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Europas neue Rettungsidee: Staatsbeteiligungen an kleinen Firmen

Um die Folgen des Corona-Lockdowns abzufedern, hatten die Regierungen in Europa rasch Hilfsprogramme für ihre Volkswirtschaften auf den Weg gebracht. Nun beschäftigen sie sich mit dem nächsten Problem: wie eine Kaskade von Konkursen zu verhindern ist, die die Konjunkturerholung gefährden könnte.

Jan Krahnen, Direktor des Leibniz-Instituts für Finanzforschung SAFE in Frankfurt und einer der Autoren eines Eigenkapital-Vorschlags für die EU.
Jan Krahnen, Direktor des Leibniz-Instituts für Finanzforschung SAFE in Frankfurt und einer der Autoren eines Eigenkapital-Vorschlags für die EU.© SAFE

Unter Regierungsvertreten und Ökonomen findet die Idee Anklang, dem Staat die Beteiligung an kleinen und mittelgroßen Unternehmen zu ermöglichen. Zu Anfang der Krise hatten sich die Maßnahmen indes stark auf Kredite konzentriert, um Unternehmen über Wasser zu halten.

EU-Kommission und BoE befürworten den Plan
Die Europäische Kommission und die Bank of England (BoE) haben sich für das Konzept starkgemacht. Das französische Finanzministerium prüft diese Option, wie auch das Bundeswirtschaftsministerium in Berlin, sagte ein Sprecher. Unterstützung erhält der Ansatz vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), dem zufolge fast die Hälfte seiner Mitglieder unter einem Kapitalmangel leidet.

Ausgeliehen, um zu überleben
Die Darlehen an Unternehmen außerhalb des Finanzsektors sind im Mai so stark wie seit 2009 nicht mehr gestiegen, nämlich um 7,3 Prozent. Dies illustriert der folgende Bloomberg-Chart:

Unterstützung in Form von Eigenkapital ist an sich nicht neu
Banken wurden während der globalen Finanzkrise gerettet, und Deutschland hält immer noch mehr als 15 Prozent der Anteile an der Commerzbank. Jedoch führte der Fokus auf große Unternehmen zu Unzufriedenheit, weil kleinere angeschlagene Firmen, bei denen die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer beschäftigt ist, dabei nicht berücksichtigt werden.

Am Weg in die Staatswirtschaft?
Eine solche Intervention würde dem Staat eine noch größere Rolle bei der Steuerung der Wirtschaft geben und unweigerlich zu Vorwürfen führen, dass so wirtschaftliche Gewinner und Verlierer bestimmt würden. Ökonomen, die solche Vorschläge unterstützen, sagen jedoch, dass zusätzliche Kredite an KMUs die Wirtschaft zu sehr schwächen würden. Es bestehe das Risiko, dass Unternehmen während der Krise ihre Schulden so stark erhöhen müssen, dass umfangreiche Investitionen danach erschwert würden, sagte Jan Krahnen, Direktor des Leibniz-Instituts für Finanzforschung SAFE in Frankfurt und einer der Autoren eines Eigenkapital-Vorschlags für die EU. Eine andere Form der Finanzierung würde dem entgegengewirken.

Solvenzunterstützung
Die EU-Kommission hat die Zahlungsfähigkeit von Unternehmen in dieser Woche als Hauptrisiko eingestuft und davor gewarnt, dass ein Anstieg der Insolvenzen “den Pandemieschock verstärken und verlängern könnte, während notleidende Kredite steigen könnten”.

Allein in diesem Jahr werden schätzungsweise 720 Milliarden Euro benötigt
Ein solcher Betrag scheint nötig, um das Überleben ansonsten lebensfähiger Unternehmen in der EU zu sichern, schreibt Bloomberg News. “Wir treten in eine Phase ein, in der die Zahlungsfähigkeit von Unternehmen erschüttert werden könnte, da die nationalen Regierungen beginnen könnten, die in der ersten Phase der Krise eingerichteten Hilfen zu reduzieren”, sagte OECD-Chefökonom Laurence Boone bei einer Anhörung im Europa-Parlaments im Juni. “Wo staatliche Hilfen in Form von Kapitalzuführungen gewährt wurden, werden Unternehmen widerstandsfähiger sein.”

BoE will Eigenkapitalfinanzierung ankurbeln
In Großbritannien rechnet die BoE damit, dass das Cashflow-Defizit der Unternehmen 50 Milliarden Pfund (56 Milliarden Euro) erreichen wird. Gouverneur Andrew Bailey hat versprochen, mit der Regierung gemeinsam Wege zu finden, die Eigenkapitalfinanzierung anzukurbeln, um diese Lücke zu schließen.

"Europäischer Pandemie-Beteiligungsfonds" vorgeschlagen
Der Vorschlag von Krahnen und fünf Ökonomen von anderen Universitäten plädiert für einen „Europäischen Pandemie-Beteiligungsfonds“, der Barinvestitionen tätigen würde und im Gegenzug Anteile an zukünftigen Gewinnen erhielte. Er wäre offen für Unternehmen jeder Größe, und Unternehmen könnten sich letztlich zu einem vorher festgelegten Preis aus dem Plan herauskaufen.

Wie sollen Unternehmen für eine mögliche Staatsbeteiligung ausgewählt werden?
Ein guter Ausgangspunkt dafür könnten die staatlichen Kredite sein, die in den letzten Monaten vergeben wurden, sagen einige Ökonomen. So schrieben Olivier Blanchard, Thomas Philippon und Jean Pisani-Ferry in einem Papier für das Peterson Institute, das Bloomberg vorliegt, dass Firmen die Option erhalten könnten, Verbindlichkeiten in “Eigenkapital umzuwandeln oder in Quasi-Eigenkapital in Form von Vorzugsaktien oder, bei Firmen in Privatbesitz, höhere Ertragssteuern.“

Kreditumwandlung
Sollte dies beispielsweise in Deutschland geschehen, wo Unternehmen Kredite im Wert von mehr als 50 Milliarden Euro bei der staatlichen Förderbank KfW beantragt haben, könnten Tausende von Unternehmen feststellen, dass der Staat bei ihnen Aktionär geworden ist.

Der Staat als tausendfacher Aktionär und Gesellschafter in einer ungewohnten Rolle
Derartige Kredite seien bisher in Wirtschaftskrisen nicht verwendet worden und niemand wisse, was als nächstes geschehen wird, sagte Dr. Dirk Ehnts (Bild), ein Berliner Ökonom, der die Pufendorf Gesellschaft mitbegründete, ein gemeinnütziger Verein mit Schwerpunkt auf wirtschaftspolitischer Bildung. Ohne es ursprünglich beabsichtigt zu haben, könnte die Bundesregierung ein sehr, sehr großer Aktionär werden. (kb)

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