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Die Krux des neuen Bullenmarkts

Die überraschende Hausse an der US-Börse wird von nur wenigen Aktien getragen. Stellt die sinkende Marktbreite im S&P-500-Aktienindex nicht ein Warnsignal dar? Das fragt sich Bernd Hartmann, Head of CIO Office und Chefstrategeist der VP Bank.

Bernd Hartmann, Head of CIO Office der VP Bank
Bernd Hartmann, Head of CIO Office der VP Bank© VP Bank

Mit einem Anstieg von mehr als 20 Prozent seit seinem Tiefpunkt im Oktober des Vorjahres hat der US-Aktienindex S&P 500 einen neuen Bullenmarkt gestartet. Doch die Erholung des meistbeachteten Index der Welt steht auf wackeligen Beinen. Genauer: Sie fußt vor allem auf den großen Tech-Namen (FANG-Aktien). Diese mangelnde Marktbreite, ganz abgesehen von der erhöhten Rezessionswahrscheinlichkeit, lassen die VP Bank daran zweifeln, dass die Bewegung noch lange anhält.

Was gesund wäre
Eine gesunde Erholung wäre es, wenn mit steigenden Kursen auch immer mehr Aktien über der eigenen 200-Tage-Linie notieren würden. Die 200-Tage-Linie zeigt den gleitenden Durchschnitt der Schlusskurse der letzten 200 Tage und macht Trends im Aktienkurs besser erkennbar. Je mehr Aktien über dieser Linie notieren, umso deutlicher ist das in der Charttechnik ein Indiz für einen Aufwärtstrend. Ein Beispiel: Nach dem Corona-Crash stieg die Anzahl Aktien im S&P 500, die sich über der 200-Tage-Linie befanden, auf bis zu 90 Prozent an. Die aktuelle Erholung folgte zunächst diesem Pfad, aktuell sind aber nur noch 30 Prozent der Aktien über dieser Linie. Die Marktbreite hat somit abgenommen.

Dass der Gesamtmarkt trotz abnehmender Marktbreite ansteigt, ist nur möglich, wenn die Indexschwergewichte, wie es Tech-Aktien sind, stark zulegen. Wenn man den MSCI USA heranzieht, dann verfügen die zehn FANG-Werte (Apple, Microsoft, Alphabet (Google), Amazon, Nvidia, Tesla, Meta (Facebook), Netflix, AMD und Snowflake) zusammen zwar «nur» über einen Indexanteil von 23,5 Prozent, ihre Kursentwicklung erklärt aber über 80 Prozent der diesjährigen Zugewinne. Die Regionen Europa und Japan kennen eine solche Konzentration nicht, wenn man die sieben schwersten Aktien zusammennimmt.

US-Markt wird von wenigen Gewinnern getrieben
Diese Aktien haben zuletzt auch enorm von dem Hype rund um Künstliche Intelligenz profitiert, denn zweifelsfrei werden viele Technologiewerte daraus Gewinn schlagen. Doch aktuell spürt der Technologie-Sektor operativen Gegenwind. Die Unternehmen verbuchten in den letzten zwölf Monaten einen Gewinnrückgang von fünf Prozent. Dies führt bei gleichzeitig steigenden Kursen zu einem Bewertungsanstieg. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis für den Tech-Sektor auf Basis der Gewinnschätzungen für die kommenden zwölf Monate kletterte deshalb von 20 auf über 25.

Die FANGs haben mit ihrem Aufstieg zu den dominierenden Plattform-Unternehmen bereits die 2010er-Jahre geprägt. Mit dem Markteinbruch im vergangenen Jahr ging dieser Bullenmarkt zu Ende. Dass der nächste Bullenmarkt von denselben Protagonisten angetrieben wird, wie der vorherige, wäre höchst ungewöhnlich. In den vergangenen fünfzig Jahren blieben die Gewinner der vorherigen Aufwärtsbewegung nach dem Trendbruch hinter dem Gesamtmarkt zurück. Ein neuer Bullenmarkt basiert üblicherweise auf einem neuen Narrativ und braucht neue Protagonisten.

Eine Frage der Indexkonstruktion
Zurück zur aktuellen Dominanz der Tech-Werte an der US-Börse. Wenn man die Werte aus dem S&P-500-Index anders gewichten würde, zeigt sich, wie schwer sich der Markt ohne die Tech-Werte tut. Am besten ist das erkennbar, wenn man den kapitalisierungsbasierten S&P-500-Index und seinem gleichgewichteten Pendant vergleicht. Während der S&P 500 eine Aktie gemäß ihrer Marktkapitalisierung enthält, hat in der gleichgewichteten Variante jedes Unternehmen das gleiche Gewicht. Üblicherweise bewegen sich beide Indizes parallel, doch im Mai öffnete sich eine Schere, ähnlich wie zu Beginn der Covid-Pandemie 2020.

Performancevergleich zwischen S&P 500 und dem gleichgewichteten Äquivalent

Quellen: Bloomberg, VP Bank

Auffällige Merkwürdigkeit
Ebenfalls ungewöhnlich ist, dass Wachstumswerte, wie es die Tech-Werte sind, nicht mehr auf die veränderten Rendite- und Zinserwartungen reagiert haben. Weil diese Aktien über hohe, zukünftige Gewinnaussichten verfügen, reagieren sie üblicherweise sensitiv auf Veränderungen des Zinsgefüges.

In den letzten Wochen haben sich die Zinserwartungen ungewöhnlich stark verschoben
Erwarteten die Investoren noch Anfang Mai vier Leitzinssenkungen (200 Basispunkte, bps) bis Januar 2024, so wird gegenwärtig noch eine weitere Erhöhung erwartet, bevor es dann zu einer Senkung um 25 bp skommen sollte. Dem Aktienmarkt scheint diese Verschiebung aber bisher nichts auszumachen.

Kein Grund zur Eile
Gemäß der gängigen Interpretation mag der Bärenmarkt beendet und ein neuer Bullenmarkt begonnen haben. Doch die Erholung erscheint zunehmend fragil. Bernd Hartmann fasst zusammen: "Zu der Dominanz weniger Titel, der sinkenden Marktbreite und den angepassten Zinserwartungen kommen weitere Ungereimtheiten. So ist die Rezessionswahrscheinlichkeit weiter angestiegen, während der Volatilitätsindex VIX, gern auch als Stressindex bezeichnet, mit seinem Rückgang Gleichgültigkeit unter Anlegern signalisiert. Temporäre Rückschläge sind daher wahrscheinlicher geworden, wann sie erfolgen, lässt sich nicht präzise voraussagen. Anleger, die bisher defensiv positioniert sind, müssen sich auf jeden Fall nicht beeilen, ihr Aktien-Engagement zu erhöhen." (kb)

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