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Eyb & Wallwitz sagt: "Stay in May!"

Es scheint an den Börsen derzeit die Auffassung Konsens zu sein, dass die Kurse viel zu hoch stehen für die üble Lage, in der sich die Wirtschaft derzeit befindet. Doch Dr. Georg Graf von Wallwitz findet genug Gründe, warum dem nicht so ist.

Dr. Georg von Wallwitz
Dr. Georg von Wallwitz© Eyb & Wallwitz

In den USA ist die Arbeitslosenquote von 3,5 Prozent im Februar auf 14,7 Prozent gestiegen, und die Haushaltsexperten des Kongresses gehen von einem Verlust an Wirtschaftsleistung in Höhe von 16 Billionen US-Dollar über die nächsten zehn Jahre aus. Frankreich rechnet mit einer Schrumpfung der Wirtschaft von elf Prozent in diesem Jahr; China gibt schon gar keine Wachstumsziele mehr aus. Und ja, der DAX ist nun von seinem Tiefpunkt aus wieder um 45 Prozent gestiegen.

Tatsächlich steckt derzeit eine Menge Hoffnung in den Kursen
Festhalten lässt sich, dass jede Hoffnung einen Glauben zur Voraussetzung hat. Von Wallwitz dazu: "Je fester der Glaube, desto einfacher das Leben. Die für uns relevante Frage lautet also: Welcher Glaube trägt derzeit die Finanzmärkte? Und wie fest und wie realistisch ist dieser Glaube?"

Fünf wesentliche Punkte
1. Der Corona-Crash rührt nicht aus Ungleichgewichten innerhalb des Systems her, sondern es handelt sich um einen exogenen Schock. Ein solcher kann prinzipiell genauso schnell wieder vergehen, wie er gekommen ist. Die große Finanzkrise 2008/09 oder die europäische Staatsschuldenkrise 2011-13 dauerten so lange und waren derart tief, weil das finanzielle System selbst zurechtgerückt werden musste. "Heute liegen die Dinge anders", analysiert von Wallwitz. "Wie aus dem Nichts wurde ein großer Teil der wirtschaftlichen Aktivitäten auf dem gesamten Globus eingestellt. Wenn sie wieder hochgefahren werden, haben wir nicht jahrelang unter Strukturanpassungen zu leiden. Diese würden erst entstehen, wenn der Lockdown länger dauert oder eine größere zweite Virus-Welle kommt."

2. Nach der Spanischen Grippe 1919 gab es eine kräftige Erholung in den USA. Europa hatte zu diesem Zeitpunkt andere Probleme, sodass sich hier kaum ein sinnvoller Vergleich ziehen lässt, weiß Wallwitz. Aber die USA waren nur ein Jahr im Krieg und die Verwerfungen insofern überschaubar. Wenn dieser historische Vergleich also tauge, so sei er ermutigend. Ebenso sieht es mit den Frühindikatoren für die chinesische Wirtschaft aus, die bekanntlich als erste in den Lockdown gegangen ist. Und in Deutschland sind zuletzt die Restaurantbuchungen bei Open Table um 32 Prozent gegenüber dem letzten Jahr gestiegen. Das ist entweder ein statistischer Ausreißer oder ein Fest für die Wirte.

3. Regierungen und Zentralbanken handeln richtig. Eine derartig koordinierte globale Handlung seitens der staatlichen Stellen hat es noch nicht gegeben (ebenso wenig wie einen globalen Lockdown). Die Regierungen verhindern, dass prinzipiell gesunde Unternehmen aus Gründen, die jenseits ihrer Kontrolle liegen, pleitegehen. Der eine oder andere Trittbrettfahrer wird sich nicht vermeiden lassen, aber das ist in dieser Situation zweitrangig. Die Staaten haben die Mittel, die Lage zu retten und sie setzen sie richtig ein. Was ist dagegen zu sagen? Wallwitz: "Es mag eines Tages ein inflationärer Druck daraus entstehen. Aber das ist ein Problem für übermorgen. Morgen müssen wir uns zunächst um die drohende Deflation kümmern, deren Effekte mindestens so bedrohlich sind."

4. Die Ausbreitung des Virus ist unter Kontrolle. Wir wissen jetzt, wie social distancing funktioniert und dass es funktioniert. Testing and Tracing Südkorea macht es vor. Wo das Virus sich weiter schnell ausbreitet, ist dies den politischen, sozialen oder medizinischen Umständen geschuldet, nicht epidemiologischem Unwissen. Wenn man Fußball-Bundesliga-Spiele veranstalten kann, ohne dass die Spieler sich anstecken, kann man davon ausgehen, dass genügend Wissen für den Umgang mit dem Virus vorhanden ist, um es zu kontrollieren. Allerdings: Nichts wird uns retten, wenn – wie etwa in Brasilien – die Gesundheitspolitik insgesamt eine Katastrophe ist.

5. Die Menschheit ist eine anpassungsfähige Spezies und lernt, mit dem Virus zu leben. "Wir haben uns in der Geschichte schon mit vielen schlimmen Zuständen arrangiert – und wir werden es wieder tun", räsoniert Wallwitz.

Das ist es, woran die Märkte glauben
Aus diesem Glauben speist sich ihre Hoffnung. Aber was tun, wenn die Hoffnung trügerisch ist, und sich die Investoren lieber von Daten und Fakten leiten lässt, frägt sich Wallwitz. "Wie fest der Glaube ist, wird sich wohl erst zeigen, wenn im Herbst die große Insolvenzwelle im Mittelstand kommt. Dann könnte sich herausstellen, dass die Märkte zu teuer sind für allzu schlechte Fundamentaldaten." Insgesamt sei das, was vor kurzem noch das optimistische Szenario gewesen wäre, heute das realistische. Das pragmatische Handeln der staatlichen Akteure jenseits von monetärer Orthodoxie könnte tatsächlich so etwas wie eine perfekte Keynesianische Landung produzieren.

Fahren auf Sicht von den Entscheidungsträgern unabdingbar
Gleichwohl sind Investoren, ähnlich wie Zentralbanken und Gesundheitsämter, gut beraten, weiterhin auf Sicht zu fahren und allenfalls moderate Risikopositionen einzugehen. Der positive Ausblick ist mittlerweile in den Kursen enthalten. Und wenn die Hoffnung schwindet, fallen diese erfahrungsgemäß schnell, weiß Wallwitz. (kb)

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