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Nachhaltigkeit in Nordamerika: Eine erkaltete Liebe?

Der Vorteil von Serienerhebungen besteht unter anderem darin, zu sehen, wie sich die Antworten im Laufe der Zeit verändern. Wenn man den Daten von PitchBook Glauben schenkt, zeigen die Trends einen Rückgang bei der Unterstützung für nachhaltige Anlagethemen bei den professionellen US-Investoren.

© Andrey Popov / stock.adobe.com

PitchBook Data ist ein SaaS-Unternehmen, das Daten, Research und Technologie für private Kapitalmärkte einschließlich Venture Capital, Private Equity und M&A-Transaktionen bereitstellt. So publiziert man jährlich einen "Sustainable Investment Survey", der aktuelle für 2022 ist eben erschienen. In diesem wird interessanterweise an vier verschiedenen Stellen im Text der Begriff der "Politicization" (Politisierung) von ESG angesprochen.

Deponierte Unzufriedenheit mit politisiertem ESG nimmt zu
PitchBook vermutet, dass die Zahl der Befragten über die Jahre gestiegen ist und die
Politisierung des Themas in den Schlagzeilen dafür gesorgt hat, dass sich mehr Adressaten die Zeit nehmen, die Umfrage von PitchBook zu Nachhaltigkeitsthemen auszufüllen, um sicherzustellen, dass ihr Unmut über das Thema auch seinen Niederschlag in den Umfrageergebnissen findet. Vor zwei Jahren äußerte sich nur ein einziger Befragter sehr negativ über nachhaltiges Investieren. Letztes Jahr waren es fünf Personen, die sich
dergestalt äußerten, und dieses Jahr waren es immerhin rund 50.

Während eine Schlussfolgerung wäre, dass die Branche nicht mehr so scharf auf ESG- oder Impact-Investitionen ist, scheint es PitchBook wahrscheinlicher, dass an der Umfrage in den vergangenen Jahren nur jene teilgenommen haben, die fast ausschließlich positiv an dem Thema interessiert waren.

Anzahl jener, die keine Nachhaltigkeitsprogramme verfolgen, scheint zuzunehmen
Auch in diesem Jahr hat PichBook seine Umfrageteilnehmer gefragt, wie sie das Stadium ihrer Umsetzung nachhaltiger Investments charakterisieren würden. In diesem haben 62 Prozent der Befragten ein nachhaltiges Anlageprogramm teilweise oder vollständig eingeführt, gegenüber 58 Prozent im letzten Jahr. Aber auch in diesem Jahr hat man einen Anstieg der Zahl der Befragten vorgefunden, die keine Pläne für nachhaltige Investments umsetzen, nämlich von neun Prozent im letzten Jahr auf nunmehr 13 Prozent in 2022. Bei genauerer Betrachtung hegen 20 Prozent der antwortenden Limited Partners (LPs; gemeint sind Investoren, Allokatoren und deren Berater) und 18 Prozent der Nordamerikaner keine nachhaltigen Investmentpläne, gegenüber elf und 13 Prozent im Jahr davor.

Interesse am ESG-Thema nach wie vor hoch, aber gespalten in der Sicht auf die Dinge
Die Antworten auf diese Frage zeigen ein nicht nachlassendes Interesse an diesem Thema, sondern scheinen eher die Tatsache zu unterstreichen, dass mehr nordamerikanische
LPs genug Interesse an nachhaltigem Investieren haben, um ihre negativen Gefühle diesbezüglich zu äußern, während sie im letzten Jahr die Gelegenheit, an der Umfrage teilzunehmen, vielleicht ungenutzt verstreichen ließen.

Gespaltene Investorenschaft in Bezug auf ESG bei Private Equity-Deals
Es gibt vielleicht mehr extreme, hartnäckig vertretene und kontroverselle Ansichten über ESG im Jahr 2022 als in als in jedem anderen Jahr der Geschichte. Die Politisierung von ESG ist überall in PitchBooks Umfragedaten sichtbar, aber ist besonders bemerkenswert im Vergleich zu den den Zahlen von 2021. Im Jahr 2021 antworteten zum Beispiel zwölf Prozent der Allokatoren und ihrer Berater auf die Frage "Wie wichtig ist es, dass ein General Partner (GP; Manager von Private Assets) ein ESG-Risikofaktor-Regelwerk bei der Akquisition und Verwaltung von Portfoliounternehmen verwendet, wenn Sie sich für einen Fonds entscheiden oder ihn empfehlen?" antworteten, dass dies überhaupt nicht wichtig sei, während 20 Prozent angaben, dass dies sehr wichtig sei. Im Jahr 2022 antworteten 19 Prozent, dass dies überhaupt nicht wichtig sei, während 18 Prozent sagten, es sei extrem wichtig (siehe Grafik).

