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EZB hat mit Falkenbotschaft ‘Weckruf’ an den Rentenmarkt geschickt

Institutionelle Investoren am europäischen Bondmarkt müssen sich wohl damit abfinden, dass die verheerenden Verluste des zu Ende gehenden Jahres sich womöglich auch 2023 fortsetzen. Dafür sprechen gleich mehrere Gründe.

© emranashraf / stock.adobe.com

Das schlimmste Jahr, das Euro-Staatsanleihen je erlebt haben, endet mit einem der brutalsten Ausverkäufe seit Monaten, nachdem verschiedenste Währungshüter stärkere Zinsanstiege in Aussicht gestellte haben als erwartet. Während diesseits des Atlantiks inzwischen eine weitere Anhebung um 130 Basispunkte eingepreist wird, wetten Investoren bei der US-Notenbank nur auf Zinserhöhungen um 50 Basispunkte. Über diese Entwicklung berichtet Bloomberg News.

Wenn Tauben ihre Krallen ausstrecken und zu Falken werden...
Unter den Notenbanken der Welt galt die Europäische Zentralbank lange als die am stärksten von den geldpolitischen Tauben dominierte. In den vergangenen Tagen haben die EZB-Räte nun ihre Entschlossenheit klar gemacht, die noch immer zweistellige Inflation einzudämmen. Für viele Bondhändler kam dies als Schock. Anzeichen dafür, dass die Teuerung ihren Höhepunkt hinter sich haben könnte, waren zuvor als Signal für eine künftig weniger aggressive Geldpolitik interpretiert worden.

“Es ist jetzt viel weniger strittig, dass es bei den Renditen europäischer Bonds nicht nur in absoluten Zahlen aufwärts geht, sondern dass die europäischen Rentenmärkte während des gesamten Jahres 2023 deutlich schlechter abschneiden dürften als die US-amerikanischen”, erklärte Ralf Preusser, Chef der Bondstrategie bei Bank of America Securities.

Der Markt hat schnell auf die Signale der EZB reagiert. Seit der Sitzung am Donnerstag haben die Anleger ihre Wetten auf den EZB-Maximalzins im Zyklus auf 3,3 Prozent erhöht. Die Rendite zehnjähriger italienischer Anleihen - die mit am empfindlichsten auf eine Verschärfung des Finanzumfelds reagieren - ist um mehr als 40 Basispunkte gestiegen, was den schlimmsten Wochenausverkauf seit Juni bedeutet. Die zweijährige deutsche Schatzrendite erreichte mit 2,50 Prozent zeitweise den höchsten Stand seit 2008.

Die EZB hat ihre Inflationsprognosen deutlich angehoben. Im vergangenen Monat ist die Teuerungsrate im Euroraum erstmals seit eineinhalb Jahren gesunken. Die Inflation lag bei 10,1 Prozent nach dem Rekordwert von 10,6 Prozent im Oktober. 2024 rechnet die EZB aber immer noch mit einem Teuerungsdurchschnitt von 3,4 und mit 2,3 Prozent Teuerung im Jahr 2025. Das Inflationsziel der EZB liegt bei etwa 2,0 Prozent.

Zu viel?
Für Bondhändler, die bereits ein beispiellos schlimmes Jahr hinter sich haben, ist das ein Schlag. Ein Bloomberg-Index, der den Sektor abbildet, ist in diesem Jahr um 15,5 Prozent gesunken — so stark wie noch nie in seiner Geschichte.

