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Schwellenländeranleihen in Zeiten des Coronavirus

Im Zuge der Covid-19-Pandemie werden für Schwellenländer düstere Zukunftsszenarien gezeichnet. Doch wie stellen sich die Fundamentaldaten aus der Sicht von Fixed-Income-Investoren dar und wie widerstandsfähig sind die Schwellenländer gegen die Covid-19-Krise tatsächlich?

Peter Eerdmans, Head of Fixed Income, Ninety One
Peter Eerdmans, Head of Fixed Income, Ninety One© Ninety One

Mit diesen Fragen beschäftigt sich ?Peter Eerdmans, Head of Fixed Income, Ninety One. Sein Befund: "Die Coronavirus-Pandemie ereignet sich am Ende eines schwierigen Jahrzehnts: Die Industrieländer wurden von der Verlangsamung des Wirtschaftswachstums in China getroffen, Kapitalströme drehten sich und es entstanden neue politische Herausforderungen in einigen Schlüsselmärkten. Trotzdem waren die Schwellenländer zu Beginn des Konjunktureinbruchs in einer stabilen Verfassung. Aus diesem Grund wird sich die weltweite Krise nach unserer Einschätzung nicht zu einer Schwellenländerkrise entwickeln. Vor dem Hintergrund der sich langsam erholenden Weltwirtschaft sind wir vielmehr der Ansicht, dass die Schwellenländermärkte gut aufgestellt sind, um von der wirtschaftlichen Erholung im aktuellen Niedrigzinsumfeld zu profitieren. Die Kluft zwischen den stärksten und den schwächsten Ländern vergrößert sich jedoch zusehends. Wir gehen zwar insgesamt davon aus, dass die Schwellenländer die Industrienationen übertreffen, bei der Zusammenstellung ihrer Schwellenländer-Anleihen-Portfolios müssen Investoren dennoch äußerst umsichtig und selektiv vorgehen."

Emerging Markets: wiederstandsfähig, besseres Wachstum als Industrieländer
Diejenigen, die mit einem Zusammenbruch der Schwellenländer rechnen, übersehen deren Entwicklung im vergangenen Jahrzehnt. Eerdmans: §Wir gehen davon aus, dass die Schwellenländer während der Coronavirus-Krise und darüber hinaus weiterhin schneller wachsen werden als die Industrieländer."

Das vergangene Jahrzehnt war für viele Schwellenländer herausfordernd
Nach der weltweiten Finanzkrise in den Jahren 2008/2009 ließ die Wachstumsdynamik in den sich entwickelnden Ländern nach. Dies ist zurückzuführen auf die natürliche Verlangsamung der jährlichen Wachstumsraten in China, die Anfang bis Mitte der 2000er Jahre teilweise bei zehn Prozent oder mehr lagen. Im Jahr 2013 offenbarte das sogenannte Taper Tantrum die Abhängigkeit vieler Schwellenländer von der Dollar-Liquidität. Es folgten schmerzhafte und gleichermaßen dringend notwendige Anpassungen ihres Kreditwachstums und der Leistungsbilanzen. In der jüngeren Vergangenheit hatte der protektionistische Kurs der USA negative Auswirkungen auf den globalen Handel und führte zu einer weiteren Schwächung des Wirtschaftswachstums in den Schwellenländern. Doch auch in dieser schwierigen Phase lagen die Wachstumszahlen der aufstrebenden Wirtschaftsnationen über denen der Industrieländer.

