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ESG-Fatigue – verliert die Wall Street das Interesse am Hype?

Quo vadis ESG? Besteht der Trend den Realitätscheck? Von Chancen und Learnings aus der ESG-Entwicklung in den USA berichtet Daniel Dadun. Er besitzt mehr als sieben Jahre Erfahrung in der Leitung und Umsetzung komplexer Transformationsprogramme im Nachhaltigkeitsbereich.

Daniel Dadun ist Principal Consultant bei Capco in Frankfurt. Capco ist eine weltweit tätige Management- und Technologieberatung für die Finanzdienstleistungsbranche.
Daniel Dadun ist Principal Consultant bei Capco in Frankfurt. Capco ist eine weltweit tätige Management- und Technologieberatung für die Finanzdienstleistungsbranche.© Capco

Kaum ein Trend hat die Finanzmärkte in der letzten Dekade ähnlich stark umgetrieben wie die Entwicklungen im Bereich ESG. Bei der Anlageentscheidung achteten viele Investoren nicht mehr ausschließlich auf zu erwartende Renditeaussichten, sondern ließen in ihre Entscheidungen auch Fragen zur Nachhaltigkeit oder auch der Ethik von Geschäftsmodellen einfließen.

Paradigmenwechsel, der prägend für die Aktien- und Anleiheanlage ist
Doch der Hype verliert derzeit merklich an Fahrt. Aktuelle Daten zeigen, dass BlackRock, ein bis dato besonders lauter Advokat des ESG-Themas, seine Unterstützung für Aktionärsanträge bei den Themen Umwelt und Soziales deutlich zurückgefahren hat, somit den rückläufigen Trend der Vorjahre noch einmal fortsetzt. Viele ESG-Produkte sorgen außerdem für Enttäuschung, da sie eine deutliche Underperformance gegenüber den Marktrenditen ausgewiesen haben.

Umdenken vieler Investoren hält an
Die jüngsten Herausforderungen rund um ESG-Investitionen werfen einige wichtige Fragen auf, die sowohl für Anleger als auch für die Finanzbranche relevant sind. Für viele Investoren ist die schwächelnde Rendite von ESG-Fonds sicherlich ein Minuspunkt, insbesondere im aktuellen Umfeld steigender Zinsen. Viele klassisch nachhaltig aufgestellt Werte – etwa im Bereich der Erneuerbaren Energien – sind aufgrund des besonders hohen Kapitalbedarfs der Großprojekte anfällig für Zinsschwankungen.

Allerdings ist es wichtig zu betonen, dass ESG-interessierte Anleger nicht immer nur nach kurzfristigen Gewinnen streben. Viele dieser Investoren sind bereit, auf eine gewisse Rendite zu verzichten, wenn sie im Gegenzug ethisch verantwortungsvolle und nachhaltige Projekte unterstützen können. Dies gilt vor allem für jüngere Anleger, institutionelle Investoren mit klaren Nachhaltigkeitsmandaten sowie private Vermögensverwalter, die zunehmend Wert auf eine Balance zwischen finanzieller Rendite und sozialer Verantwortung legen. Die Zielgruppe, die am stärksten in nachhaltige Geldanlagen investiert, besteht aus Millennials und der Generation Z. Eine Käufergruppe, die als besonders umwelt- und sozialbewusst gilt. Auch vermögende Privatanleger und Family Offices interessieren sich zunehmend für ESG, da sie langfristige Werte wie Nachhaltigkeit und ethische Verantwortung in ihre Anlagestrategien integrieren wollen. Diese Investoren lassen sich nicht allein von kurzfristigen Renditen leiten, sondern betrachten ESG-Anlagen als langfristige Investments in die Zukunft. Für sie spielen ethische Überlegungen oft eine ebenso große Rolle wie die finanzielle Performance.

Natürliche Kurskorrektur entlang des Hype-Cycles
Was die aktuelle ESG-Flaute betrifft, so lässt sich diese als eine natürliche Entwicklung entlang des klassischen Hype-Cycles betrachten. In den letzten Jahren erlebte ESG einen regelrechten Boom, der von vielen Beobachtern und Kritikern als überhitzt wahrgenommen wurde. Nun folgt eine Phase der Konsolidierung, in der sich der Markt beruhigt und nachhaltige Investitionen auf stabileren Füßen stehen müssen. Es ist eine Zeit der Anpassung, in der sich zeigt, welche ESG-Strategien langfristig Bestand haben und welche nur kurzfristige Trends waren.

