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Adam Tooze: Höhere Tail-Risiken sind Teil der geopolitischen Realität

In seinem viel beachteten und von den Besuchern des Institutional Money Kongresses stark akklamierten Vortrag beschäftigt sich der angesehene Historiker Adam Tooze mit der Rückkehr der Geopolitik. Er empfiehlt zwar keinen Alarmismus, möchte aber Bewusstsein für eine veränderte Welt schaffen.

Der Universalgelehrte Adam Tooze bei seinem Vortrag am 15. Institutional Money Kongress in Frankfurt.
Der Universalgelehrte Adam Tooze bei seinem Vortrag am 15. Institutional Money Kongress in Frankfurt.© Christoph Hemmerich für Institutional Money

Relativ wenig Tröstliches hatte Starreferent Adam Tooze der Zuhörerschaft zu bieten, denn es komme zu einer Verstärkung der militärischen Gewalt, wobei die Konflikte komplexer geworden seien. Daher komme es zu höheren Tail-Risiken, die nun Teil der Realität seien.

Unglaubwürdiger Westen
Im Westen habe der damals wehende liberale Zeitgeist nach dem Untergang der Sowjetunion geglaubt, dass das westliche demokratische Modell dank seiner wirtschaftlichen Dominanz nun einmal überlegen und man dank Kapitalismus und Marktwirtschaft der natürliche Gewinner auf diese Welt wäre. Viele würden sich die 90er-Jahre zurückwünschen und täten so, als ob sie angesichts der geopolitischen Veränderungen aus allen Wolken gefallen seien. Dies sei jedoch unglaubwürdig, zeichneten sich so manche Änderungen bereits für längere Zeit ab.

Vier Fehlkalkulationen des Westens
Die erste sei es zu glauben, das Wirtschaftswachstum spiele dem Westen in die Hände. Tatsächlich hätten die Gegner stärker profitiert. Tooze führt ins Treffen, dass etwa das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Ukraine schrumpfte, während jenes von Russland stieg und schließlich zehn Mal so hoch wie jenes der ehemals relativ wohlhabenden ukrainischen SSR war.

Die zweite Annahme, die sich als falsch herausstellte, war die Ansicht, dass ein breites Wirtschaftswachstum das westliche Bündnissystem stärken würde. Doch bei genauerem Hinsehen sind zentrifugale Kräfte auszumachen. So würden der saudische Kronprinz MBS und Israels Dauer-Premier Netanjahu mit Putin liebäugeln, Das zeige, dass man nicht mehr wie in der Vergangenheit von den USA abhängig sei. Tooze sprach auch in diesem Zusammenhang die Veränderungen in der Allokation der FX-Reserven Israals an, die zu Lasten des US-Dollar und des Euro gingen. Israel stockte hingegen um Yuan, Renminbi, Kanada- und Austral-Dollar-Bestände auf (siehe Chart).

Israels geänderte Allokation der FX-Reserven als Zeichen neuen Selbstbewusstseins

Chinas Aufstieg sei eine geschichtlich einmalige Herausforderung der USA, der durch starkes Wachstum der Wirtschaft geschehen sei - ein Beweis dafür, dass Wachstum nicht die Lösung für Probleme in der Welt ist. Zudem gebe es so etwas wie eine innere Zersetzung infolge steigender Ungleichheit in den USA - nur mehr 19 Prozent der Amerikaner würden ihr eigenes politisches System als Modell für den Rest der Welt ansehen. Damit ist die Leitbildfunktion Geschichte.

"Wirtschaftswachstum ist nicht neutral und auch nicht unschuldig, es ist auch nicht nur Lösung", hob Adam Tooze als dritten Punkt hervor. Der Privatsektor könne sich der Verantwortung nicht entziehen - man denke nur an Tech-Firmen wie Huawei und künftig auch Apple, eine Firma, die noch unschuldig sei, aber wie lange noch, das sei eben die Frage. Das Wirtschaftswachstum müsse aber als potenzierender Faktor in der Geopolitik gesehen werden. Angesichts der Gemengelage könnten die Staaten versucht sein sich alter Machtspiele - als Vorbilder sind hier Henry Kissinger und Kanzler Metternich zu nennen - zu erinnern, Stichwörter sind Diplomatie und Abschreckung, doch sollte man sich die alten Zeiten nicht herbeiwünschen. Es steht für Tooze jedenfalls fest, dass die liberale Blase geplatzt ist.

In den 90-er Jahren ging mit der Weltöffnung die absolute Vormachtstellung des Westens einher, wobei die Nato-Ausgaben 80 Prozent der weltweiten Rüstungsausgaben ausmachten. Dies versprach absolute Sicherheit, doch damit ist es jetzt vorbei. Die Idee einer absoluten Sicherheit ist somit die vierte Fehleinschätzung des Westens.

