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Steht nun die "Ent-Dollarisierung" des Weltfinanzsystems vor der Tür?

Der Ukraine-Krieg und die Sanktionen des Westens gegen Russland befördern vermutlich die „Ent-Dollarisierung“ des Weltfinanzsystems – eine Entwicklung mit überaus weitreichenden Konsequenzen, die auch die Rolle des Goldes tendenziell aufwerten dürfte, meint Degussa-Chefökonom Dr. Thorsten Polleit.

Professor Dr. Thorsten Polleit, Chefvolkswirt bei der Degussa Goldhandel GmbH
Professor Dr. Thorsten Polleit, Chefvolkswirt bei der Degussa Goldhandel GmbH© Degussa

Der US-Dollar ist nach wie vor die weltweit dominante Währung." Er ist gewissermaßen so etwas wie die inoffizielle Weltwährung. Diese Rolle hat der US-Dollar seit 1945 inne, als man ihn im System von Bretton Woods als Weltreservewährung inthronisierte", führt Professor Dr. Thorsten Polleit, Chefvolkswirt der Degussa Goldhandel, aus. "Damals war der US-Dollar noch an das physische Gold gebunden: 35 US-Dollar entsprachen einer Feinunze Gold. Selbst nach dem Ende des Systems von Bretton Woods 1971 - in dem Jahr beendete US-Präsident Richard Nixon die Goldeinlösepflicht des US-Dollar - beziehungsweise im Jahr 1973, als die Deutsche Bundesbank aufhörte, den US-Dollar/D-Mark-Wechselkurs zu stützen -, behielt das Geld der USA seine herausragende Bedeutung für das Weltfinanzsystem."

Noch herrscht US-Dollar-Dominanz
Offizielle Währungsreserven in Milliarden US-Dollar nach nationalen Währungen

Beispielsweise zeigt die letzte Datenerhebung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) aus dem Jahr 2019, dass der US-Dollar nach wie vor die am meisten gehandelte Währung ist: Der US-Dollar war an 88,3 Prozent aller Devisenmarkttransaktionen beteiligt (2016: 87,6 Prozent).

Doch die „kleine Währungen“ holen auf
Anteil der nationalen Währungen an den gesamten Währungsreserven in Prozent

Konsequenzen der US-Dollar-Dominanz
Mit der Dominanz des US-Dollar in der internationalen Wirtschafts- und Finanzarchitektur geht bekanntlich eine gewaltige (geo-)politische Macht für die US-Regierung einher. Sie kann bestimmen, wer Zugang zum US-Dollar-Markt, zum US-Finanzsystem erhält und wer nicht, kann die Bedingungen setzen, unter denen ausländische Akteure im US-Dollarsystem teilnehmen können beziehungsweise ausgeschlossen werden. Denn der US-Dollar in letzter Konsequenz nur von der US-Zentralbank (Fed) bereitgestellt. Besitzt beispielsweise eine Firma im Euroraum ein US-Dollar-Konto bei ihrer Bank in Frankfurt, so hält die Bank in Frankfurt (über ihre Auslandsfiliale) entweder ein entsprechendes Dollar-Guthaben bei der Fed oder bei einer US-Korrespondenzbank. Die Fed, das US-Schatzamt, das US-Verteidigungsministerium oder andere US-Regierungsinstitutionen können daher Einfluss darauf nehmen, wer über US-Dollar-Guthaben verfügen kann und wer nicht.

