Logo von Institutional Money
| Märkte

EZB-Chefökonom Philip Lane steht im Schatten der Falken im Rat

Als oberster Ökonom sollte es eigentlich Philip Lane sein, der die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank federführend entwickelt. Doch bei der dramatischen Zinswende dieses Jahr waren die Falken im EZB-Rat tonangebend, und Lane muss sich wohl damit abfinden, dass das noch eine Weile so bleibt.

Taube unter Falken: EZB-Chefökonom Philip Lane
Taube unter Falken: EZB-Chefökonom Philip Lane© Alex Kraus / Bloomberg

Der Harvard-Absolvent Philip Lane ist kraft seines Amtes als EZ Chefökonom derjenige, der die Zinsentscheidungen der EZB ausarbeitet und vom Entscheidungsgremium absegnen lässt. Tatsächlich schien es in den vergangenen Monaten eher so, als würde er den Forderungen der Falken nach größeren Straffungen hinterherhoppeln. Wurde er im Markt früher als einer der entscheidenden Währungshüter wahrgenommen, muss er nun seine Rolle neu definieren.

Schwindender Einfluss auf die Geldpolitik?
“Er mag der Chefvolkswirt sein, aber ich habe nicht das Gefühl, dass er die Debatte bestimmt”, sagt der Volkswirt Nick Kounis von ABN Amro in Amsterdam im Gespräch mit Bloomberg News. “Sein Einfluss auf die Märkte hat auf jeden Fall abgenommen, und ich frage mich, ob das auch im EZB-Rat so ist.” Seit Juli hat die EZB die Zinsen zweimal erhöht, und zwar jedes Mal stärker als ursprünglich angekündigt. Zuvor hatten sich die Prognosen der Notenbank zur Preisentwicklung wiederholt als zu optimistisch herausgestellt. Im von den USA angeführten globalen Trend zu strafferer Geldpolitik hinkt die EZB derweil noch immer hinterher. Im vergangenen Quartal war die Teuerungsrate im Euroraum mehr als dreimal so hoch wie es die Beamten im Dezember prognostiziert hatten.

Zuletzt fast immer ordentlich daneben
Prognosefehler der EZB haben Inflation allesamt unterschätzt

Schwere Zeiten für eine Taube, wenn die Falken dominieren
Personen, die die vertraulichen Diskussionen innerhalb der EZB aus erster Hand kennen, berichten Bloomberg News, dass der 53-jährige Lane bei der Gestaltung der Geldpolitik deutlich an Gewicht verloren hat. Das war in den ersten Jahren der Präsidentschaft von Christine Lagarde noch anders. Lane war der Fahnenträger für die Politik der monetären Lockerheit, die prägend war für die Amtszeit Mario Draghis, in der Lane seinen Posten erhielt.

Weniger Einfluss als Vorgänger Otmar Issing und Jürgen Stark
Doch seit der Inflationsschock die Eurozone getroffen hat, schwindet Lanes zentrale Rolle bei der Festlegung der Geldpolitik. Sein Einfluss wird inzwischen als wesentlich geringer angesehen als der seiner Vorgänger, von Otmar Issing, dem ersten Chefvolkswirt der EZB, bis hin zu Jürgen Stark, der vor zehn Jahren das Handtuch warf. Zwar ist Lane nach wie vor die prominenteste Taube unter den Ratsmitgliedern. Doch die Falken dominieren die Sitzungen des Gremiums, in denen Lagarde am Ende einen Konsens erreichen will.

Isabel Schnabel als Gegenspielerin von Lane
Auch wenn es derzeit kein einzelnes tonangebendes Ratsmitglied gibt, gehören Bundesbankpräsident Joachim Nagel und der ebenfalls zu den Falken zählende Niederländer Klaas Knot gemeinsam mit den Räten aus den baltischen und osteuropäischen Ländern zu den durchsetzungsstarken Kräften. Als intellektueller Kopf der Falken und Gegenspielerin Lanes im Direktorium gilt Isabel Schnabel. Lanes Vorschläge für maßvolleres Vorgehen wurden zuletzt eher verworfen.

Viele Experten und noch mehr Meinungen
Freilich kann es kaum überraschen, dass in einem so großen Gremium unterschiedliche Einschätzungen gibt. “Es ist nicht sehr realistisch, dass sich in einem so unsicheren Umfeld so viele Leute am Tisch über den Umfang der Anhebung einig sind”, meint etwa Marco Valli, Ökonom bei der UniCredit im Talk mit Bloomberg News. “Wenn am Ende der Debatte Einstimmigkeit herrscht, trägt das nicht unbedingt zur Glaubwürdigkeit bei.”

Lane trotzdem zufrieden
Gegenüber Bloomberg betonte Lane, dass Meinungsverschiedenheiten nicht grundlegender Natur seien und dass er mit seiner Rolle im Entscheidungsprozess zufrieden sei. “Das System funktioniert, wenn ein Vorschlag wirtschaftlich sinnvoll ist und ein Konsens erreicht wird”, sagte Lane. “Tatsächlich ist es bei Zinsentscheidungen so, dass es bei jeder einzelnen Sitzung immer die Möglichkeit gibt, mehr oder weniger zu tun. Es gibt nie eine eindeutige Antwort.”

Die Diskussionen über taktische Fragen wie den Umfang der Zinserhöhungen und die Notwendigkeit, sich auf ein Ergebnis zu einigen, könnten sich indessen noch verschärfen, wenn sich die Diskussion auf Themen wie die Frage nach der Straffung der Geldpolitik insgesamt verlagert. In Anbetracht dieser Möglichkeit lassen Lanes Äußerungen vermuten, dass seine Bereitschaft, ausgefallenere politische Initiativen zuzulassen, ihre Grenzen haben könnte. “Ich werde nichts vorschlagen, wovon ich nicht überzeugt bin”, so Lane.

Vergleich

Quelle: Bloomberg

Das stärkere Auftreten des EZB-Rats spiegelt auch ein verändertes Umfeld wider
Die galoppierende Inflation hat die Chefs der nationalen Zentralbanken der Eurozone in Zugzwang gebracht. Deshalb rebellierten einige bereits im Februar, als sich herausstellte, dass die von Lanes Abteilung erstellten Prognosen die Inflation drastisch unterschätzt hatten und Lane sie weiter verteidigte. Am deutlichsten wurde sein Einknicken im Juni, als der weltweite Trend zu Zinserhöhungen zu einer regelrechten Lawine wurde. Aus den 25 Basispunkten Zinsanhebung, für die er öffentlich plädiert hatte, wurde im Juli ein doppelt so großer Schritt.

Brillianz is jetzt nicht wichtig, jetzt zählt etwas anderes mehr
Einstweilen scheint Lane seinen geschwundenen Einfluss hinzunehmen und sich dem Konsens der Falken anzupassen, ohne deshalb seine eigenen Ansichten aufzugeben und sie in Stellungnahmen der EZB zu formulieren. Dabei könnte er darauf setzen, langfristig doch noch Recht zu behalten. Bis dahin steht ihm aber wohl eine einsame Zeit bevor. “Philip Lane ist ein brillanter Ökonom”, sagt Holger Schmieding, Chefvolkswirt bei Berenberg, gegenüber Bloomberg. “Im Moment zählt jedoch weniger der wirtschaftliche Sachverstand als vielmehr politisches Gespür und Bauchgefühl. Die Stärken eines brillanten Ökonomen zählen also nicht mehr so sehr - er ist jetzt nur noch einer unter 25.” (kb)

Dieses Seite teilen