Übertriebener Aktionismus und überzogene Forderungen werden kritisch betrachtet
Entsprechend ist es nicht verwunderlich, dass die großen US-Vermögensverwalter ihre Aktivitäten zurückschrauben und die Entwicklungen der letzten Jahre kritisch Revue passieren lassen. Natürlich kam es hier auch zu übertriebenem Aktionismus und überzogenen Forderungen. Diese Erkenntnis ist bei einigen großen Playern nun zu beobachten und kann als Schritt hin zu einem ausgewogeneren Umgang gesehen werden, der letztlich auch Anlegern zugutekommen wird. Gerade in den Vereinigten Staaten ist rund um das Thema ESG ein regelrechter Kulturkampf initiiert worden, der es für die Platzhirsche schwieriger macht, sich rund um diese Themen zu exponieren.

Zinswende unterstützt Neubewertung von ESG-Investitionen
Ein weiterer absehbarer Aspekt hinsichtlich der nachhaltigen Geldanlage ist die bereits eingeleitete Trendwende der US-Notenbank. Mit einer möglichen Lockerung der Zinspolitik in der nahen Zukunft könnte es zu einer Neubewertung von ESG-Investitionen kommen. Niedrigere Zinsen sollten ESG-Anlagen, insbesondere in den Bereichen erneuerbare Energien und Infrastruktur, wieder attraktiver machen. Dies könnte den Weg für ein Comeback klassischer ESG-Werte ebnen und die Karten für Anleger neu verteilen. Auch der steigende Fokus auf „Climate Investing“ bietet weitere Chancen, da klimabezogene Projekte zunehmend als Zukunftsmarkt gesehen werden.

Ausblick – ESG ist gekommen, um zu bleiben
Diese Ausgangslage führt hin zu einer klaren Handlungsstrategie: Die Branche muss Kunden nicht nur dabei unterstützen, die Balance zwischen Risiko, Rendite und Nachhaltigkeit zu finden, sondern sie auch aktiv bei der Schärfung ihres Risiko- und Renditeprofils beraten. Trotz der gegenwärtigen Unsicherheiten bleibt der langfristige Trend hin zu nachhaltigen Investments bestehen. Mit neuen Finanzinstrumenten wie Environmental, Transition, and Impact Linked Bonds (ETILs) gibt es weiterhin Potential, nachhaltige Investitionen attraktiv zu gestalten und dabei auch langfristig stabile Renditen zu erzielen. Nachhaltigkeit bleibt ein zentraler Imperativ – und mit einem klaren, angepassten ESG-Ansatz werden Investoren, die langfristig denken, auch in einem herausfordernden Umfeld erfolgreich sein. Zurückhaltung, wie wir sie derzeit bei Blackrock und Co. sehen, ist Teil eines natürlichen Lernprozesses, der jedoch eher darauf hindeutet, dass das Thema ESG nun den Kinderschuhen entwächst. Mit einem gezielteren Vorgehen können die Asset Manager langfristig die Renditeanforderungen von Aktionären und den ökonomischen Anforderungen der Unternehmen besser orchestrieren. (kb)


Daniel Dadun verfügt über mehr als sieben Jahre Erfahrung in der Leitung und Umsetzung komplexer Transformationsprogramme in den Bereichen Nachhaltigkeitsberichterstattung, Effizienz von Kreditprozessen, Kostensenkung und Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle sowie Organisationen in Banken, Versicherungen und Vermögensverwaltern. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf dem Management von Nachhaltigkeitsrisiken, ESG-Portfoliomanagement, Implementierung von ESG-relevanten Nachhaltigkeits-KPIs sowie der Entwicklung und Operationalisierung von Nachhaltigkeitsstrategien. Er verfügt über praktische Erfahrung in der Anwendung relevanter Rahmenwerke wie CSDR, TCFD und TNFD.

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