Sanktionen
Sie sind seit je her vor allem auch ein politisches Instrument, mit dem Regierungen versuchen, Einfluss auf das Verhalten anderer Regierungen zu nehmen. Sanktionen werden meist als ein Mittel der Konfliktlösung angesehen. Die Vereinten Nationen haben dabei das formale Monopol auf Zwangsmaßnahmen und legitime Gewaltanwendung. Nach Artikel 41 der UN-Charter kann der UN-Sicherheitsrat Sanktionen verhängen, soweit er eine Gefahr für Frieden und Sicherheit feststellt. Sanktionen können sehr unterschiedlich gestaltet sein. Im einfachsten Fall lassen sich wirtschaftliche und finanzielle Sanktionen unterscheiden. Bei wirtschaftlichen Sanktionen unterbindet man meist den Güterhandel mit bestimmten Ländern: Exporte und/oder Importe mit zum Beispiel Waffen und Energie werden eingeschränkt oder ganz untersagt. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass wirtschaftliche Sanktionen sich nicht immer als zielgerecht erwiesen haben. So lösen sie nicht selten Umgehungsstrategien der Betroffenen aus (Umlenkung von Handelsströmen). Zudem können Wirtschaftssanktionen die breite Bevölkerung des sanktionierten Landes treffen und damit zulasten vieler unschuldiger Menschen ausfallen.

Retorsionseffekte
Weiterhin können Sanktionen Gegensanktionen der Betroffenen auslösen und auf diese Weise zu einer kollektiven Selbstschädigung führen: Nicht nur das sanktionierte Land leidet dann wirtschaftlich, sondern auch die Menschen im Sanktionen erlassenden Land. Und nicht zuletzt können Sanktionen zuweilen auch ein sanktioniertes Land, ein sanktioniertes Regime stärken, wenn sie zu einer inneren „Wagenburg-Mentalität“ führen gegen den „äußeren Feind“ und die Oppositionskräfte im Land schwächen.

Scharfes Schwert
Finanzielle Sanktionen sind ein ganz besonders scharfes Schwert in einer zusehends arbeitsteilig organisierten Weltwirtschaft. Dr. Polleit dazu: "Das gilt vor allem für finanzielle Sanktionen, die von den USA mit ihrer Dollar-Dominanz verhängt werden können. Die US-Regierung kann beispielsweise heimischen Banken untersagen, Überweisungen bestimmter Adressen durchzuführen, bestimmte Währungen zu handeln oder Kredite an bestimmte Schuldner zu vergeben. Sie kann auch den Handel mit Schuldpapieren und Aktien aus Ländern, die sanktioniert werden, an US-amerikanischen Börsenplätzen aussetzen und damit den US-Dollar-Kapitalzugang der betroffenen staatlichen und nicht-staatlichen Akteure unterbinden. Aber der Arm der US-Regierung reicht aber noch viel weiter. Die US-Regierung kann auch Sanktionen androhen gegenüber unbeteiligten Drittländern und sie dadurch „auf Linie bringen“: Es wird beispielsweise gesagt, dass Banken im Ausland, die Geschäft mit Ländern abwickeln, die von Amerika finanziell sanktioniert werden, ihrerseits finanziell sanktioniert werden, indem sie ebenfalls vom US-Dollar-Markt abgeschnitten werden. Auf diese Weise weitet sich der „Zugriffsradius“ der US-Regierung weit über die eigenen Landesgrenzen hinweg aus und erreicht eine große Anzahl von Institutionen, die sich zur Durchsetzung von US-amerikanischen Finanzsanktionen einspannen lassen."

Finanzielle Kriegsführung
Gerade in Zeiten zunehmender Digitalisierung und Datenvernetzung setzen die USA verstärkt die sogenannte „Financial Warfare“ (übersetzt: „Finanzielle Kriegsführung“) ein. Die Idee der „Financial Warfare“ wurde bekannt und ein öffentliches Diskussionsthema vor allem mit der Veröffentlichung von Juan C. Zarates Buch „Treasury’s War. The Unleashing of a New Era Financial Warfare“ im Jahr 2013." Financial Warfare kam verstärkt während der US-Präsidentschaft von George W. Bush und vor allem auch unter Barack Obama zum Einsatz. In seinem Buch legt Zarate die neue finanzielle Strategie der USA dar, terroristischen Organisation und feindlichen Staaten mit finanziellen Sanktionen zu begegnen mit dem Ziel, ihnen das Handwerk zu legen, Übeltäter dingfest zu machen und politische Kurswechsel herbeizuführen", weiß Polleit.

