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| Theorie

Warum das Warnsignal vom Arbeitsmarkt ein Fehlalarm sein könnte

Prof. Dr. Jan Viebig, Chief Investment Officer von Oddo BHF, kommentiert in seinem aktuellen "CIO View" das makroökonomische Umfeld des Fed-Zinsschritts und beleuchtet insbesondere die aktuelle Lage am US-Arbeitsmarkt.

Prof. Dr. Jan Viebig, Odoo BHF SE
Prof. Dr. Jan Viebig, Odoo BHF SE© Oddo BHF

„Die amerikanische Zentralbank Fed hat den Schritt vollzogen, auf den die Marktteilnehmer seit Wochen gewartet hatten: Erstmals seit 2020 hat sie ihre Leitzinsen wieder gesenkt. Allerdings hatten viele nicht damit gerechnet, dass der Zinsschritt so hoch ausfallen würde. Gleich um einen halben Prozentpunkt hat sie die Federal Funds Rate auf einen Korridor von 4,75 bis 5,00 Prozent gesenkt. Angesichts der Tatsache, dass die Fed traditionell eine Politik der kleinen Zinsschritte verfolgt, ist dieser Zinsschritt ungewöhnlich groß ausgefallen", rekapituliert Prof. Dr. Jan Viebig, Chief Investment Officer der Odoo BHF SE, die wohl wichtigste Entwicklung der vergangenen Tage.

Inflationsentwicklung am richtigen Weg
Gerechtfertigt war der Schritt laut Viebig durch den Rückgang der Inflation. Der Anstieg der Verbraucherpreise hat sich im August auf 2,5 Prozent verlangsamt, der Anstieg der Kerninflationsrate, die die Energie- und Lebensmittelpreise ausklammert, auf 3,2 Prozent. Das Bild erscheint nochmal entspannter, wenn man den von der Fed als Inflationsmaß bevorzugten Deflator der persönlichen Konsumausgaben anschaut: Daran gemessen lag die Teuerungsrate zuletzt bei 2,5 Prozent beziehungsweise bei 2,6 Prozent in der Kernrate. Das mittelfristige Ziel von 2,0 Prozent, das die Fed anstrebt, ist damit noch nicht ganz erreicht, doch die Bekämpfung der allgemeinen Teuerung bekommt einen geringeren Stellenwert.

Arbeitsmarkt rückt in den Fokus
Gleichwertig neben der Erhaltung eines stabilen Preisniveaus steht die Verpflichtung, einen möglichst hohen Beschäftigungsstand für die amerikanische Wirtschaft sicherzustellen. Hier haben die Risiken tendenziell zugenommen. Der Beschäftigungsaufbau hat sich verlangsamt, die Arbeitslosenquote ist von rund 3,5 Prozent zur Mitte 2023 auf 4,2 Prozent im August 2024 gestiegen, merkt Viebig an.

Dementsprechend war es folgerichtig, dass die Fed den Fokus verlagert und den Restriktionsgrad der Geldpolitik zurückzunehmen beginnt. Einen ersten Schritt dazu hat die Notenbank am Mittwoch unternommen. Wie die Terminmärkte zeigen, erwarten die Marktteilnehmer, dass die Fed sehr rasch weitere Zinssenkungen vornehmen wird. In den aktuellen Markterwartungen gehen die Marktteilnehmer davon aus, dass der Tagesgeldsatz bereits um die Mitte des Jahres 2025 unter die Marke von 3 Prozent sinken wird. Dort würde sich dann, passend zu den Vorstellungen der Notenbank zum langfristig neutralen Zinsniveau, ein Boden bilden. Die Fed veranschlagt den neutralen Zins, zu dem die Geldpolitik weder restriktiv noch expansiv auf die Wirtschaft wirkt, derzeit in einem Bereich zwischen 2,5 und 3 Prozent.

