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Aktienkurse und Gewinne – wer folgt wem?

Überall am Markt machen sich Rezessionssorgen breit – nur nicht bei den Gewinnschätzungen der Aktienanalysten. Ist das ein Grund zur Hoffnung? Die Exxperten der DWS Group glauben eher nicht.

Thomas Bucher, Aktienstratege der DWS
Thomas Bucher, Aktienstratege der DWS© DWS

Ganz Gallien galt einst als von den Römern besetzt. Bis auf ein Dorf, welches erbitterten Widerstand leistete. So sieht es derzeit auch an den Kapitalmärkten aus. Sie werden allenthalben von Rezessionssorgen durchgeschüttelt: Aktien sind in den Bärenmarkt gerutscht; der Kryptomarkt hat drei Viertel von seinem Höchststand eingebüßt, die Risikoaufschläge auf riskantere Unternehmensanleihen haben sich gegenüber Mitte 2021 rund verdoppelt, der vermeintliche Konjunkturindikator Kupfer hat sich seit Ende des ersten Quartals um fast 30 Prozent verbilligt und die Fluchtwährung in unsicheren Zeiten, der US-Dollar, hat alleine dieses Jahr um zwölf Prozent zugelegt.

Langfristig gehen Aktienkurse und Gewinne gleiche Wege – wen wundert’s

Pessimismus allerorten
Doch eine Gruppe bleibt scheinbar unbeeindruckt und leistet weiter Widerstand: die Aktienanalysten. Ihre Gewinnschätzungen für die kommenden zwölf Monate sind erstaunlich stabil – quasi unverändert. Wie der obige Chart zeigt, führt das zu einer sich öffnenden Schere zwischen Gewinnerwartungen und Kursen. Wie der Chart ebenfalls zeigt, haben beide Reihen meist irgendwann wieder zusammengefunden. Das verwundert kaum, denn im Wesentlichen bestimmen nur drei Faktoren die Aktienkurse: Gewinne, Gewinnwachstum und Zinsumfeld. Schaut man sich das fundamentale Umfeld an, dann müsste schon bei vielen unsicheren Punkten jeweils das optimistischste Szenario eintreffen, damit sich die Kurse wieder den Gewinnschätzungen annähern.

Zu früher Optimismus könnte falsch sein
Thomas Bucher, Aktienstratege der DWS, befürchtet eher das Gegenteil: „Durch die Kursrückgänge sind die Bewertungen deutlich zurückgekommen, zumindest optisch. Doch wenn die Gewinnrevisionen einsetzen, steigen die Kurs-Gewinn-Verhältnisse wieder als Ergebnis der geringeren Gewinnerwartungen. Noch wichtiger ist aber, dass sich die Märkte erst wieder erholen dürften, wenn die Gewinne nicht mehr weiter nach unten revidiert werden. Wir selber rechnen im Basisszenario in den Industrieländern mit keinem Gewinnwachstum im kommenden Jahr mehr.“

Gründe für den Optimismus der Analysten
Einer dürfte darin liegen, dass Analysten sich stark an den Aussagen der Firmen orientieren. Diese antizipieren konjunkturelle Wendepunkte allerdings nur selten. Ein anderer Grund liegt dieses Jahr in dem starken Anstieg der Energiepreise. Auf globaler Ebene führt das dazu, dass die 2022er Gewinnschätzungen für den Energiesektor im ersten Halbjahr um 40 Prozent angehoben wurden. Im Materialsektor lag das Plus immerhin noch bei über zehn Prozent. Zusammen mit dem Industrie- und dem IT-Sektor gehören sie zu den vier Sektoren mit positiven Gewinnrevisionen. Dem gegenüber stehen sieben Sektoren mit (moderaten) negativen Anpassungen. Es wäre überraschend, wenn sich dieses Verhältnis nicht zum Schlechteren verändern sollte. (kb)

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