Ganz neu ist die Strategie allerdings nicht
Vielmehr reicht die „Financial Warfare“ sogar recht weit zurück. Zu denken ist beispielsweise an die Zeit der SuezKanal-Krise. Im Jahr 1956 schickten Großbritannien und Frankreich Truppen an den Suez-Kanal, um seine Nationalisierung durch die ägyptische Regierung zu verhindern. US-Präsident Dwight Eisenhower wies daraufhin das US-Schatzamt an, Britische Pfund im Devisenmarkt zu verkaufen und so den Wechselkurs des Pfunds gegenüber dem US-Dollar abzuwerten. Die Briten mussten daraufhin mit ihren knappen US-Dollarreserven das Pfund stützen und verloren dadurch knappe Devisen zum Kauf von Importgütern. In London und auch in Paris verstand man die Botschaft Eisenhowers und zog letztlich die Truppen wieder ab.

Harte Russland-Sanktionen
Die USA haben gemeinsam mit ihren europäischen Alliierten sehr harte Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegenüber Russland erlassen als Reaktion auf den kriegerischen Angriff russischer Truppen auf die Ukraine. Dadurch ist Russland nun wirtschaftlich und finanziell de facto vom Rest der Welt isoliert. Mit den Export- und Importrestriktionen ist ein Rückzug vieler westlicher Firmen aus dem russischen Markt verbunden. So gut wie alle russischen Banken sind von SWIFT ausgeschlossen, bis auf die Institute, die bei der Abrechnung der Erdgas- und Rohöl-Lieferungen in den Westen bedeutend sind – das sind die Sberbank und die Gazprombank. Der Westen kann also russische Gas- und Öllieferungen bezahlen, die russischen Energieexporteure erhalten die US-Dollar- beziehungsweise Euro-Verkaufserlöse auf ihren Konten bei westlichen Korrespondenzbanken gutgeschrieben, können aber derzeit nicht über die Guthaben verfügen.

Handelsaussetzung bei russischen Wertpapieren
Weiterhin sind Anleihen russischer Emittenten und Aktien russischer Firmen vom Handel an den westlichen Börsenplätzen ausgesetzt. Westliche Banken haben den Handel mit Rubel eingestellt, und russische Kreditnehmer erhalten keine Darlehen in zum Beispiel US-Dollar, Euro, Britischen Pfund und Kanadischen Dollar mehr. Vor allem die Währungsreserven Russlands, verwaltet von der russischen Zentralbank, sind zum großen Teil eingefroren; das gilt für Reserven in den Währungen der westlichen Welt, nicht aber für Russlands Guthaben in chinesischem Renminbi. (Das führt übrigens zu einem Folgeproblem: Russland hat ausstehende US-DollarAnleihen, auf die Zins- und Tilgung zu zahlen sind. Wenn Russland nicht auf seine Fremdwährungsreserven zugreifen kann, kann auch der Schuldendienst nicht gezahlt werden, und es käme zu einem Kreditausfall – obwohl Russland ausreichend US-Dollar Guthaben hat, um seine Schulden zu begleichen. Die Leidtragenden wären in diesem Fall die Sparer und Anleger im Westen, die Geld (über Lebensversicherungen, Fonds etc.) in russische Fremdwährungsanleihen investiert haben.)

Grenzen der "Financial Warfare"
Die Macht des US-Dollar ruht auf seiner weltweiten Akzeptanz als Zahlungsmittel. Die wird jedoch dann beeinträchtigt, wenn, wie jüngst im Falle Russlands, staatliche Stellen und private Investoren befürchten müssen, dass ihre US-Dollar-Guthaben mitunter ihrem Zugriff entzogen werden könnten, dass ihnen also die Abhängigkeit vom US-Dollar-System zum Problem wird. Staaten und private Akteure, die sich auf der politischen Linie mit der US-Regierung und ihrer Interessenlage befinden, werden das zunächst vermutlich nicht als gravierendes Problem ansehen. Jene Staaten und private Akteure hingegen, die befürchten, den Kurs der US-Regierung künftig möglicherweise nicht immer und überall mittragen zu können, werden vermutlich im US-Dollar nicht mehr einen „Safe Haven“ erblicken.

