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Strukturwandel muss nicht zwangsläufig zur Deindustrialisierung führen

De-Carbonisierung, De-Globalisierung und Digitalisierung lösen einen Strukturwandel in der deutschen Industrie aus. Energieintensive Branchen schrumpfen, aber auch Wachstumspotentiale in anderen Sektoren treten in Erscheinung. Konservierung bestehender Strukturen mittels Subventionen ist falsch.

Axel Angermann, Chef-Volkswirt von Feri
Axel Angermann, Chef-Volkswirt von Feri© Feri

Die vielfach befürchtete De-Industrialisierung Deutschlands ist kein unabwendbares Schicksal. Der notwendige strukturelle Wandlungsprozess der deutschen Wirtschaft sollte aber ergebnisoffen gestaltet und auf massive Subventionen zugunsten einzelner Wirtschaftszweige verzichtet werden. Das ist das zentrale Ergebnis einer lebhaften Diskussion, die die Feri-Experten im Rahmen des 36. Feri-Konjunktursymposiums gemeinsam mit ihren zahlreichen Gästen aus verschiedenen Teilen der Wirtschaft führten.

Strukturkonservativismus, nein danke
„Die deutsche Wirtschaft muss mindestens drei Wandlungsprozesse gleichzeitig bewältigen: Erstens die De-Karbonisierung, die vorerst zu anhaltend hohen Energiepreisen führt, zweitens die De-Globalisierung, die den bisherigen Vorteil einer hohen Außenhandelsorientierung begrenzt, und drittens die Digitalisierung, die bisherige Geschäftsmodelle grundsätzlich in Frage stellt“, führte Axel Angermann, Chef-Volkswirt von Feri, aus. Deutschland sei hier deutlich stärker betroffen als andere europäische Länder, weil das bisherige Geschäftsmodell durch einen überdurchschnittlich hohen Exportanteil, eine überdurchschnittlich hohe Verflechtung mit China und eine überdurchschnittlich starke Abhängigkeit von fossilen Energieträgern aus Russland bestimmt gewesen sei.

Automobilindustrie akut gefährdet
Die Produktion energieintensiver Industriezweige werde in den kommenden Jahren weiter sinken: Für die Grundstoffchemie rechne FeriI mit einem kumulierten Rückgang um mehr als 20 Prozent bis zum Jahr 2030, für die Stahlerzeugung und die Papierherstellung um mehr als zehn Prozent. „Dies ist jedoch keineswegs neu, sondern die Fortsetzung eines bereits seit Jahren laufenden strukturellen Wandels, den es in der Vergangenheit auch in anderen Sektoren wie der Bekleidungsbranche gab“, machte Dagmar Kirsten, Leiterin der Branchenanalyse, deutlich.

Chinesische Herausforderungen
Kritisch zu sehen sei allerdings die Entwicklung in der Automobilindustrie infolge der Elektrifizierung und grundsätzlich veränderter Anforderungen an ihre Produkte. Besonders der Verlust von Marktanteilen in China, als dem wichtigsten Markt für die deutschen Hersteller, sei in diesem Zusammenhang besorgniserregend. Auch eine wichtige Branche wie der Maschinenbau werde auf seinen globalen Absatzmärkten immer stärker durch chinesische Anbieter herausgefordert.

Schrumpfenden Branchen hier, positives Wachstumspotential da
Zu letzteren zählt die Informations- und Kommunikationsbranche, die in den kommenden Jahren vier- bis fünfmal so stark wachsen könne wie die Gesamtwirtschaft. Um dieses Potenzial stärker zu nutzen, benötige Deutschland allerdings generell eine deutlich konstruktivere Einstellung zur Digitalisierung sowie konsequente und schnelle Maßnahmen wie beispielsweise eine umfassende Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Erforderlich seien auch eine grundlegende Überarbeitung der Datenschutzgrundverordnung und verbesserte Rahmenbedingungen für digitale Geschäftsmodelle.

Subventionen nicht zielführend
Massive Subventionen für „alte“ Branchen und etablierte Problemlösungen seien dagegen nicht der richtige Weg, den Strukturwandel zu begleiten, weil dadurch bestehende Strukturen zu stark konserviert würden und die dort gebundenen Ressourcen auch für innovative Prozesse fehlten. Stattdessen sollten die Kosten der De-Karbonisierung für die Unternehmen generell begrenzt werden. Möglich sei dies, indem etwa der Strompreis vom Gaspreis entkoppelt werde. Grundsätzlich sollten die Rahmenbedingungen für den Strommarkt neu geordnet und die europäische Integration der Strommärkte vorangetrieben werden.

Neue Handelsabkommen und keine Festlegung auf bestimmte Technologien
Um bestehende Abhängigkeiten von China zu verringern, seien Abschluss und Umsetzung neuer Handelsabkommen hilfreich. Neben dem Abbau von überbordenden Regulierungen und einer grundsätzlichen Beschleunigung vieler Prozesse komme es entscheidend darauf an, den Entwicklungspfad offen zu halten und nicht durch Festlegungen auf bestimmte Technologien von vorneherein künstlich zu verengen. Dies sei eine Aufgabe nicht nur für die Politik, sondern auch für die Gesellschaft als Ganzes.

Rohstoffversorgung
Den Aspekt der Versorgung der deutschen Wirtschaft mit Rohstoffen beleuchtete in einem weiteren Vortrag Dr. Peter Buchholz, Leiter der Deutschen Rohstoffagentur, der bestehende Preis- und Lieferrisiken aufzeigte und mögliche Ausweichstrategien skizzierte. (kb)

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