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Analyse: Droht Russland die Staatspleite?

Auch wenn Russland wenig Schulden und einen üppig dotierten Staatsfonds hat sowie zahlungswillig ist, könnte ein Default drohen. Denn der Teufel steckt wie immer im Detail. La Francaise Asset Management hat dazu eine kurze Analyse veröffentlicht.

Gaël Binot, Emerging Markets Fixed Income Manager, La Française AM
Gaël Binot, Emerging Markets Fixed Income Manager, La Française AM© La Française AM

In einer Zeit, in der ein Krieg in der Ukraine tobt und die westlichen Sanktionen gegen Russland täglich verschärft werden, insbesondere die Sanktionen gegen den russischen Finanzsektor, stellt sich für Gaël Binot, Emerging Markets Fixed Income Manager bei La Française AM, eine wichtige Frage: Besteht die Gefahr, dass das Land seine Staatsschulden nicht mehr bedienen kann?

Die drei wichtigsten Rating-Agenturen (S&P, Moody's und Fitch) senkten das Rating des Landes auf nahezu Ausfallniveau. Am 17. März erklärte S&P: „Zum jetzigen Zeitpunkt halten wir Russland aufgrund der Schulden sehr anfällig für Zahlungsausfälle“. Für die Finanzmärkte ist die Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls über einen Fünfjahreshorizont ebenfalls sehr hoch und lag laut Bloomberg-Daten per 23.3.2022 bei 88 Prozent.

Die wichtigsten Faktoren
Zwei Fragen drängen sich für Binot auf: Kann Russland die fälligen Zahlungen für seine Kredite (Zinsen und Tilgung) leisten? Und will es das überhaupt?

Die russische Staatsverschuldung liegt bei 18 Prozent des BIP (Quelle: IWF WEO Oktober 2021), womit das Land zu den am wenigsten verschuldeten Ländern der Welt gehört. Das Land weist einen Haushaltsüberschuss auf. Darüber hinaus hat Russland seit der Annexion der Krim 2014 beträchtliche Devisenreserven angehäuft und verfügt über Reserven in Höhe von 643 Milliarden US-Dollar und einen Nationalen Vermögensfonds, der 174,9 Milliarden US-Dollar umfasst.

Die russischen Importe beliefen sich 2021 auf 293 Milliarden US-Dollar. Im dritten Quartal 2021 betrug der Refinanzierungsbedarf aller (öffentlichen und privaten) Devisenschulden Russlands über einen Zeitraum von zwei Jahren 129 Milliarden US-Dollar. Was den wichtigsten Fremdwährungsbedarf Russlands betrifft, so reichen die Devisenreserven des Landes weitgehend aus, um ihn zu decken, betont Binot.

Sanktionen schmerzen
Die Sanktionen haben sich jedoch Binot zufolge für Russland als Wendepunkt erwiesen. Als Reaktion auf die Invasion in der Ukraine hat der Westen Sanktionen verhängt, um die russische Wirtschaft hart zu treffen.

Der russische Finanzsektor ist von zahlreichen Sanktionen betroffen: Einschränkung des Zugangs zu den internationalen Finanzmärkten, Unterbindung des Zugangs zum Swift-System für den internationalen Zahlungsverkehr und Einfrieren eines Teils der Reserven der russischen Zentralbank, die sich laut Reuters auf rund 300 Milliarden US-Dollar belaufen. Die USA gestatten den Erhalt von Zinszahlungen der russischen Zentral- und Staatsbank bis zum 25. Mai. Danach müssen US-Staatsangehörige jedoch eine Sondergenehmigung einholen, um weiterhin solche Zahlungen zu erhalten.

Auch die russischen Exporte (491 Mrd. US-Dollar im Jahr 2021) sind betroffen - insbesondere aufgrund der Aussetzung der Öl- und Gasimporte durch die Vereinigten Staaten. Der Energiesektor, auf den der größte Teil der russischen Ausfuhren entfällt (43 % im Jahr 2021) ist von den Auflagen bisher jedoch relativ unberührt geblieben. Die Europäer sind in hohem Maße von russischen fossilen Brennstoffen abhängig (EU-Importe im Wert von 99 Mrd. Euro) und scheuen derzeit davor zurück, ihren wichtigsten Lieferanten in diesem Bereich zu sanktionieren.

Russland reagiert
Als Reaktion auf den Devisenmangel und den Absturz des Rubels intervenierte die russische Notenbank, um die Währung zu stabilisieren. Kürzlich hat sie auch den Verkauf von Fremdwährungen bis zum 9. September ausgesetzt, erinnert Binot.

So gesehen scheint Russland seinen kurzfristigen Zahlungsverpflichtungen noch nachkommen zu können. Je länger die Sanktionen jedoch andauern und den Zugang zu Kapitalzuflüssen und Devisen weiter einschränken, desto größer wird das Risiko eines Zahlungsausfalls für Russland.

Am 5. März unterzeichnete Wladimir Putin ein Dekret, in dem er den Gläubigern feindseliger Länder, die Schulden in Fremdwährung halten, mit einer Rückzahlung in Rubel drohte. Dies kann als Zahlungsausfall für diese Schuldenart gewertet werden.

Es gibt jedoch eine Reihe von Fremdwährungsanleihen, die eine Rückzahlung an die Gläubiger in Rubel unter bestimmten Bedingungen erlauben, was keinen Zahlungsausfall der russischen Schulden auslösen würde. Es ist daher schwer zu sagen, auf welche Anleihen sich die russische Regierung bezieht. Andererseits führt jede Änderung der Tilgungswährung, sofern sie nicht im Emissionsprospekt angegeben ist, zu einem Zahlungsausfall des Landes.

Russland zeigt, dass es seinen Schuldendienst leisten will... vorerst. Am 16. März erfüllte Russland seine Kupon-Tilgungsverpflichtungen in US-Dollar - im Wert von 117 Millionen US-Dollar für zwei Emissionen, die 2023 und 2045 fällig werden, und vermied damit einen unmittelbaren Zahlungsausfall. Aber 2022 werden noch etwa zwanzig Anleihen fällig, darunter zwei Milliarden US-Dollar am 4. April.

Angesichts der extremen Spannungen ist es Binot zufolge schwierig, die zukünftigen Absichten des Kremls hinsichtlich eines freiwilligen Zahlungsausfalls zu beurteilen. Sollte es dazu kommen, wäre der Ruf des Landes beschädigt, und der Zahlungsausfall würde sich nachhaltig auf die künftigen Finanzierungskosten des russischen Staates bei internationalen Investoren auswirken. Ein "freiwilliger" Zahlungsausfall würde einen Verzicht des russischen Staates auf eine kurzfristige Normalisierung der Beziehungen zum Westen bedeuten, warnt Binot abschließend. (aa)

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