Quelle: PitchBook, Frage 13 der Umfrage

Einige US-Bundesstaaten schießen gegen Asset Manager mit ESG-Ansatz
Die Tatsache, dass es eine solche Divergenz gibt, ist wahrscheinlich kein Schock für diejenigen, die ESG-bezogene Nachrichten im Jahr 2022 verfolgen. So erregte beispielsweise ein Artikel im Wall Street Journal am 30. August 2022 mit dem Titel "Einige GOP-Staaten wehren sich gegen den Trend zu ESG-Investitionen" Aufsehen. In diesem wurde berichtet, dass Bundesstaaten unter republikanischer Führung wie Texas große Asset Manager Häuser wie BlackRock, Credit Suisse und BNP Paribas, die ESG-Anlagen promoten, sanktionieren, da sie Energieunternehmen diskriminieren würden, beziehungsweise - im Falle Floridas - den öffentlichen Pensionsfonds des Bundesstaates untersagen, mit bestimmten Asset Managern Geschäfte zu machen.

Herausforderungen werden in Nordamerika und Europa unterschiedlich gesehen
Die Nordamerikaner, die sich derzeit mit der Politisierung von ESG auseinandersetzen, nannten die Wahrnehmung möglicher negativen Auswirkungen auf die Rendite als drittgrößte Herausforderung nachhaltigen Investierens. Wenn man Bedenken betreffend die treuhänderische Verantwortung von Investments, die im Spannungsfeld von klassischer Rendite und Nachhaltigkeitszielen stehen, berücksichtigt, wird der Unterschied zwischen den Kontinenten größer. Für 14 Prozent der Nordamerikaner ist Rendite wichtiger, für Europäer ist dies nur in neun Prozent der Fälle so.

Detail-Stimmen
Die von PitchBook bfragten LPs haben am ehesten eine negative Einstellung zu nachhaltigen Investitionen und nahmen sich die Zeit, um bissige Kommentare zu verfassen, die die Politisierung dieses Thememkreises widerspiegeln. PitchBook gibt sich hier zart besaitet und gibt nur moderatere Kommentierungen wieder. Antworten lauteten in tewa folgendermaßen: "So viele der Berater kommen mit einer ESG-Agenda und hohen Kosten. Wir wollten einfach eine kostengünstige, praktische Lösung. Wir versuchen nicht, die Welt zu verändern".

Aufklärungsbedarf gegeben
Viele dieser negativen Antworten würden ein mangelndes Verständnis dafür zeigen, so PitchBook weiter, was ein ESG-Risikorahmen eigentlich bedeute. Beispiele für diese Äußerungen umfassen: "ESG ist so politisch, dass es nicht einmal lustig ist" und "Es ist wirklich ekelhaft, dass ESG so allgegenwärtig ist, ohne Bedeutung für die Betreuung der Investoren zu haben und ihren besten Interessen zu dienen". Diese Antworten scheinen aus dem mangelnden Bewusstsein zu kommen, dass ESG die Aufgabe hat, sich auf die wesentlichen nicht-finanziellen Risiken zu konzentrieren, da diese die langfristige Gewinne beeinträchtigen können.

Entgegengesetzte Meinungen prallen aufeinander
Wenn schlechte Governance ein Unternehmen dazu veranlasst, eine schlechte Sozialpolitik für seine Mitarbeiter zu betreiben, dann könnten daraus resultierende Streiks zu Unfällen mit schlechten K0nsequenzen für die Umwelt führen, sagen ESG-Anhänger. Befürworter von ESG sind zudem der Meinung, dass ein Management, das sich nur auf die Unternehmensgewinne konzentriert, nicht auf die langfristigen Interessen der Firma und seiner Interessengruppen (Stakeholder) ausgerichtet ist. Dem gegenüber stehen jene, die in der Tradition des scharfen ESG-Kritikers Milton Friedman stehen und keine Überfrachtung des Management mit anderen Zielen als dem reinen Gewinnstreben sehen wollen. Möglichen Zielkollisionen sind dann ausgeschlossen.

Die zuletzt beobachtete Underperformance von Growth-Titeln, die unter ESG-Aspekten meist weit vorne rangieren, sowie die Outperformance der unter ESG-Kriterien meist geächteten Öl- und Gas-Titel scheinen Wasser auf die Mühlen der ESG-Kritiker zu sein. Vielleicht auch ein Grund dafür, dass in der PitchBook-Umfrage diese Gruppe laut wurde. (kb)

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