Kurz- bis mittelfristigen Auswirkungen der Covid-19-Krise schwer abschätzbar
Konsequenzen für das Wachstum der Schwellenländer sind zwar noch nicht abzusehen, jedoch ist bereits jetzt klar, dass sie gravierend sein werden. Aufgrund der besseren Demografie der Schwellenländer und der im Vergleich zu den Industrieländern weniger ausgeprägten Lockdown-Maßnahmen dürften die negativen Auswirkungen auf das Wachstum eher moderat ausfallen. Tatsächlich gehen die Prognosen des IWF von einer Vergrößerung des Wachstumsunterschieds zwischen Schwellen- und Industrieländern auf das höchste Niveau seit der Finanzkrise aus. Eerdmans: "Auch langfristig weisen die wichtigsten Wachstumstreiber der Schwellenländer eine stabile Entwicklung auf. Nach einer längeren Reform- und Anpassungsphase verfolgen die meisten Schwellenländer eine eher konservative Wirtschaftspolitik und weisen wettbewerbsfähige Arbeitsmarktentwicklungen und Wechselkurse auf. Zudem verfügen sie über immer besser ausgebildete Fachkräfte. Diese Faktoren sind die Grundpfeiler für das höhere Wachstums- und Produktivitätspotenzial der Schwellenländer gegenüber den Industrienationen."

Widerstandsfähig gegen Deglobalisierung
Neben dem Coronavirus stellt die erneute Eskalation des Handelsstreits zwischen den USA und China sowie der insgesamt zunehmende Protektionismus das größte Risiko für das Wachstum der Schwellenländer dar. Eerdmans und seine Kollegen bei Ninety One sehen jedoch nur ein geringes Risiko einer Zahlungsbilanzkrise in den sich entwickelnden Nationen: "Die Leistungsbilanzen dieser Länder sind insgesamt stabil. Im Durchschnitt verfügen sie über mehr als ausreichend Reserven, um im Falle einer Abschwächung des Welthandels ein Zahlungsbilanzproblem zu vermeiden. Die Rücklagen der Schwellenländer liegen durchschnittlich bei 140 Prozent der IWF-Mindestvorgaben für Reserven."

Insgesamt steh jedoch noch lange nicht fest, dass die Deglobalisierung, in ihrem jetzigen Ausmaß, negative Auswirkungen auf die Entwicklung der Schwellenländer haben werde. In der aktuellen Krise, in der viele Menschen von zu Hause aus arbeiteten, zeige sich für Ninety One klarer denn je, wie vernetzt die Weltwirtschaft sei und wie schwierig es wäre, diese Verflechtungen wieder aufzulösen. Zumindest die Globalisierung von Dienstleistungen dürfte sich eher beschleunigen. Darüber hinaus könnte eine zunehmende Regionalisierung manche Schwellenländer vor internationalen Handelskonflikten schützen.

Stabile Inflationsentwicklung
Sie ist ein weiterer Grund für die aktuell größere Widerstandsfähigkeit der Schwellenländer. Seit den 90er-Jahren haben Verbesserungen der Governance sowie eine größere Unabhängigkeit der Zentralbanken und der Inflationssteuerung zu einem strukturellen Rückgang der Inflation in den Schwellenländern von damals 25 Prozent auf weniger als vier Prozent in den letzten Jahren geführt. gibt Eerdmans zu bedenken.

Natürlich bestehen große Unterschiede innerhalb der Anlageklasse
Die galoppierende Inflation in der Türkei ist beispielsweise darauf zurückzuführen, dass es der türkischen Zentralbank unter dem Druck der Regierung nicht gelungen ist, die Inflationsentwicklung unter Kontrolle zu bringen. Solche Beispiele seien jedoch die Ausnahme, so der Experte von Ninety One.

Leitzinsen im mittleren einstelligen Bereich
Vor dem Hintergrund der weitgehend gedämpften Inflation ist der durchschnittliche Leitzins in den Schwellenländern von über 20 Prozent in den 1990er Jahren auf ca. fünf Prozent in den letzten Jahren gesunken. Dies hatte einen deutlichen Rückgang der Realzinsen zur Folge. Im Vergleich zu den Industriestaaten, wo sie im vergangenen Jahrzehnt negativ waren, bleiben diese allerdings weiterhin im positiven Bereich. Dieser Trend dürfte auch nach der Covid-19-Krise anhalten, da die Industrieländer unter der Last der zusätzlichen Schulden unter erhöhtem Druck stehen, die Nominalrenditen niedrig zu halten.