Viele Marktteilnehmer stellen sich die Frage, ob die Entwicklungen am Arbeitsmarkt und die konjunkturellen Perspektiven rechtfertigen würden, das Ruder herumzuwerfen: "Wir sind hier vorsichtig. Richtig ist, dass sich das Wachstum in den USA gegenüber dem Tempo der letzten vier Quartale – mit durchschnittlich rund drei Prozent - in ruhigere Bahnen zu bewegen scheint und sich der Beschäftigungsaufbau verlangsamt. Im zweiten Halbjahr lag der durchschnittliche Beschäftigungsanstieg bei 213 Tausend Stellen pro Monat, im ersten Quartal bei 267 Tausend Stellen, im zweiten Quartal bei 147 Tausend, im bisherigen Verlauf des dritten Quartals bei monatlich nur noch 115 Tausend", hält Viebig fest.

Parallel dazu fiel die Zahl der offenen Stellen. Der Überhang der offenen Stellen gegenüber der Zahl der Arbeitslosen hatte auf seinem Höhepunkt Mitte 2022 bei rund 6,8 Millionen gelegen. Bis Juli 2024 war die Differenz auf knapp 1,2 Millionen geschrumpft.

Rezessionssignal
Trotz des rasanten Beschäftigungsanstiegs ist die Arbeitslosenquote im Laufe der vergangenen Monate merklich gestiegen, von 3,4 Prozent im Tiefpunkt im April 2023 auf 4,2 Prozent im August 2024. Der Anstieg war immerhin so deutlich, dass gemäß der unter Ökonomen recht bekannten Sahm-Regel eine Rezessionswarnung ausgelöst wurde.

"Wie passt dies zu dem deutlichen Beschäftigungsaufbau? Die Lösung zu dieser Frage liegt auf der Angebotsseite des Arbeitsmarktes: Die Zahl der Arbeitslosen und die Quote sind angestiegen, weil eine entsprechend hohe Zahl von Menschen in den Arbeitsmarkt hineingegangen sind", merkt CIO Viebig an.

Entwarnung
Ein echtes konjunkturelles Warnzeichen wäre es derzeit, wenn die Zahl der Entlassungen zunähme. Aber weder die Ankündigungen von Arbeitsplatzabbau (Challenger Job Cut Announcements) noch die Angaben zu Entlassungen (JOLTS-Statistik) zeigen einen signifikanten Anstieg. Die Entlassungen und die Zahl der Erstanträge auf Arbeitslosenunterstützung haben leicht auf 230 Tausend angezogen. Dies ist allerdings noch undramatisch – im Sommer 2023 war die Zahl sogar leicht gestiegen, doch liegt dies bequem im Rahmen dessen, was in den vergangenen drei Jahren zu beobachten war. Kurzum: die Situation stellt sich etwas weniger günstig dar als im Frühjahr 2024.

Die Zeichen in der amerikanischen Wirtschaft sind somit in Richtung einer Verlangsamung der Konjunktur gerichtet. Allerdings geht Viebig davon aus, dass es den USA gelingen wird, eine Rezession zu vermeiden. Viebig erwartet einen Rückgang des Wirtschaftswachstums, nachdem es im zweiten Quartal 2024 noch bei 3,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr gelegen ist.

In den nächsten Monaten wird es den USA schwerfallen, die Zwei vor dem Komma zu halten. Damit übertrifft das Wachstum der USA allerdings immer noch deutlich das im Euroraum und vor allem auch das in Deutschland, wo die Ökonomen schon froh sind, wenn die Null vor dem Komma gehalten werden kann. Auch zeigt sich, dass die US-Wirtschaft bei allen Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen hat, immer noch in der Lage ist, Unternehmen hervorzubringen, die ein hohes Gewinnwachstum bei moderater Verschuldung erreichen und somit attraktive Eigenkapitalrenditen zeigen.

"Mit dieser Zinssenkung reagiert die Fed frühzeitig darauf, dass die US-Wirtschaft auf einen langsameren Wachstumspfad einschwenkt. Damit dreht sie den Restriktionsgrad ihrer Geldpolitik zurück und steuert den Leitzins in Richtung auf das neutrale Niveau. Wir glauben, dass die Geschwindigkeit der Zinssenkungen behutsamer sein wird als das Tempo, das die Märkte aktuell einpreisen", erklärt Viebig abschließend. (aa)

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