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Europas Wohnimmobilienmärkte sind und bleiben robust

Inflation und stark gestiegene Zinsen haben Wohnimmobilienmärkte in Mitleidenschaft gezogen. Immobilien werden neu bewertet, geplante Projekte abgesagt oder verschoben. Einige Projektentwickler straucheln. Doch Dr. Marcus Cieleback, Chief Urban Economist bei Patrizia, sieht keinen Grund zur Panik.

 Dr. Marcus Cieleback, Chief Urban Economist bei Patrizia
 Dr. Marcus Cieleback, Chief Urban Economist bei Patrizia© Patrizia

Die kürzlich erschienene Analyse „European Residential Markets 2023/2024“ von Dr. Marcus Cieleback, Chief Urban Economist bei Patrizia, betrachtet das Wohnimmobiliensegment von seiner resilienten Seite.

Rückläufiges Transaktionsvolumen
Das weltweite Transaktionsvolumen an Wohnimmobilien ist demnach gegenüber 2022 um etwa die Hälfte zurückgegangen. Besonders Europa hat es mit einem Rückgang von 60 Prozent deutlich getroffen. „Es ist ein deutlich verhalten agierender, vorsichtigerer Markt. Es finden definitiv noch Transaktionen statt, aber spezialisierter, informierter und deutlich spezifischer“, ordnet Cieleback das Marktgeschehen ein. Im historischen Vergleich hingegen falle das Volumen gar nicht so gering aus. Zudem helfe der Blick über den Tellerrand: „Dass wir uns in einem nach wie vor robusten Umfeld befinden, zeigt das internationale Investitionsgeschehen. Es herrscht weiterhin lebendiges Interesse, grenzübergreifend im EMEA-Raum zu investieren.“ Das spreche für europäische Wohnimmobilien als attraktiven Investment-Case mit guten Diversifikations- und stabilen Renditemöglichkeiten.

Globales Transaktionsvolumen Wohnimmobilien

Quelle: Patrizia, RCA (Grafik-Maßstab: 1E+11 bzw. 10^11 entspricht 100 Milliarden US-Dollar)

Antizyklisch in renditestarke Nischen des Wohnsegments investieren
Die Resilienz des Segments zeigt sich der Marktanalyse zufolge auch daran, dass das Transaktionsvolumen in den Nischennutzungen im Wohnsegment weniger stark zurückgegangen ist. So zeigt das studentische Wohnen einen Rückgang von lediglich 14 Prozent. Zudem agiere der Markt antizyklisch, indem er Einstiegsgelegenheiten in solchen renditestarken Nischen wahrnehme. Unabhängig vom Transaktionsgeschehen habe sich fundamental wenig an den positiven Grundvoraussetzungen für den Wohnimmobilienmarkt geändert, so Cieleback: „Es ist die fehlende Bauaktivität, die dafür sorgt, dass der steigenden Nachfrage durch Megatrends wie Urbanisierung und demografischem Wandel nicht richtig begegnet werden kann, was wiederum dafür sorgt, dass Preise und Mieten tendenziell steigen.“ Da Baukosten und Finanzierungszinsen steigen, verzögere sich neues Angebot weiter.

Knappes Angebot spielt entscheidende Rolle für die Mietmarkt-Resilienz
Dieser bietet stabile Einkommensströme und attraktive risikoadjustierte Renditen für institutionelle Anleger im aktuellen Inflationsumfeld, auch wenn sich der Renditeabstand zu Anleihen schmälert: „Investoren werden bei Wohnimmobilien auf positive Mietentwicklung und nicht Preiseinbrüche setzen, um den Renditeaufschlag gegenüber Anleihen zu realisieren“, sagt Cieleback. „Die Niedrigzinszeit, die die Preise getrieben und für einen Vorteil gegenüber Anleihen gesorgt hat, ist vorbei.“ Nun seien es hohe Nachfrage, steigende Zinsen und wachsende Anforderungen an Nachhaltigkeitsaspekte von Neubauten, die für einen soliden Mietmarkt sorgten.

Fertigstellungen und aktueller Bestand

Quelle: Patrizia, Statistische Ämter, Euroconstruct

Angebotslücke: Gefahr und Chance zugleich
Die schrumpfenden Fertigstellungen und Projektpipelines in Europa - abgesehen von Irland - stellten den Immobilienmarkt auch vor eine soziale Frage, die es neben der Nachhaltigkeitsfrage beim Thema Wohnen zu beantworten gelte. „Die Angebotslücke kriegen vor allem Haushalte mit niedrigem oder mittlerem Einkommen zu spüren“, sagt Cieleback, „was die gesellschaftliche Diskussion von Wohnkosten anheizt und uns in die Verantwortung bringt, ESG-Kriterien vollumfänglich zu berücksichtigen – inklusive des ‚S‘ in ESG.“ Es bringe jedoch auch Investoren in die Pflicht, regulatorische Änderungen dynamischer zu implementieren, was höhere Agilität in der Planung erfordere, aber langfristige Anleger nicht davon abhalten soll, anhand von tiefem Marktverständnis erfolgreich investieren und agieren zu können.

Chance bietet sich etwa in der steigenden Zahl von Ein-Personen-Haushalten
Während die Zahl aller Haushalte in der EU zwischen 2010 und 2020 durchschnittlich um 7,2 Prozent stieg, trug eine Gruppe besonders stark dazu bei: 19,5 Prozent legte die Zahl der Ein-Personen-Haushalten im selben Zeitraum zu. Diese Gruppe frage über den Lebenszyklus hinweg länger Mietwohnungen nach als andere Gruppen, meint Cieleback: „Gerade im Berufsleben von jungen und städtischen Angestellten wird gemietet, da der Arbeitsplatz tendenziell noch wechseln könnte. Auch die Änderung der Lebensumstände kann zum Umziehen beitragen, die neue Wohnung ist dann in der Regel erstmal eine Mietwohnung.“ Mieten müssten deswegen flächendeckend attraktiv sein, um diesen Bedürfnissen zu entsprechen.

Chancen finden sich überall
Versucht man die Ergebnisse der Analyse knapp herunterzubrechen, könnte man vermutlich sagen, dass sich wenig an den grundlegenden Dingen geändert hat. Nach wie vor ist der Wohnimmobilienmarkt von knappem Angebot und steigenden Mieten geprägt und liefert damit eine geringe Korrelation zum (Finanz)-Markt sowie hohe Inflationssicherheit. Auch wenn die Renditeabstände gegenüber Anleihen sinken, zeige sich die wahre Güte einer Immobilie an ihrer Stabilität, Lage und dem sozialen Einfluss, den sie auf ihren Standort hat. Städte wie Malmö, Wien, Helsinki, die Randstad-Region, die deutschen Top-7-Städte oder Paris sieht Cieleback ebenso als strukturell chancenreich an wie Barcelona oder Dublin.

Im Zusammenhang mit der wachsenden Zahl von Ein-Personen-Haushalten und dem demografischen Wandel profitieren zudem studentisches Wohnen und Senior-Living-Konzepte nationenübergreifend. Während der Analyse zufolge Paris, London und Madrid viele internationale Studierende anziehen, sind Wien und Stockholm mit einer eher heimischen Studentenschaft weniger abhängig von ausländischen Studierenden. "Der europäische Wohnimmobilienmarkt scheint weiterhin solide zu sein und langfristig orientierten Investoren Chancen zu bieten – wenn man weiß, wo man suchen soll", so Dr. Cieleback in seinem Résumé. (kb)

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