Ent-Dollarisierung ante portas?
Durch die jüngsten Ereignisse erhält so gesehen die viel beschworene These der „Ent-Dollarisierung“ des Weltfinanzsystems neue Nahrung. Nach wie vor stellt der US-Dollar die größte Position dar innerhalb der Fremdwährungsreserven der Zentralbanken weltweit. Im vierten Quartal 2021 beliefen sich die gesamten Devisenreserven der Zentralbanken weltweit auf 12,8 Billionen US-Dollar. Davon waren 55 Prozent oder 7,1 Billionen US-Dollar. "Auf Platz zwei – bereits stark abgeschlagen – lag der Euro mit 2,5 Billionen US-Dollar Gegenwert oder 19,1 Prozent aller Fremdwährungsreserven. Die übrigen Währungen (wie japanischer Yen, Kanadischer Dollar, Britisches Pfund und chinesischer Renminbi) haben zwar in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, sie spielen aber Stand heute immer noch eine eher untergeordnete Rolle", so Polleit.

Renaissance der Bartergeschäfte unwahrscheinlich
Wenn quasi Abschied vom US-Dollar als quasi Weltgeld genommen werden soll, was ist an seine Stelle zu setzen? Wenn immer mehr Marktakteure den US-Dollar meiden und es stattdessen vorziehen, den Handel in ihren nationalen Währungspaaren abzuwickeln, dann ist das zwar durchführbar, es wäre jedoch so etwas wie ein Zurückschreiten in die Welt der „Bartergeschäfte“. Die grenzüberschreitende Wirtschaftsrechnung und der Handel werden erschwert, werden teurer und ineffizienter. Wohlstandseinbußen wären die Folge, weil auch der Grad der internationalen Arbeitsteilung in Mitleidenschaft gezogen würde. Es käme zu einer Art „Balkanisierung“ des Weltfinanz- und Wirtschaftssystems: Teile des bisher integrierten Finanzmarktgeschehens brechen aus der Gesamtarchitektur heraus.

Financial Warfare könnte zum Brandbeschleuniger bei der Ent-Dollarisierung werden
"Es hängt entscheidend davon ab, wie ausgeprägt die geopolitischen Spannungen vor allem zwischen den Machtzentren USA und ihrer Anhängerschaft auf der einen Seite und zum Beispiel China, Russland und Indien sowie deren Anhängerschaft ausfallen werden", meint Polleit. "Je stärker die Konfliktpotentiale anwachsen, desto wahrscheinlicher wird es, dass der Reservestatus des US-Dollar erodiert oder, im Extremfall, auch ganz verloren geht. Das Instrument der „Financial Warfare“ der USA kann sich so gesehen, wenn es - weiterhin - im Zusammenhang der Konfliktbearbeitung zwischen Staaten aggressiv eingesetzt wird, als ein Brandbeschleuniger erweisen: Kurzfristig sind die USA in der Lage, ihre Interessen durchzusetzen, langfristig befördert es die Tendenz der Betroffenen, sich der US-Dollar-Dominanz zu entziehen.

Gold als Profiteur
Unter den herrschenden Bedingungen ist es wahrscheinlich, dass eine Ent-Dollarisierung des Weltfinanzsystems die Attraktivität des Goldes als Reservemedium (weiter) erhöht. "Diese Entwicklungstendenz tritt bereits in den Daten der letzten 15 Jahre zutage. Viele Notenbanken bauten ihre Goldbestände mit Beginn der 1990er-Jahre merklich ab; für viele Zentralbanken erschien das Investieren in Schuldpapiere attraktiver zu sein als das Halten von Gold. Ab etwa Anfang 2009 jedoch kehrte sich der Trend um. Seither haben sich die Goldbestände in den Bilanzen der Zentralbanken wieder merklich erhöht. Das gilt allerdings nur in absoluter, nicht aber in relativer Betrachtung", stellt Polleit fest. (kb)

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