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| Theorie

KI erleichtert aktives Fondsmanagement, ersetzt es aber (noch) nicht

Die Frage liegt nah, wann und wie die Innovationskraft künstlicher Intelligenz auch die Finanzmärkte selbst revolutionieren wird. Thomas Kieselstein, Senior Partner bei Quoniam Asset Management, über Möglichkeiten und Grenzen des KI-Einsatzes im Asset Management.

Thomas Kieselstein: "Menschen werden auf absehbare Zeit noch eine wichtige Rolle bei Anlageentscheidungen spielen."
Thomas Kieselstein: "Menschen werden auf absehbare Zeit noch eine wichtige Rolle bei Anlageentscheidungen spielen."© Quoniam Asset Management

Dass die Erwartungen an Artificial Intelligence enorm hoch sind, das zeigt die spektakuläre Aktienkursentwicklung von Unternehmen mit Aktivitäten entlang der entsprechenden Wertschöpfungsketten. Da klinge es verlockend, auch die Vermögensanlage vollständig an Algorithmen zu delegieren, erklärt dazu Thomas Kieselstein, Senior Partner bei Quoniam Asset Management, die doch offensichtlich deutlich schneller analysieren und agieren könnten als menschliche Portfoliomanager. "Grundsätzlich kann KI moderne Asset Manager schon heute dabei unterstützen, Herausforderungen zu meistern", so Kieselstein, "doch Menschen werden auf absehbare Zeit noch eine wichtige Rolle bei Anlageentscheidungen spielen."

Portfoliomanager müssen täglich zahlreiche Entscheidungen treffen, erklärt Kieselstein, als Königsdisziplin gelte hier mit Recht die Prognose von Kursen und Renditen, die die Titelauswahl bestimme: "Gerade hier tut sich KI aber noch schwer. Entscheidend für den Erfolg von maschinellem Lernen ist die 'Signal-to-Noise-Ratio' (SNR), sinngemäß der Zusammenhang zwischen Input-Signalen wie Bilanzdaten und tatsächlichem Ergebnis wie einem Kursanstieg im Gegensatz zu Zufall, auch als 'Noise' bezeichnet.

Extrem komplexe Modelle
Die menschliche Sprache biete in der Regel eine hohe SNR. Ein Satz wie „Wir sind optimistisch hinsichtlich der Umsatzentwicklung“ sei ein klares Statement. Habe KI, in diesem Fall ein generatives Large-Language-Modell (LLM) wie ChatGPT die Feinheiten von Sprache erst einmal vollständig modelliert, dann werde sie die meisten Texte richtig interpretieren, und könne auch neue Gedanken formulieren. "Die Modelle sind aber sehr komplex, so Kieselstein, für die Bestimmung der unzähligen Parameter sind extrem viele Daten zum Training erforderlich, und die benötigte Rechenzeit ist außerordentlich hoch." Ein Grund, warum LLMs erst seit kurzem verfügbar seien.

"An Kapitalmärkten stehen dagegen nur wenig Datenpunkte für ein Training zur Verfügung, wenn die langfristige Kursentwicklung prognostiziert werden soll", fährt Kieselstein fort. "In der Praxis sind es zum Beispiel für globale Aktien circa 5.000 bis 10.000 Titel über gut 30 Jahre, im Vergleich zum immensen Datenschatz für Sprache gewissermaßen 'Peanuts'." Außerdem sei die Signal-to-Noise-Ratio sehr schwach, die Zusammenhänge an Kapitalmärkten seien instabil und würden einem Zufallsprozess ähneln. Entsprechend erreichten selbst die allerbesten Aktienanalysten wie auch quantitative Modelle nur geringe "Trefferquoten" von wenig über 50 Prozent.

Bewährungsprobe noch nicht bestanden
Zusammengefasst lasse sich im Grunde trotz der faszinierenden Möglichkeiten von einem "Small-Data"-Problem sprechen. Nicht weil "Big Data" fehlen würde, sondern schlichtweg, weil man zu wenig Testfälle habe, um bei schwachen Zusammenhängen viele Parameter zuverlässig zu bestimmen. Daher haben sich laut Kieselstein insbesondere generative KI-Modelle mit sehr vielen Parametern für die langfristige Prognose von Kursen oder Renditen bis heute nicht bewährt."

"Durch die Kombination menschlicher Expertise, zum Beispiel durch Beschränkung des Lösungsraums und der Freiheitsgrade lassen sich die neuen Techniken aber durchaus nutzen, um systematische Ansätze wie das Faktor-Investing zu verbessern", so der Quoniam-Experte. Nichtgenerative Machine-Learning-Methoden könnten beispielsweise dabei helfen, die optimale Gewichtung und Kombination von Input-Faktoren herzuleiten. Der Fortschritt bestehe insbesondere darin, dass nichtlineare Zusammenhänge wie etwa ein Liquiditätsengpass, der zu Insolvenz führen könnte, besser erkannt würden.

