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Goldman-Sachs-Stratege: "Die Fed hat aus früheren Fehlern gelernt"

Der Chefökonom von Goldman Sachs Asset Managment, James Ashley, geht davon aus, dass steigende Renditen bei zehnjährigen US-Staatsanleihen nicht zu einem erneuten Ausverkauf bei Schwellenländeranleihen wie 2013 führen werden. Und dass der Markt auch 2022 grundsätzlich tragfähig bleibt.

James Ashley, Chefökonom von Goldman Sachs Asset Management
James Ashley, Chefökonom von Goldman Sachs Asset Management© Goldman Sachs Asset Management

Auf der einen Seite steht die Sorge vieler Marktteilnehmer einer ungesunden Kombination aus einer weiteren wirtschaftlichen Abschwächung in China, einer fortgesetzten Ausbreitung der Delta-Variante des Corona-Virus sowie einem insgesamt unsicheren Ausblick für die Geldpolitik in den USA. Das hat in den letzten Monaten für Abwärtsdruck bei den Renditen langfristiger US-Staatsanleihen gesorgt. Gleichzeitig erhole sich die US-Wirtschaft, und die US-Notenbank Fed spreche bereits über eine Drosselung ihrer Anleihekäufe. Da sei es nur verständlich, dass wieder Besorgnis über einen plötzlichen und deutlichen Anstieg der US-Renditen und mögliche Auswirkungen auf die Schwellenländer aufkomme, glaubt James Ashley, Chefvolkswirt von Goldman Sachs Asset Management. Wir haben mit ihm über seine Erwartungen gesprochen.

Herr Ashley, was ist los an den Anleihemärkten – ist das zunehmende Stirnrunzeln unter Anlegern berechtigt?

James Ashley: Blicken wir zum besseren Verständnis zunächst einmal zurück: Als der ehemalige Fed-Chef Ben Bernanke 2013 andeutete, dass die Anleihekäufe reduziert werden könnten, schossen die realen und nominalen Renditen zehnjähriger Staatsanleihen in den USA in die Höhe. Das löste einen Ausverkauf bei Schwellenländeranleihen aus. Die Creditspreads bei Schwellenländeranleihen stiegen, nachdem sie sich in den drei bis vier Jahren zuvor drastisch eingeengt hatten, weil die lockere Geldpolitik der Fed Anleger auf Renditesuche in die Schwellenländer führte. Und von den Währungsmärkten ausgehender Druck zwang die Zentralbanken in etlichen Schwellenländern, die Leitzinsen anzuheben, um ihre Kapitalbilanzen zu schützen. Wir gehen zwar davon aus, dass die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihen in den kommenden Monaten steigen wird. Wir rechnen jedoch aus mehreren Gründen nicht damit, dass dies erneut einen massiven Ausverkauf bei Schwellenländeranleihen auslösen wird.

Was lässt Sie eher entspannt wirken?

James Ashley: Zum einen werden die Renditen unserer Ansicht nach nicht so hoch und nicht so schnell wie 2013 steigen. Wir prognostizieren, dass die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihen Ende des Jahres bei etwa 1,60 Prozent liegen wird, was einem Anstieg um rund 30 Basispunkte bezogen auf das aktuelle Niveau entspricht. Von Mai bis September 2013 stieg die nominale Rendite um ganze 140 Basispunkte, da die Fed es versäumte, den Märkten zu versichern, dass auf die Drosselung nicht sofort eine Leitzinserhöhung folgen würde.

Aber woher kommt dieser latente Optimismus und wann könnte das Tapering starten?

