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Inflation: Faszination für die Stagflation erscheint merkwürdig

Vergleiche zwischen der Covid-Krise und den Ölschocks der 1970er-Jahre griffen zu kurz, meinen die Experten der DWS Group. Bis jetzt gebe es keine Anzeichen einer Stagflation, wie wir sie damals in den 70er-Jahren kannten. Inflation sei eben nicht gleich Inflation.

Christian Scherrmann, US-Economist bei der DWS
Christian Scherrmann, US-Economist bei der DWS© DWS

"Wenn man als einziges Werkzeug ein Hammer besitzt, sieht jedes Problem wie ein Nagel aus." Gemäß diesem Satz könnte erklären, warum heutzutage so viel von Stagflation gesprochen wird. Aber Halbwissen – einige stilisierte Fakten aus einem vage erinnerten Wirtschaftslehrbuch – reiche nicht aus, so die DWS-Experten.

Was in den 70er-Jahren wirklich geschah
Der folgende Chart veranschaulicht die US-Verbraucherpreisinflation im Vergleich zur Produktionslücke (d. h. tatsächliches Wachstum im Vergleich zum Wirtschaftswachstumspotential). In den 1970er-Jahren traten die Inflationsspitzen auf – ausgelöst durch die beiden Ölschocks – bevor das Wachstum zusammenbrach, was zu großen und anhaltenden Produktionslücken führte. Viele Arbeitswillige konnten keine Arbeit finden, zum Teil weil starke Gewerkschaften hohe Löhne durchsetzten, um die Kaufkraft der noch Beschäftigten zu schützen. Stagflation wurde als Etikett für die politisch toxischen Phänomene einer anhaltend hohen Inflation in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit verwendet.

Mit dem Covid-Schock lief etwas ganz anderes ab
Da ist zum einen die Reihenfolge: Inflation und Wachstum brachen gleichzeitig ein, gefolgt von einer raschen Erholung beider. In den USA und anderswo sollten die dramatischen geld- und fiskalpolitischen Reaktionen auf die Pandemie Unternehmen und Haushalten während einer akuten Gesundheitskrise helfen. Man hoffte, dass sich die Volkswirtschaften schneller erholen würden als nach der Finanzkrise von 2009.

US-Wachstum könnte sich dem Potential nähern
Da sich die US-Arbeitsmärkte erholen, könnte sich das Wachstum bald dem Potential nähern, was zu einem länger anhaltenden Inflationsdruck führen mag als manche hoffen. Um das zu erklären, müsste man sich aber wohl mit den heutigen Themen auseinandersetzen – vom demografischen Wandel über die Ungleichheit bis hin zur Klimapolitik. Die 1970er-Jahre sind eine seltsame Inspirationsquelle.

Lieferkettenproblematik nicht mit Ölkrise vergleichbar
Es erscheint unwahrscheinlich, dass die weltweiten Unterbrechungen der Lieferketten über Jahre andauern werden, wie dies bei Öl der Fall war, sagen die DWS-Experten. Die Gewerkschaften sind heute schwächer, und der fiskalische Anreiz lässt bereits nach. Auch hat Covid-19 sich verheerend auf die Erhebung und Berechnung von Wirtschaftsstatistiken ausgewirkt, was die Interpretation von Inflationsreihen noch schwieriger macht als sonst.

Inflation wird wieder den Rückwärtsgang einlegen
„Wir sind in absehbarer Zeit fest im Lager derer, die die Inflation wieder nachlassen sehen“, betont Christian Scherrmann, US-Economist bei der DWS. So oder so findet die DWS die Faszination für die Stagflation merkwürdig und ist fast versucht, sich ein wenig in die Amateursoziologie zu wagen. Die meisten heutigen Marktteilnehmer sind wohl zu jung, um als Erwachsene die Stagflation der 1970er-Jahre erlebt zu haben. Könnte die Erklärung so einfach sein? (kb)

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