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EU und UK im Regulierungswettstreit um den Finanzsektor

Es gab eine Debatte darüber, ob die regulatorischen Unterschiede zwischen den Finanzsektoren der Europäischen Union und des Vereinigten Königreichs nach dem Brexit sozusagen bereinigt sind, berichtet Dr. Alpay Soytürk, Chief Regulatory Officer bei Spectrum Markets.

Dr. Alpay Soytürk, Chief Regulatory Officer bei Spectrum Markets
Dr. Alpay Soytürk, Chief Regulatory Officer bei Spectrum Markets© Spectrum

Da Großbritannien und die EU zwischen Juni 2016, dem Datum des Brexit-Referendums, und dem Ende der Brexit-Übergangszeit, die am 31. Dezember 2020 auslief, keine Fortschritte bei der gegenseitigen Angleichung der Regulierung des Finanzsektors erzielt haben, war eine gemeinsame Erklärung über die Bereitschaft zur Zusammenarbeit in regulatorischen Aspekten alles, was in dem um Weihnachten 2020 angenommenen 1.276-seitigen Handels- und Kooperationsabkommen zu finden war.

Bereitschaft zur Kooperation - und was sonst noch?
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Obwohl Ende März dieses Jahres eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit in Regulierungsfragen unterzeichnet wurde, fehlen Details", weiß Dr. Alpay Soytürk, Chief Regulatory Officer bei Spectrum Markets. "Die Weigerung der EU, Großbritannien die "Äquivalenz" zu gewähren wurde als Indikator für die Unvereinbarkeit der Positionen gesehen. Wohin das führen wird, ist noch unklar – warum das wichtig ist, nicht."

EU gewährt Großbritannien keine Äquivalenz
Betrachtet man die gegenwärtigen Unterschiede – und diejenigen, die in Zukunft zu erwarten sind, wenn einflussreiche Stimmen wie die des britischen Arbeitskreises für Innovation, Wachstum und Regulierungsreform Gehör finden – könnte man zu dem Schluss kommen, dass es zwei divergierende Strömungen der Finanzmarktregulierung geben könnte, die jeweils um die beste Kombination aus Kundenschutz, Marktstabilität und -integrität und fairem, lebendigem Wettbewerb konkurrieren.

Zwei divergierende Strömungen der Finanzmarktregulierung
Dr. Alpay
Soytürk sagt dazu: "Außerdem liegt es auf der Hand, dass dies zu einem Wettlauf nach unten bei den Regulierungsstandards führen muss, da beide Rechtsordnungen auch miteinander im Wettbewerb um die Anziehungskraft für Big Finance sowie um den fruchtbarsten Boden für Innovationen und junge Unternehmer zur Entwicklung von Zukunftstechnologien z.B. im Zahlungsverkehr, bei Handels- oder Nachhandelsdienstleistungen oder in anderen Bereichen stehen. Insbesondere die vorgeschlagene Dark-Pool-Verordnung deutet darauf hin, dass London versucht sein könnte, einen Teil des Handelsvolumens zurückzugewinnen, das es infolge des Austritts aus der Europäischen Union an den Kontinent verloren hat."

Ringen um Marktanteile, Wettlauf nach unten bei den Regulierungsstandards
Andererseits könnte argumentiert werden, so Soytürk weiter, dass es Faktoren gebe, die den Spielraum für eine ungezügelte Lockerung der Normen einschränken. Einer davon sei, dass die Branche die Anwendbarkeit unterschiedlicher Standards für ein und dieselbe Dienstleistung generell ablehne. Die Banken hätten sich infolge des Brexits darauf eingestellt, unterschiedliche Kundenstämme von unterschiedlichen Hauptsitzen aus zu betreuen. Unterschiedliche Standards seien jedoch mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand verbunden, damit die internen Prozesse effizient bleiben. "Bei einer Abwägung zwischen niedrigeren Standards für einen Teil des Geschäfts und höheren Standards für einen anderen Teil gegenüber höheren Standards für den größeren Markt um den Preis eines vollständigen Rückzugs aus dem kleineren Markt, könnten sich viele Unternehmen für das letztere Szenario entscheiden", gibt der Regulierungsexperte zu verstehen.

Was sagt die Kundschaft dazu?
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Reifegrad des Kundenstamms, d. h. die Frage, inwieweit die Kunden an Standards gewöhnt sind, die sie nicht missen möchten, oder die Erwartungen der Allgemeinheit an die Durchsetzung von Standards zum Schutz ihrer Interessen.

UK könnte kleineren, jüngeren Unternehmen gegenüber weniger restriktiv sein
In diesem Zusammenhang ist es denkbar, dass Großbritannien ein Regulierungssystem einführt, das flexibler auf kurzfristige Veränderungen reagieren kann und weniger restriktiv gegenüber kleineren Unternehmen ist, deren Tätigkeiten weniger einschneidend sind oder die in der Anlaufphase ihrer Unternehmen bestimmte Ausnahmen benötigen.

EU will Ähnliches
Die EU versucht übrigens, einen ähnlichen Ansatz zu verfolgen, wie Regulierungsvorschläge wie ihre DLT-(Distributed-Ledger-Technologie)-Pilotregelung zeigen. Dr. Soytürk: "Was die Regulierung anbelangt, ist daher unseres Erachtens ein allgemeiner Trend zu mehr Flexibilität, Verhältnismäßigkeit und der Würdigung neuer Technologien und globaler Trends wahrscheinlicher. Dieses Phänomen, bei dem die Akteure in Politik, Recht und Wirtschaft darauf hinarbeiten, ein möglichst anspruchsvolles Umfeld für Unternehmen zu schaffen, wird als "Competitive Governance" bezeichnet. Man könnte es auch einen Wettlauf an die Spitze nennen.“ (kb)

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