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Unigestion: Bewertung ist keine Chance, sondern eine Falle

Florian Ielpo von Unigestion ist für die Aktienmärkte pessimistisch gestimmt, solange sich bei wichtigen Stellschrauben nichts Entscheidendes ändert. Eine davon ist die fundamentale Bewertung. Denn viele Probleme seien noch nicht eingepreist, Analysten und Investoren zu optimistisch eingestellt.

Florian Ielpo, Leiter Makro-Research beim Vermögensverwalter Unigestion
Florian Ielpo, Leiter Makro-Research beim Vermögensverwalter Unigestion© Unigestion

Florian Ielpo, Leiter Makro-Research bei Unigestion, hat sich in einer Bestandsaufnahme zu den Märkten im Zuge der Corona-Pandemie mit den aktuellen Bewertungen von Aktien beschäftigt und mit der Frage, ob die aktuellen Niveaus tatsächlich gute Einstiegsgelegenheiten darstellen. Sein Ergebnis werden die Bullen nicht gerne hören wollen, auch wenn sich Aktien seit Jahresanfang gemessen an den Kursen verbilligt hätten.

Bewertungslücken
Zu Jahresanfang wiesen fast alle Vermögenswerte, gemessen am Carry, teure Bewertungen auf. Nach der starken Performance fast aller Risikoprämien im Jahr 2019 waren die Vermögenswerte im historischen Vergleich so teuer, dass diese Bewertung aus der Zeitreihen-Perspektive alle relativen Wertchancen bei der Betrachtung des Carry aus einer Querschnittsperspektive überlagerte. „Mit dem Ausverkauf wachstumsorientierter Vermögenswerte gibt es nun jedoch deutliche Bewertungslücken“, erklärt Ielpo und verweist auf nachfolgend Abbildung. Diese fasst den aktuellen Kontext aus diesen beiden Perspektiven zusammen, wo institutionelle Investoren sehen können, wie viele Risikoprämien im Verhältnis zu ihrer eigenen Geschichte (gemessen am Carry) sehr billig sind:

Abb. 1: Bewertung von Risikoprämien (von -2 bis +2)

Source: Bloomberg, Unigestion, as of 31.03.2020

Value-Traps drohen
Angesichts der von Unigestion schwierig erwarteten Makrobedingungen sei es von entscheidender Bedeutung zu prüfen, ob es sich dabei um echte Bewertungschancen oder um so genannte „Value-traps“ handelt. Im Falle von Aktien sei es laut Ielpo hilfreich, dabei eine Reihe von Bewertungskennzahlen zu berücksichtigen, die von Anlegern oft in Betracht gezogen werden.

Abbildung 2 zeigt einige dieser Messgrößen für Aktien aus Industrie- und Schwellenländern, sowie für den S&P 500, in Form von historischen Perzentilen, um Vergleiche zu erleichtern. Unabhängig davon, ob man den Wert von Aktien im Verhältnis zu den Verkäufen, Gewinnen, Buchwerten, Dividenden oder Cashflows bewertet, sei es Ielpo zufolge offensichtlich, dass sie kostengünstiger geworden sind. Tatsächlich liegt der Median des Bewertungsperzentils für den breiten Aktienmarkt deutlich unter seinem langfristigen Median. Aus rein historischer Sicht sind die erwarteten Renditen recht attraktiv: Auf diesen Niveaus haben die Aktien der Industrieländer eine durchschnittliche monatliche Rendite von 2,2 Prozent, die Aktien der Schwellenländer 1,1 Prozent und der S&P 500 1,3 Prozent erzielt.

Abb. 2: Bewertungsparameter von Aktien im historischen Vergleich (in Percentilen)

Source: Bloomberg, Unigestion, as of 31.03.2020

Depression ist schwer zu berücksichtigen
Es sei laut Ielpo jedoch wichtig, die Treiber dieser Bewertungskennzahlen zu entwirren. Zwar habe es eine erhebliche Anpassung der Aktienkurse gegeben, aber viele Fundamentaldaten aus den Unternehmen, die zur Bewertung dieser Kurse verwendet werden, berücksichtigen entweder noch nicht die Auswirkungen von COVID-19 (da sie rückwärtsgerichtet sind) oder wurden nicht vollständig angepasst (da Analysten noch immer versuchen, mit der Unsicherheit über die Auswirkungen des Virus auf künftige Entwicklungen zurechtzukommen).