Beschränktheit älterer Modelle
Generative KI könne aber durchaus den Investmentprozess unterstützen und bei der Bewältigung großer Datenmengen helfen. Zum Beispiel indem sie längere Texte und andere Medien inhaltlich verstehe und aufbereite. Ältere Verfahren seien hier auf die Auswertung von Schlagworten oder Mustern beschränkt. Und seien schon an der Differenzierung zwischen einer "Steigerung von Umsätzen" und einer "Steigerung von Verlusten" gescheitert.

Den aktuellen LLMs sei es dagegen möglich, ein positives oder negatives Sentiment aus einem langen Kontext zu bestimmen, auch wenn die Sprache nicht ganz eindeutig sei. "Außerdem können sehr viele Inputs wie Nachrichten, Earnings Calls, Geschäftsberichte oder Informationen verwandter Unternehmen und s weiter verarbeitet und die Erkenntnisse aggregiert werden", erläutert Kieselstein. "Auf diese Weise generierte Sentiment-Signale sind zuverlässiger als klassische Trendindikatoren wie zum Beispiel der Kursverlauf und können somit die Entscheidungsqualität erhöhen."

Problem Nachvollziehbarkeit
Die Transparenz von Investmententscheidungen sei von großer Bedeutung für die Anleger, aber ebenso für den Fondsmanager. "Es sollte jederzeit möglich sein, die Gründe für eine Kauf- oder Verkaufsentscheidung nachzuvollziehen", erklärt der Quoniam-Mann. "Dies wäre bei vollständig KI-getriebenen Investment-Prozessen nicht oder nur mit großen Einschränkungen realisierbar." Gerade bei generativer AI, wie einer von ChatGPT erzeugten Antwort sei nicht immer klar, wie genau sie zu Stande gekommen sei. Und in der Praxis sei zu beobachten, dass LLM-Modelle "halluzinieren".

Derlei Black-Box-Entscheidungen seien für treuhänderische Vermögen nicht akzeptabel. "Sie sind weder geeignet, das Vertrauen von Anlegern zu gewinnen, noch erfüllen sie die Anforderungen des Portfoliomanagers, der die Performance-Verantwortung trägt", warnt Kieselstein und ergänzt, dass auch über Track Records etwaiger "rein" durch KI-Prognosemodelle gesteuerter Vermögen noch keine repräsentativen wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen.

Prozesse und Produktivität als Herausforderungen
Wie viele andere hochqualifizierte "White-Collar"-Jobs sei Asset Management trotz vieler technischer Möglichkeiten immer noch stark durch individualisierte und arbeitsaufwendige Workflows geprägt. Hier könne KI die Produktivität deutlich steigern:

& Bei der Fundamentalanalyse lassen sich typische Abläufe wie das Lesen von Research Reports, Emissionsprospekten, Finanzberichten etc. an Bots delegieren, die dem Portfoliomanagement in kurzer Zeit Antworten auf konkrete Fragen liefern.

& Empirische Kaptalmarktanalysten können die gesamte wissenschaftliche Literatur zu einem Thema rasch auswerten.

& Portfoliomanager können gesamte Portfolien nach flexiblen Kriterien screenen, um etwa Antworten auf die Frage nach ad hoc aufgetretenen geopolitischen Risiken zu finden.

& Neue Reporting Solutions ermöglichen es Anlegern, einer KI-Anwendung direkt Fragen zu Ihrem Portfolio zu stellen.

& Die Entwicklung proprietärer Software zur Analyse – sogar die Entwicklung angepasster KI-Modelle – beschleunigt sich, da große Teile des Codes automatisch generiert werden können.

"Viele neue Applikationen werden folgen, um Managern und Anlegern einen Zeit- oder Wissensvorsprung zu verschaffen", resümiert Kieselstein. Aufgrund der allgemeinen Verfügbarkeit der Technologie müssten Asset Manager hier am Ball bleiben, um kompetitiv zu sein. Leider stehe zu befürchten, dass regulatorische und datenschutzrechtliche Fragen noch einige Zeit offenbleiben.

Innovation allein noch kein Garant für Performance
Es sei davon auszugehen, dass die Weiterentwicklung der Technologie viele weitere faszinierende Möglichkeiten erschließen werde, aber den menschlichen Portfoliomanager zunächst nicht ersetzen, sondern eher unterstützen werde, sowohl durch Aufbereitung als auch Aggregation vieler Datenquellen wie bei der der Automatisierung von Routineaufgaben.

Voraussetzung für die optimale Nutzung sei, dass die Strukturierung und Konfiguration der Modelle durch erfahrene Kapitalmarktexperten erfolge und nicht ausschließlich auf Technologie und Rechenpower gesetzt werde. "Wer die Expertise eines Anbieters überprüfen möchte, sollte sich daher an Track Record und Methodenkompetenz für systematische Strategien orientieren", rät Kieselstein. "Schließlich arbeiten quantitative Investmentspezialisten seit langem mit sehr ähnlichen Methoden an der Analyse systematischer Zusammenhänge an Kapitalmärkten." (hh)

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