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Ungleichheit: Europas Unterschicht hat allen Grund zornig zu sein

Als Covid-19 über Europa hinwegfegte, ging es der arbeitenden Klasse am unteren Einkommensrand am schlechtesten. Gerade für diese sind die anziehenden Preise nun ein erneuter Schlag, der Folgewirkungen haben könnte. Langfristinvestoren sollten daher auch "Ungleichheit" am Radar haben.

© slasnyi / stock.adobe.com

Die Pandemie, die einhergehende Geldflut der Zentralbanken und Lieferengpässe führen über steigende Konsumentenpreise zu eine explosiven Gemengelage. Viele am unteren Ende der Lohnskala haben ihre Ersparnisse aufgebraucht, da während der Lockdowns staatliche Hilfen wie Kurzarbeit ihre Einkünfte nur unzureichend ersetzten. Jetzt verschlingen steigende Energie- und Lebensmittelkosten einen übermäßigen Teil ihrer Einkommen - das ist ein Doppelschlag, den nur die wenigsten verkraften können. Ihre Notlage kontrastiert mit wohlhabenderen Angestellten, die im Home Office Geld beiseite gelegt haben und weniger unter höheren Stromrechnungen leiden. Ihre Wohnungen, Häuser und Aktienportfolios hingegen haben von der wirtschaftlichen Erholung profitiert. Über diese Entwicklung berichtet Bloomberg.

Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen nimmt zu
Die wachsende Kluft zwischen den beiden Gruppen ist ein unschönes Überbleibsel der Pandemie und bereitet den politischen Entscheidungsträgern im Euroraum zunehmend Kopfzerbrechen.

Deutschlands kommende Regierung will die ungleiche Einkommensverteilung bekämpfen. Frankreich stellt Hunderte von Millionen Euro bereit, um armen Haushalten bei der Begleichung ihrer steigenden Stromrechnungen zu helfen. Überlegungen zur Ungleichheit könnten in die Entscheidungsfindung der Europäischen Zentralbank einbezogen werden, so Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel.

Der derzeitige Druck auf einkommensschwache Haushalte „ist ein sehr ernstes Problem“, sagte Holger Schmieding, Chefvolkswirt bei Berenberg. Obwohl die Eindämmung der Inflation in der Regel Sache der Zentralbanken sei, könne die EZB im Moment nichts tun - die Regierungen müssten Abhilfe schaffen.

Die Rufe nach Gegenmaßnahmen werden wahrscheinlich nur noch lauter werden. Schon vor dem Ausbruch der Pandemie wurde die Ungleichheit vielfach als zu groß empfunden, heißt es in einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD.

“Die meisten Menschen in den meisten Ländern fordern nachdrücklich eine größere Gleichheit der wirtschaftlichen Ergebnisse und Chancen”, so die in Paris ansässige Gruppe.

Die OECD konstatiert, dass Menschen im Allgemeinen eine umverteilende Steuerpolitik bevorzugen - was bedeutet, dass die Regierungen auch nach Abklingen der Inflation unter Handlungsdruck bleiben dürften. Im Moment steht die Entwicklung der Preise - die in der Eurozone derzeit so schnell steigen wie seit 2008 nicht mehr - im Mittelpunkt des Interesses.

Inflation trifft die Ärmsten am härtesten
Umfragen der Europäischen Kommission zufolge machen sich die weniger wohlhabenden Bürger des Kontinents tendenziell größere Sorgen über die Inflation als die Besserverdienenden. Kein Wunder: die ärmeren Haushalte geben einen größeren Teil ihres Einkommens für Lebensmittel aus, deren Kosten derzeit stark anziehen.

In Italien beispielsweise sind die Preise für Tomaten im Oktober gegenüber dem Vorjahr um zwölf Prozent gestiegen und auch bei anderen Grundnahrungsmitteln wie Nudeln und Olivenöl liegt der Preisanstieg höher als die Gesamtinflation.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde räumt zwar ein, dass der Prozess länger dauert als erwartet, sagt aber, dass der Preisdruck 2022 nachlassen wird. Es bestehen jedoch nach wie vor Aufwärtsrisiken: So könnten Lieferketten-Unterbrechungen andauern, solange die Kosten für Seefracht hoch bleiben.

Die Debatte weitet sich bereits aus
Wie andere Zentralbanken wurde auch die EZB beschuldigt, durch die quantitative Lockerung die zunehmende Ungleichheit zu befeuern. “Es besteht das Risiko, dass die Geldpolitik unverhältnismäßig stark denjenigen zugute kommt, die sich in den oberen Rängen der Vermögensverteilung befinden”, gestand Schnabel letzte Woche ein. Die EZB will ihr Programm zum Ankauf von Vermögenswerten im Dezember überprüfen.

Erik Nielsen, Chefökonom der UniCredit, sagt, dass sich die Einkommensverteilung in Europa in den letzten 10 oder 20 Jahren zwar nicht so stark verschlechtert habe wie in den USA und Großbritannien, das Problem der Ungleichheit aber nicht verschwinden werde. “Mehr als um irgendetwas anderes geht es um ein politisches Gefühl der Fairness”, ergänzt Nielsen. (aa)

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