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Oddo BHF-CIO Prof. Viebig über die aktuellen Marktaussichten

Prof. Dr. Jan Viebig, Chief Investment Officer von ODDO BHF, beschäftigt sich in einem aktuellen Marktkommentar mit der Frage, wie weit der sogenannte Reflationstrend gelaufen ist und was dies für die Positionierung im Hinblick Wachstum und Substanz bedeutet.

Prof. Dr. Jan Viebig, ODDO BHF
Prof. Dr. Jan Viebig, ODDO BHF© Axel Gaube / Institutional Money

Die Aktienmärkte der entwickelten Volkswirtschaften zeigen sich weiterhin von ihrer besten Seite. Der US-Leitindex S&P 500 konnte sich im bisherigen Verlauf des Juli um 2,5 Prozent verbessern und das Gesamtergebnis für das laufende Jahr damit auf 18,1 Prozent nach oben schrauben; in Europa kletterte der Stoxx 600 um 2,1 Prozent und kommt damit auf ein Jahres-Plus von 18 Prozent. In beiden Regionen haben die Indizes erst in diesen Tagen neue historische Höchststände verzeichnet. Doch trotz der festen Märkte ist Verunsicherung zu spüren", rekapituliert Prof. Dr. Jan Viebig, Chief Investment Officer von ODDO BHF, die jüngsten Marktentwicklungen.

Kommunisten können nicht aus ihrer Haut heraus
Hier spielen Viebig zufolge vermutlich die Vorgänge in China eine Rolle, wo die kommunistische Regierung gegenüber den privaten Unternehmen und insbesondere dem
Technologiesektor (insb. Alibaba/Ant, Tencent, Didi) eine zunehmend harte Hand demonstriert. Vor einige Tagen wurde dann den privaten Bildungsunternehmen mit einem Federstrich die Geschäftsgrundlage entzogen, was einen massiven Kursrutsch bei chinesischen Aktien in Gang setzte, so dass sich die Regierungsstellen zu einigen beruhigenden Worten veranlasst sahen.

Grundsätzlicherer Natur allerdings seit laut Viebig die Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung. Die Frühphase der zyklischen Erholung könnte zu Ende gehen. („peak growth“). Das Wirtschaftswachstum in den USA und vermutlich auch in Europa (vielleicht etwas weniger und stark) wird Viebig zufolge in der zweiten Jahreshälfte voraussichtlich zu sinken beginnen – schon ganz trivial aufgrund von Basiseffekten, aber auch, weil der Aufholprozess voranschreitet.

Die Einkaufsmanagerindizes beispielsweise sind zwischenzeitig auf extreme Höhen geklettert und zeigen nun erste, leichte Ermüdungserscheinungen. "Und schließlich dürfte auch das Wachstum der Unternehmensgewinne im zweiten Quartal seinen Höhepunkt erreicht haben: Nach bisherigem Stand (berichtete und geschätzte Ergebnisse kombiniert) dürften die Gewinne pro Aktie in den USA um 86 Prozent (S&P 500) und in Europa um 205 Prozent
(Stoxx Europe) gestiegen sein. Die Schätzungen für das dritte Quartal liegen mit 41 bzw. 35 Prozent bereits merklich niedriger", erklärt Viebig.

Reflation-Trade
Die Marktentwicklungen der ersten Monate des Jahres waren von der Idee der „Reflation“ geprägt, der erwarteten Beschleunigung von Wachstum und Inflation. Parallel zum Anstieg der längerfristigen Renditen kam es zu einer Umschichtung in wachstumsabhängigere Substanzwerte („Value“). Dagegen gerieten die eher zinssensiblen Wachstumswerte („Growth“) ins Abseits.

US-Zins dominiert das Marktgeschehen
Diese Änderung der Anlegerpräferenzen spiegelt sich in der Abbildung in der Zunahme der „relativen Stärke“ von Value gegenüber Growth-Aktien im S&P 500 (S&P 500 V:G); etwa bis Mitte Mai lagen Value-Aktien in der Jahresperformance rund zehn Prozent vor Growth-Werten. Ab Mitte Mai schwang das Pendel dann aber zurück: Die langfristigen Renditen gaben sehr deutlich nach, die Rendite zehnjähriger US-Treasury Notes ist um rund einen halben Prozentpunkt auf aktuell etwa 1,26 Prozent zurückgefallen, kommentiert Viebig den nachfolgenden Chart:

Growth vs Value - das ewige Duell
Parallel dazu sind laut Viebig die Anleger in Wachstumswerte zurückgekehrt, die nun auf
Jahressicht leicht vor Substanzwerten liegen. "Nach unserer Einschätzung allerdings sind
die Wachstumsaussichten insbesondere für die USA, aber auch in Europa weiterhin sehr
robust", erklärt Viebig.

Aus Viebigs Sicht sei die Umkehrung des „Reflationstrends“ seit Mitte Mai sehr weit gelaufen. Ein Renditeanstieg erscheint Oddo BHF mittelfristig wahrscheinlicher als anhaltend niedrige oder gar fallende langfristige Renditen, erst recht angesichts der sich anbahnende Verringerung der Anleihekäufe (zunächst in den USA).

Dies spricht anlagepolitisch, auch unter Berücksichtigung des sehr anspruchsvollen Bewertungsniveaus, gegen eine einseitige Bevorzugung von Wachstumstiteln. Selbst wenn der Höhepunkt des Wachstums in diesen Monaten durchlaufen werden sollte, bleibt das zyklische Umfeld vermutlich kräftig und rechtfertigt ein Engagement in Substanzwerten.

Das Jahr 2020 war ein Jahr für Wachstumstitel. Im Jahr 2021 kommt es darauf an, auf eine gute Diversifikation zwischen Value- und Growth-Titeln zu achten. Wichtig ist eine qualitätsorientierte Selektion der Titel und eine ausreichende Diversifikation, um gegen die
Unsicherheiten der kommenden Monate gewappnet zu sein. (aa)

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