Logo von Institutional Money
| Märkte

Dauerverlierer Europa sieht in Aktienkrise plötzlich gut aus

Als Goldman Sachs auf seiner jährlichen Strategiekonferenz kürzlich das Publikum befragte, welche Aktien in diesem Jahr am besten abschneiden würden, schnitt Europa überraschend als Sieger ab.

Aktien des Alten Kontinents scheinen im Kommen zu sein.
Aktien des Alten Kontinents scheinen im Kommen zu sein.© PhotoSG / stock.adobe.com

Seitdem haben Aktienmärkte weltweit einen großen Ausverkauf und den schlechtesten Monat seit März 2020 erlebt, vor allem angesichts der erwarteten Zinserhöhungen in den USA. Doch das Vertrauen der Anleger in das Potential Europas ist ungebrochen. “Der europäische Aktienmarkt sieht in Bezug auf die Bewertung attraktiver aus und reagiert weniger empfindlich auf die von der Normalisierung der Zinssätze durch die US-Notenbank verursachten Preisanpassungen”, sagt Francisco Simon, Leiter der taktischen Vermögensallokation bei Santander Asset Management. “Dies könnte eine Kaufgelegenheit für Europa gegenüber den USA sein.”

Die Zukunft ist Europa
Klienten von Goldman Sachs sehen Europa 2022 an der Spitze

Europa auch anderswo präferiert
Diese Ansicht wird von den meisten Aktienstrategen geteilt - auch von denen der Citigroup und J.P. Morgan. Die Kunden von Morgan Stanley geben dieselbe Antwort wie die Zuhörer von Goldman, und von der Bank of America befragte Fondsmanager wetten speziell auf den europäischen Bankensektor. “Auf der europäischen Seite haben die Märkte einen Zinsschritt der EZB noch nicht wirklich eingepreist”, sagte Norman Villamin, Chief Investment Officer bei UBP Wealth Management, auf Bloomberg TV. “Die europäischen Banken können immer noch davon profitieren, sollte es in den kommenden Monaten dazu kommen.”

Goldmans Kunden können auch irren
Nun ist die Goldman-Umfrage alleine keine Garantie. Im vergangenen Jahr war Asien die bevorzugte Region der Befragten, doch es stellte sich rasch heraus, dass das angesichts strafferer Regulierung und der sich anbahnenden Krise auf dem chinesischen Immobilienmarkt eine schlechte Wahl war.

Dennoch scheint der Europa-Optimismus nicht unbegründet
Die Region mag weniger aufregend sein, aber der Mangel an Extravaganz wird zum Vorteil, wenn die Zentralbanken den Liquiditätshahn zudrehen, der die Rallye des letzten Jahres trieb. Die großen europäischen Indizes hängen nicht von einer Handvoll Mega-Aktien mit übermäßigem Gewicht wie Apple oder Amazon ab. Es fehlen auch die in den USA immer wieder aufflackernden Hype-Aktien mit null Umsatz und einem - wenn auch kurzlebigen - Marktwert von 100 Milliarden US-Dollar.

Positive europäische Gewinnrevisionen zuletzt stärker als die weltweiten

Derzeit ist langweilig zu sein offenbar eher ein gutes Zeichen
Der britische Leitindex FTSE 100, der von Dinosauriern der alten Wirtschaft wie BP, Rio Tinto und dem British-Airways-Eigentümer IAG dominiert wird, ist heuer bisher um etwa ein Prozent gestiegen, eine der seltenen grünen Zahlen in einem Meer von Rot. Der deutsche Leitindex Dax steht mit 4,2 Prozent Verlust ähnlich da wie der Euro Stoxx 50.

Europa wird wohl von einer realen Verschiebung auf den globalen Märkten profitieren
Steigende Zinssätze bedeuten, dass die Investoren zu billigeren Value-Titeln tendieren, die von einer wachsenden Wirtschaft und höheren Renditen profitieren, wie etwa Banken. In der Zwischenzeit kommen hochfliegende, aber unrentable US-Technologiefirmen wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.

Unprofitable Tech-Aktien auf dem Vor-Pandemie-Niveau relativ zum NASDAQ 100

Natürlich ist Europa nicht frei von Risiken, etwa die Probleme, die höhere Zinsen einigen überschuldeten Ländern wie Italien und Griechenland bereiten könnten. Zudem lauert eine große geopolitische Bedrohung direkt vor der Haustür, und die Angst vor einem militärischen Konflikt in der Ukraine dämpft den Risikoappetit. Am Freitag fielen europäische Aktien angesichts von Gerüchten über Sanktionen der EU gegen den russischen Energiesektor und erinnerten damit an die lauernden Gefahren. Doch die Optimisten erschüttert das nicht.

Politische Börsen haben kurze Beine
“Es scheint unwahrscheinlich, dass der Konflikt dauerhafte wirtschaftliche Auswirkungen auf den Kontinent haben wird”, sagt Paul O’Connor, Leiter des Bereichs Multi-Asset bei Janus Henderson Investors im Gespräch mit Bloomberg. “Da hier bereits schlechte Nachrichten eingepreist sind, sehen wir in den künftigen Entwicklungen an dieser Front recht symmetrische Risiken für die europäischen Aktienmärkte.” (kb)

Dieses Seite teilen