“
der geldpolitischen Ausrichtung der EZB interpretiert werden. Eine „große Zinserhöhung“ um 75 Basispunkte bei der EZB-Ratssitzung am 8. September scheint nun mehr und mehr wahrscheinlich. Im Rat haben die „Falken“ die Oberhand."

Die Ausgangssituation der EZB ist außergewöhnlich schlecht
Explodierende Gas- und Strompreise heizen im Euroraum die Inflation weiter an. Gleichzeitig stürzt die Energiekrise Europa in die Rezession. "Für Deutschland prognostiziert das LBBW Research für das kommende Jahr eine Schrumpfung der Wirtschaft um ein Prozent, für den Euroraum insgesamt nur unwesentlich besser. Dass die EZB dennoch die Zinsen wird erhöhen müssen, und vermutlich schneller und weiter als noch vor kurzem von den Märkten erwartet, dürfte die Talfahrt der Realwirtschaft beschleunigen. Die erheblichen Kaufkraftverluste und Umverteilungseffekte von Rezession und Energiekrise drohen den sozialen Konsens in Europa zu untergraben", analysiert Kraemer.

EZB hat sich das Leben selbst unnötig schwergemacht
Zugleich wird es ungemütlicher für Schuldner. Naturgemäß sind hier alle Augen auf Italien gerichtet, das sich zu allem Überfluss auch noch in einem unübersichtlichen Wahlkampf befindet. Kraemer dazu: "Die Spekulation gegen italienische Staatsanleihen nimmt Fahrt auf. Italiens Renditen kratzen an der Marke von vier Prozent. Nicht zuletzt, weil die EZB durch die Einführung eines sogenannten „Transmissionsschutzinstruments“ (TPI) die Investoren geradezu dazu ermuntert hat, die Komfortzone der EZB auszutesten."

Die EZB ist natürlich nicht an allem schuld
"Die Inflation ist vor allem das Resultat externer Schocks wie Pandemie, Lieferkettenchaos,
Krieg und Energiekrise. Aber durch ein übermäßig abwartendes Verhalten hat sie uns eine Suppe eingebrockt, die nun alle in Europa werden auslöffeln müssen. Wir werden uns,
im doppelten Wortsinne, warm anziehen müssen", konstatiert der Chefvolkswirt der LBBW. (kb)

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