Beherrschbare Schuldenquoten
Es gibt zahlreiche Bedenken, ob die Schuldenlast der Schwellenländer nachhaltig tragbar ist. Zweifellos wachsen die Schulden insgesamt an. Nach dem langanhaltenden zyklischen Tief der letzten 20 Jahre steigt die weltweite Schuldenaufnahme seit der Finanzkrise und aktuell aufgrund von COVID-19. Der IWF erwartet im laufenden Jahr einen Anstieg der Schuldenquote (gemessen am BIP) in den USA von 20 Prozent auf 131 Prozent und in der EU von 13 Prozent auf knapp 100 Prozent. Aufgrund höherer Wachstumsraten und ausgeglichener Staatshaushalte rechnet man für die Schwellenländer mit einem moderateren Anstieg. Für die gewichtete Verschuldungsquote (gemessen am BIP) des GBI-EM Index wird ein Anstieg von 47 Prozent auf immer noch beherrschbare 57 Prozent prognostiziert. Die Industrieländer werden voraussichtlich eine längere Phase der Finanzdisziplin zum Abbau der gestiegenen Staatsverschuldung durchlaufen müssen, während dieses Schicksal den Schwellenländer erspart bleiben dürfte.

Trotzdem stellt die Schuldentragfähigkeit weltweit ein wesentliches Risiko dar
Insgesamt ist die durchschnittliche Staatsverschuldung der Schwellenländer eher gering, einzelne Länder wie Brasilien haben jedoch eine beträchtliche Schuldenlast zu tragen. Zudem könnte sich die Schuldenpolitik von noch anfälligeren Märkten (insbesondere solche mit höheren Auslandsschulden) als nicht tragfähig erweisen. In den vergangenen zwölf Monaten haben beispielweise der Libanon und Ecuador ihre Zahlungsunfähigkeit erklärt und verhandeln mit ihren Gläubigern über eine Umschuldung. Insgesamt weisen die Schwellenländer solide Fundamentaldaten auf, es gibt jedoch große Unterschiede innerhalb dieser Ländergruppe. Die Verschuldungsquoten - gemessen am BIP - variieren zwischen deutlich über 100 Prozent in Brasilien und ca. 20 Prozent in Russland. Dies und der zunehmend größer werdende Unterschied aufgrund von COVID-19 stellen eine große Belastung für die Weltwirtschaft dar. Ein Bottom-Up-Ansatz ist für Investoren daher unerlässlich, so Eerdmans Schlussfolgerung.

Fazit
Angesichts der weltweit noch nicht vollständig eingedämmten Coronakrise und erneuter Infektionswellen in mehreren Ländern lassen sich noch keine zuverlässigen Prognosen für eine Rückkehr der Weltwirtschaft in eine gewisse Normalität treffen. Wenn es jedoch soweit ist, werden die Schwellenländer nach Einschätzung von Ninety One bestens aufgestellt sein, um von der wirtschaftlichen Erholung zu profitieren. Zudem ist das Haus überzeugt, dass die Emerging Markets ausreichend widerstandsfähig sind, um die aktuellen Herausforderungen meistern zu können.

"Im derzeitigen Niedrigzinsumfeld gehen wir davon aus, dass Schwellenländeranleihen weiterhin deutlich höhere Renditen im Vergleich zu Anleihen der Industrienationen erzielen. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass letztere mit großer Wahrscheinlichkeit eine längere Phase der Finanzdisziplin zum Abbau ihrer gewaltigen Schuldenstände durchlaufen werden. Global bieten Anleihen mit einem Volumen von insgesamt 33 Billionen US-Dollar eine Rendite von aktuell weniger als 0,5 Prozent. Das ist für viele Pensionsfonds, Versicherer und sonstige Investoren nicht ausreichend. Investoren suchen nach festverzinsliche Anlagen mit höheren Renditen. Daher rechnen wir damit, dass der Kapitalzufluss in Schwellenländeranleihen zunehmen und für eine weitere Stützung der Wertpapierkurse sorgen wird", sagt Eerdmans. (kb)

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