Selbstbewusste Machtstaaten bestimmen das Geschehen
Sowohl die USA als auch China seien dieser Kategorie zuzurechnen. Europa interessiert in den USA kaum noch, China ist Hauptthema in einschlägigen Washingtoner Kreisen als Herausforderer. Dazu komme, so Tooze weiter, dass sich einflussreiche Kreise anderer Staaten wie Brasilien, Indien und auch Singapur, wo er kürzlich zu Gast war, über die peinliche Situation, in der sich der Westen nun befinde, geradezu freuten.

Eindeutige Hinweise
Während noch diskutiert wird, ob kaufkraft-adjustiert China die USA wirtschaftlich schon überholt hat, ist das Bild für Tooze eindeutig, liegt doch der Stromerzeugung Chinas deutlich über jener der USA, was einen guten Anhaltspunkt darstellt, wer hier an der Spitze steht. Zudem seien die ostasiatischen Metropolen im Vergleich zu den amerikanischen in punkto Modernität ihrer Infrastruktur weit voraus und es gebe wesentlich mehr diese Mega-Millionenstädte.

Betrachtet man die relative Verteilung des Welt-BIP, könnte man aus der Sicht Chinas und auch Indiens argumentieren, dass man nur dorthin zurückwolle, wo man den Großteil der letzten 2000 Jahre verbrachte, nämlich auf den Spitzenplätzen mit den größten Anteilen am Welt-BIP-Kuchen. Angesichts der großen absoluten Fortschritte, was die Entwicklung des Welt-BIPs anbelangt, wäre diese neue Machtverteilung auch absolut betrachtet, die größte Umwälzung, die die Welt jemals gesehen hätte.

Neue Multipolarität
Aber es gibt da noch als guten Indikator der Machtverschiebung die Entwicklung des weltweiter CO2-Ausstoßes (siehe Chart unten). Darin erkennt man sofort, dass es dieses Mal um eine wesentlich größere Auseinandersetzung als etwa im Kalten Krieg geht.

Quellen: Our World in Data, Global Carbon Project

Viele aufstrebende Länder des Südens erlangen mehr Gewicht und werden Global Player, wobei sie zwischen den beiden Blöcken lavieren. Als Beispiele nannte Tooze Brasilien, das wirtschaftlich von China abhängig sei, und Mexiko, das die verlängerte Werkbank der USA sei.

Drohnentechnologie als Indikator für die neue Multipolarität
Wenn auch viel Knowhow vom Westen angestoßen wurde, so gibt es doch große Sickereffekte weit in den globalen Süden hinein. Als pars pro toto rollt Tooze eine Weltkarte aus, die zeigt, wie viele Staaten schon über die letzten Jahre zum Kreis der Staaten mit Drohnen-Kapazitäten zählen, deren Wichtigkeit sich gerade jetzt in der Auseinandersetzung der Ukraine mit dem Agressor Russland manifestiert. Manifest wird, dass die Welt ungleich komplexer geworden ist.

Bedeutung für das Asset Management
"Globale Investition basiert auf Vertrauen", betont Tooze. Er rät, die Stimmungsschwankungen zwischen den USA und China eng zu beobachten. So habe es eine sehr ernste Stimmung im Zeitfenster zwischen August 2022 und März 2023 gegeben, als Nancy Pelosi ihren Besuch in Taiwan absolvierte. Auch verwies Tooze auf die Spionageballon-Krise, die von der Biden-Administration nicht eingefangen werden konnte und von den republikanischen Medien monatelang gespielt wurde. "Die Frage, ob eine wirkliche Koexistenz zwischen den USA und China möglich sei, war damals offen" resümiert Tooze.

China agiert undurchsichtig, die US-Presse ist tendenziös
Das Land der Mitte hat viele große Aufgaben zu lösen. Tooze erinnerte an das demographische Problem und den chinesischen Arbeitsmarkt, aber auch das bewusste Platzen-Lassen der Immobilien-Hausse, wobei die fallenden Teile von der Regierung aufgefangen werden. Auch die Steuerung des Wachstums und der zunehmenden Verschuldung ist eine Riesenaufgabe. Wenn es China gelingt, alle diese Herausforderungen zu meistern, wäre das eine große Leistung.

Über die US-Chinapolitik
Toozes Meinung nach werde diese vom Sicherheitsapparat im Pentagon bestimmt. Zu nennen sei auch die Allianzpolitik mit asiatischen Staaten nach dem Latticework-System. Dabei handelt es sich um ein Gitternetzsystem, wo im Gegensatz zu einem zentralistischen mit den USA als Nukleus, wo die Fäden zusammenlaufen, nun die einzelnen Mitglieder wie Südkorea und Japan gitterartig miteinander vernetzt sind und ein selbstlaufendes System darstellen. Dann gelte es Spannungen und Krisen zu managen, also ein tragfähiges Krisenmanagement zu bilden.

Auf die US-Präsidentschaftswahlen im November beim abschließenden Q&A angesprochen, meinte Tooze, was die Chancen auf einen Deal mit China anbelange, so sei Trump derjenige, der wohl an einem Deal interessiert wäre, während man von Biden dies eher nicht zu erwarten hätte. (kb)

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