Deutsche Bank und UBS empfahlen Anlegern bereits, sich darauf einzustellen, dass die europäischen Renditen sich dem Niveau in den USA annähern werden. Bereits in der vergangenen Woche hat sich der Renditeaufschlag zehnjähriger US-Treasuries gegenüber Bunds so stark verringert wie seit März 2020 nicht mehr (siehe nachfolgende Grafik):

Noch immer Zweifel an der Entschlossenheit der EZB
Trotz der bisherigen drastischen Kurskorrekturen herrscht eine gewisse Skepsis, ob die EZB in der Lage sein wird, die versprochene geldpolitische Straffung durchzuführen. Die steigenden Zinsen drohen die Region in eine tiefere Rezession zu stürzen. Sie könnten den Schaden noch verstärken, den die Energiekrise infolge von Russlands Einmarsch in der Ukraine bereits angerichtet hat.

Höhere Zinsen in einer Zeit verstärkter Staatsanleihe-Emissionen könnten “eine Marktrevolte auslösen”, warnt Guillermo Felices, Anlagestratege bei PGIM Fixed Income. “Diese Auseinandersetzung wiederum könnte einen raschen Rückzug der EZB auslösen, was ihrer Glaubwürdigkeit schaden könnte.”

Besonders besorgniserregend sind die Auswirkungen auf Italien, den Brennpunkt der jüngsten Anleihenkrise. Das Land gehört zu den höchstverschuldeten in Europa und profitierte besonders von den EZB-Anleihekäufen und der ultralockeren Geldpolitik.

Der Renditeaufschlag italienischer Staatsanleihen gegenüber deutschen Bundesanleihen, der für die Eurozone als Risikoindikator gilt, verzeichnete gerade den größten wöchentlichen Sprung seit Beginn der Corona-Pandemie im April 2020.

“Eine zu aggressive Geldpolitik birgt das Risiko einer stärkeren Rezession und einer Ausweitung der Renditespreads in der Peripherie, was das Risiko einer Fragmentierung erhöhen wird”, zitiert Bloomberg Mohit Kumar, Staatsanleihestratege bei Jefferies International. EZB-Präsidentin Christine Lagarde sei bei ihren Bemühungen, eine weitere Anhebung um einen halben Prozentpunkt im Februar zu vermitteln, womöglich “ein wenig zu weit gegangen”.

Emissionsflut bei Staatsanleihen voraus
Auch aus weiteren Gründen ist laut Bloomberg gegenüber dem Bondmarktausblick 2023 Vorsicht angebracht. Die EZB hat den mit Spannung erwarteten Plan zum Abbau ihrer riesigen Anleihebestände aus der Krisenära vorgelegt und dem Markt dabei früher eine Stütze genommen als von einigen erwartet. Laut EZB-Ratsmitglied Francois Villeroy de Galhau wird die Zentralbank ab März monatlich Anleihen im Wert von 15 Milliarden Euro fällig werden lassen und dieses Tempo möglicherweise ab Ende des zweiten Quartals erhöhen.

Dies wird das Nettoangebot an Anleihen in die Höhe treiben — und das gerade zu einem Zeitpunkt, da Regierungen mehr Anleihen begeben, um Beihilfen gegen die Energiekrise und steigende Lebenshaltungskosten zu finanzieren. In den USA besteht dieser Angebotsdruck nicht. Aus deshalb bevorzugt Preusser von der Bank of America US-Treasuries gegenüber europäischen Anleihen.

Die Strategen der BNP Paribas gehen davon aus, dass sich das Nettoangebot an europäischen Staatsanleihen im ersten Quartal auf 228 Milliarden Euro und im Gesamtjahr 2023 sogar auf 557 Milliarden Euro belaufen wird. Basis der Prognose ist die Annahme, dass die EZB-Reinvestitionen im Juli oder spätestens im September enden.

“Was der Markt nicht verstanden und eingepreist hat, ist, dass eine Lockerung der Fiskalpolitik angesichts der hohen Energiepreise eine straffere Geldpolitik erfordert. Die Inflation liegt bei zehn Prozent - da sind die Einlagenzinsen noch weit entfernt”, sagt Stratege Axel Botte von Ostrum Asset Management. “Es ist ein Weckruf - die Falken gewinnen die Oberhand.” (aa)

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