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Oddo BHF-CIO über die mittelfristige Geldpolitik

Der Anlagechef von Oddo BHF, Prof. Dr. Jan Viebig, erörtet die mittelfristigen Perspektiven für die Geldpolitik der EZB.

Prof. Dr. Jan Viebig, Oddo BHF
Prof. Dr. Jan Viebig, Oddo BHF© ODDO BHF AG

Für Prof. Dr. Jan Viebig, Chief Investment Officer von Oddo BHF, spielt die EZB unverändert auf Zeit. Spätestens im April wäre erkennbar gewesen, dass die Inflationsrate angesichts des neuen Energiepreisschocks „durch die Decke“ gehen würde. Dennoch hielt man an der geplanten aber ökonomisch nicht zwingenden Abfolge fest, Zinserhöhungen erst nach dem Ende der Anleihekäufe vornehmen zu wollen. So verzögert sich der erste Zinsschritt bis in die zweite Julihälfte. Hinzu kommt, dass die EZB auf eine Rückführung ihrer Anleihebestände vorerst verzichten will. "Darüber hinaus scheint sich die EZB auf „kleine“ Zinsschritte von 0,25 Prozentpunkten beschränken zu wollen. Im Verhältnis zur Inflationsrate von zuletzt 8,1 Prozent (Mai 2022) wirkt das aus unserer Sicht wenig ambitioniert", moniert Viebig.

EZB hat Zielkonflikt
Aus Viebigs Sicht nimmt die Gefahr zu, dass sich die Inflation verselbständigt. Damit ist der Handlungsbedarf der EZB, deren Auftrag die Sicherung der Preisstabilität ist, klar gegeben. Allerdings habe die Straffung der Geldpolitik ihren Preis: Sie dämpft das Wachstum weiter, das schon durch die Kaufkraftverluste im Gefolge des Energiepreisschocks, die erhöhte Unsicherheit und eine schwächere Auslandsnachfrage belastet ist.

Die Gefahr einer Rezession sei unbestreitbar, zumal das Grundtempo des Wachstums im Euroraum eher niedrig (und die Schwelle zur Rezession daher nah) ist. Hinzu kommt, dass die Energieversorgung nicht gesichert ist. Vor allem das Winterhalbjahr 2022/23 kann in dieser Hinsicht zu einer Herausforderung werden.

Höhere Zinsen zu erwarten
Die Abwägung der Risiken rechtfertigt nach Viebigs Überzeugung eine schärfere Gangart der Geldpolitik, insbesondere wenn man den Rückgang der Realzinsen berücksichtigt. "Mit einer Erhöhung der Leitzinsen um 50 Basispunkte im Juli könnte die EZB ein deutliches Signal setzen, wir rechnen jedoch nicht mit einem solchen Schritt. Allerdings gehen wir davon aus, dass sich die EZB dem Druck der Inflationszahlen nicht entziehen kann."

Einlagensatz bei 1,5 Prozent?
Der Anstieg der Leitzinssätze werde sich deshalb im vierten Quartal 2022 fortsetzen. Bis zum Jahresende 2022 dürfte der Einlagensatz laut Einschätzung Viebigs auf 0,5 Prozent steigen, bis Ende 2023 in die Größenordnung von 1,5 Prozent. Das wäre aber noch weit davon entfernt, restriktiv zu sein. "Sollten sich die Aussichten für die Inflationsentwicklung zusätzlich verschlechtern, beispielsweise wenn sich monatlichen Preisanstiege nicht in der erhofften Weise verringern sollten, würden wir auch mit darüber hinaus gehenden Leitzinsanhebungen rechnen", prognostiziert Viebig. (aa)

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