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Vontobel AM über die kritische Lage an den Öl- und Gasmärkten

Wie die Situation an den Öl- und Gasmärkten aus deutscher Sicht ist und warum insbesondere ein Embargo gegen russisches Gas ein wirtschaftlicher Selbstmord wäre, erläutert Vontobel AM. Vor allem ein aus der Finanzkrise bekanntes Problem könnte die Versorgung zusätzlich gefährden.

© Kalyakan / stock.adobe.com

NorthStream 2, die viel kritisierte Gaspipeline zwischen Deutschland und Russland, welche die Marktmacht von Europas größtem Lieferanten weiter gestärkt hätte, ist vom Tisch. Deutschland hat das Genehmigungsverfahren nach jahrelangem Drängen westlicher Verbündeter (die ihrerseits ihr Gas verkaufen wollen) gestoppt.

Kurzfristig sei das laut Einschätzung von Kerstin Hottner, Portfoliomanagerin, und Michel Salden, Head of Commodities, bei Vontobel Asset Management, unproblematisch, da Europa für den laufenden Winter über ausreichend Erdgas verfüge. Die Kapazitäten dürften jedoch nicht reichen, um die Gastanks Europas im Jahresverlauf für den nächsten Winter aufzufüllen. Die Füllstände liegen bereits 15 Prozent unter ihrem Fünfjahresdurchschnitt.

Deutschland hat keine Terminals für Flüssiggas
Deutschland bemüht sich nun um mehr Flüssiggas aus Katar, aber das wird den leeren Speichern vor dem nächsten Winter auch keine Abhilfe schaffen. Denn Deutschland muss zuerst neue Terminals bauen und Katar hat einen Großteil des Gases in langfristigen Verträgen mit anderen Ländern gebunden. So dürften die Gaspreise weiter hoch und volatil bleiben, womit auch die Strompreise in Europa auf hohem Niveau bleiben werden, schreiben Hottner und Salden.

Unter diesen Umständen beschließen immer mehr Regierungen in Europa die Abschaltung der verbliebenen Atomkraftwerke aufzuschieben, und auch der Fahrplan des Kohleausstiegs wird plötzlich in Frage gestellt. Ähnliches wird auch in Osteuropa und Italien diskutiert, wobei nicht vergessen werden darf, dass einige dieser Volkswirtschaften von russischer Kohle abhängig sind.

Andere Länder nutzen die Situation zu ihrem Vorteil
Auch russische Erdöllieferungen stehen im Fokus. Das Land, das nach Saudi-Arabien den zweitgrößten Anteil am Weltmarkt hat, schickt zwei Drittel seiner Ölexporte, etwa 3,5 Millionen Barrel pro Tag, in den Westen. Mit Ausnahme des Zweiten Weltkriegs hat Russland Europa bislang immer beliefert und möchte auch in Krisen als zuverlässiger Lieferant gelten. Tatsächlich sind Energielieferungen bisher von Sanktionen der Europäischen Union ausgenommen.

Handelsfinanzierungen werden gestrichen
Doch Russland als Erzeuger (und Europa als Verbraucher) drohen Probleme an anderer Stelle. Immer mehr Kreditgeber aus Europa, den USA und auch China begrenzen die Mittel zum Kauf russischer Rohstoffe, um Rechts- und Reputationsrisiken zu vermeiden und die Folgen eines möglichen Zahlungsausfalls russischer Handelspartner abzuschwächen. Das erinnert an die Finanzkrise, als Banken die Finanzierung von Rohstoff- und Warenlieferungen drastisch zurückfuhren und Folgeprobleme auslösten.

Auch der Ausschluss russischer Banken vom internationalen Zahlungssystem SWIFT erschwert den Zahlungsverkehr und somit auch den Handel mit physischen Rohstoffen. Trotz des derzeitigen Abschlags von 20 US-Dollar, den Russland derzeit pro Barrel Rohöl anbietet, wollen oder vielmehr können westliche Konsumenten derzeit nicht handeln.

Ölversorgung ab April stark gefährdet
Aktuell spiegelt sich diese Situation noch nicht in den Handelszahlen für russisches Öl wieder, da die Lieferungen die aktuell stattfinden noch vor Kriegsbeginn vereinbart wurden. Aber ab April sollten die Ölexporte auf dem Schiffsweg nach Europa deutlich einbrechen. Somit könnten bald die Bestände in Europa rasant um zwei bis drei Millionen Barrel pro Tag fallen.

Auswege aus der Erdölknappheit
Russland ist lose mit der Organisation erdölexportierender Länder (Opec) verbunden, die sich selten von geopolitischen Erwägungen leiten lässt. Die Organisation bestätigte Anfang März, im Einklang mit ihrem Plan der allmählichen Steigerung der monatlichen Fördermengen, erwartungsgemäß die Produktionsausweitung auf 400.000 Barrel pro Tag im April. Gleichzeitig bemüht sich der Westen um eine Einigung mit dem Iran in Bezug auf das Atomprogramm des Landes. Bei erfolgreichen Verhandlungen könnte der Iran sein Öl wieder weltweit verkaufen, und die Märkte rechnen zunehmend mit einer solchen Vereinbarung.

Doch auch der Iran könnte in den ersten drei bis sechs Monaten maximal eine Million Barrel Rohöl pro Tag zusätzlich liefern und den möglichen Wegfall russischer Lieferung nicht ausgleichen. Zum Vergleich: Selbst die Ankündigung der USA, weitere 60 Millionen Barrel Rohöl ihrer strategischen Reserve freizugeben, konnte die Energiemärkte nicht beruhigen.

Saudi Arabien und Israel könnten Widerstand leisten
Auch könnte ein Atomabkommen mit dem Iran für neue geopolitische Konflikte im Mittleren Osten sorgen. Saudi Arabien und Israel haben bereits gedroht hier entgegenzuwirken. Und Russland hatte zuletzt mehr Steine in den Weg gelegt, als sie forderten einem Atomdeal nur zuzustimmen, wenn die Sanktionen gegen Russland keinen Effekt auf die russischen Handelsbeziehung hätten.

Ölpreis bei 150 US-Dollar/Barrel?
Angesichts des anhaltenden Bestandsabbaus sind die Rollrenditen für Rohöl auf ein Rekordniveau gestiegen und Käufer bezahlen eine wesentliche Prämie für Sofortlieferungen des Rohstoffs. Das Rollen von Terminkontrakten, also der Verkauf von Kontrakten kurz vor der Fälligkeit und der gleichzeitige Kauf von Kontrakten mit längerer Laufzeit, sind das täglich Brot von Terminhändlern, und der Gewinn aus diesen Trades ist die Rollrendite. Aufgrund des unaufhaltsamen Rückgangs der Öllager könnten kurz laufende Terminkontrakte bis zu 150 US-Dollar pro Barrel erreichen, was zu einer noch höheren Risikoprämie führt. (aa)

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