James Ashley: Die Fed hat aus ihren früheren Fehlern gelernt. Der Offenmarktausschuss der US-Notenbank hat sich sehr bemüht, zu betonen, dass erst die Anleihekäufe gedrosselt werden müssen, bevor über Leitzinsanhebungen überhaupt nachgedacht werden kann. Die Inflation ist inzwischen zwar weitaus höher als 2013, aufgrund der vor Kurzem eingeführten Inflationsstrategie unter der Bezeichnung "Flexible Average Inflation Targeting" (FAIT) wird die Fed aber voraussichtlich vorsichtiger vorgehen, wenn sie die geldpolitischen Zügel strafft. Wir rechnen aktuell damit, dass die Drosselung der Anleihekäufe voraussichtlich im November beginnen wird. Und die erste Leitzinserhöhung könnte Mitte 2023 beschlossen werden. Man muss auch bedenken, dass die Größe der Bilanz die langfristigen Renditen mehr beeinflusst als das Tempo der Anleihekäufe. Mit rund 8,2 Milliarden US-Dollar ist die Bilanz der US-Notenbank heute fast dreimal so groß wie 2013.

Aber was ist aktuell wirklich anders als 2013?

James Ashley: Der Grund, warum die Renditen steigen, ist ebenso bedeutend wie das Ausmaß des Anstiegs. Die steigenden Renditen 2013 waren auf die Entscheidung der Fed, ihre Anleihekäufe zu drosseln, zurückzuführen, nicht aber auf ein über dem Trend liegendes Wachstum: Mit einem BIP-Wachstum von 1,8 Prozent lag damals sicherlich keine Überhitzung der US-Wirtschaft vor. Heute dagegen sind die höheren Renditen aufgrund der besseren Konjunkturaussichten durchaus gerechtfertigt. Wir erinnern daran, dass für die Weltwirtschaft in diesem Jahr ein Wachstum von 6,3 Prozent prognostiziert wird, das ist das höchste Wachstumstempo nach einer Rezession seit 80 Jahren. Und in den USA wird die Wirtschaft mit sechs Prozent das schnellste Wachstum seit 40 Jahren verzeichnen. Ein so solides Wachstum sowohl der Weltwirtschaft wie auch der US-Konjunktur dürfte sich positiv auf Risikoanlagen wie Aktien, Schwellenländeranleihen und Rohstoffe auswirken.

Rücken da nicht wieder die Schwellenländer in den Fokus? 2013 jedenfalls wiesen die "fragilen Fünf", sprich Südafrika, Brasilien, Indien, Indonesien und die Türkei, massive Leistungsbilanzdefizite auf und waren stark auf Zuflüsse ausländischen Kapitals angewiesen.

James Ashley: Durch die Pandemie haben sich allerdings die Leistungsbilanzen vieler Schwellenländer verbessert. Aufgrund drastischer Rezessionen sind die Importe eingebrochen und haben zu Leistungsbilanzüberschüssen geführt. Strukturelle Leistungsbilanzdefizite werden vermutlich zurückkehren, wenn sich die Volkswirtschaften erholen. Dennoch sind die meisten Schwellenländer nach jetzigem Stand besser aufgestellt, um eine Kapitalflucht zu bewältigen. Hinzu kommt, dass die Zuflüsse externer Ressourcen in die Schwellenländer in den vergangenen Jahren nicht annähernd so hoch waren wie in den Jahren vor dem sogenannten Taper Tantrum von 2013. Und auch die Währungen sind, gemessen an den realen Wechselkursen, nicht so überbewertet wie damals.

Wie sieht mit Blick auf diese Dynamiken ihr Zwischenfazit aus?

James Ashley: Insgesamt ist der makroökonomische Hintergrund immer noch günstig für weitere Zuwächse bei Risikoanlagen. Da die Weltwirtschaft dank des Impffortschritts weiter mit kräftigem Tempo wächst und Anleger an einem zunehmend schwierigen Markt nach Renditen suchen, rechnen wir damit, dass sich die Spreads bei Schwellenländeranleihen weiter einengen. Ein erneuter plötzlicher und sprunghafter Anstieg der US-Renditen könnte wohl eine Phase globaler Risikoaversion auslösen, wodurch Schwellenländeranlagen unter Druck geraten würden. Allerdings legen die besseren makroökonomischen Rahmenbedingungen nahe, dass sich die Schwellenländer dieses Mal schneller erholen würden.

Wir danken für das Gespräch. (hh)

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