„Werfen wir zum Beispiel einen Blick auf die Analystenschätzungen für das Wachstum des Gewinns pro Aktie (Earnings per share, EPS) im Jahr 2020, die zur Bestimmung des zwölfmonatigen vorausschauenden KGV verwendet werden. Obwohl die EPS-Wachstumsschätzungen im letzten Monat deutlich gesunken sind, deuten sie immer noch auf eine nur leichte Gewinnrezession von etwa minus sechs Prozent für Aktien aus Industrieländern und minus vier Prozent für Aktien aus Schwellenländern und des S&P 500 für dieses Jahr hin“, erklärt Ielpo mit Verweis auf Abbildung 3.

Zum Vergleich: Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise von 2008 schrumpfte das reale BIP der USA zwischen dem 2. Quartal 2008 und dem 2. Quartal 2009 um vier Prozent, während in diesem Zeitraum die EPS der Unternehmen des S&P 500 insgesamt um 31 Prozent fielen. Wenn heute ein ähnliches Verhältnis besteht, würden die EPS in Unigestions Kernszenario, in dem das US-BIP in diesem Jahr um drei Prozent schrumpft, wahrscheinlich um über 20 Prozent fallen (und um über 45% in Unigestions Risikoszenario). „Wir gehen davon aus, dass mit der Veröffentlichung von Makrodaten und dem Beginn der Gewinnsaison in einigen Wochen die Analystenschätzungen weiter stark nach unten revidiert werden und die Anleger beginnen werden, den Umfang der wirtschaftlichen Abschwächung zu realisieren“, warnt Ielpo

Abb. 3: Analystenerwartungen für das 2020 EPS-Wachstum (yoy)

Source: Bloomberg, Unigestion, as of 31.03.2020

Langfristvergleich
Die letzte Grafik von Unigestion liefert einen langfristigen Kontext für die aktuelle Situation und untersucht, wie die Einbrüche der Aktienmärkte in Rezessionsphasen ausgesehen haben. In der Abbildung konzentrieren sich der Asset Manager auf die USA, um ein lange historischen Zeitreihe zu haben und auch, weil sich viele unserer Sorgen um das Wirtschaftswachstum auf die USA konzentrieren.

Abb. 4: S&P 500 Drawdowns während US-Rezessionen

Source: Bloomberg, Unigestion, as of 31.03.2020

Wie das obere Schaubild zeigt, kam es in der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg zu großen Wachstumsschwankungen, als die Wirtschaft wieder auf die Beine kam. Die Einbrüche beim S&P 500 blieben jedoch relativ niedrig: Das Sentiment war in den 1950er Jahren stark, da die Anleger grundsätzlich in eine stabile Zukunft blickten. Tatsächlich konnte der S&P 500 eine Baisse bis 1970 vermeiden, als eine fast zehn Jahre währende Expansion endete. Seitdem gab es einige kurzlebige Rezessionen (Anfang 1980 und Ende 1990) mit leichten Einbrüchen.

Während der meisten verbleibenden Rezessionen (1973-1974: Ende des Bretton-Woods- Systems und Ölkrise; 1981-1982: Volcker-Zinserhöhungen zur Inflationsbekämpfung; 2001: Platzen der Technologieblase; 2007-2009: Globale Finanzkrise) kam es jedoch zu deutlichen Ausverkäufen, die den jüngsten Einbruch von 34 Prozent von seinem Höchststand beim S&P 500 relativ gemächlich erscheinen lassen.

„Es sind diese zusätzlichen Bewertungsperspektiven, die uns zögern lassen, aus der erheblichen Neubewertung von Aktien Kapital zu schlagen. Solange die Gewinnerwartungen nicht auf realistischere Niveaus fallen, die Kurse nicht weiter korrigiert werden oder es keine deutliche Verbesserung bei der Ausbreitung des Virus gibt, halten wir Aktienbewertungen zu diesem Zeitpunkt eher für eine Falle als für eine Chance“, warnt Ielpo. (aa)

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