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7. INSURANCE DAY 2016 (Teil 4): Solvency II am Wissenschafts-Prüfstand

Professor Dr. Helmut Gründl forscht im Bereich der Versicherungsregulierung und analysiert messerscharf die Schwachstellen des Solvency II-Regimes.

Den Zeitpunkt der Einführung von Solvency II hält Professor Gründl nicht für ideal. Das ganzheitliche System der Risikosteuerung hingegen hält er für richtig, im Gegensatz dazu sei die Bankenregulierung nur modulartig. Dank Solvency II zeige die Branche ein stärkeres Risikobewusstsein und könne auch Preiserhöhungen durchsetzen. Es werde zu Produktentwicklungen im Lebensversicherungsbereich und einer Verringerung der Garantieverzinsung kommen, ist Gründl überzeugt. Auch in der Anlagepolitik hat er Auswirkungen von Solvency II wahrgenommen: "Die Versicherer zeigen einen Trend in Richtung "BBB"-Qualitäten".

Standardmodell arbeitet mit problematischen Vereinfachungen

Solvency II soll ja einen 200-Jahres-Verlust abfedern helfen, sodass selbst in diesem Fall noch Basiseigenmittel bei den Versicherern vorhanden sind. Doch wer habe das mit allen Annahmen des Standardmodells wirklich zuletzt nachgerechnet, fragt sich Gründl. So gebe es politisch bedingte Ausnahmen von der Risikoadäquenz, etwa bei OECD-Staatsanleihen, deren Ausfallsrisiko nicht modelliert werde. Ein anderes Problem stellen die Korrelationsmatrizen dar, die sich zum einen in Krisenzeiten bekanntlich ändern und im Standardmodell in 0,25-er Schritten modelliert sind. "Wo ist der empirische Beleg dafür?", fragt Gründl, "Schließlich hat das ganz entscheidenden Einfluss auf das Sicherheitsniveau." Ob dieses Mindest-Sicherheitsniveau im Standardmodell erreichbar sei, sei ungewiss. Dies müsse eine unbefriedigende Situation für Aufseher wie auch Versicherungsunternehmen sein, folgert er. "Das 99,5-Prozent-Niveau soll keine Fata Morgana sein, sondern ist nachzurechnen, fordert Gründl. Realitätsnahen internen Modellen solle der Vorzug gegeben werden.

Verzerrungen geortet

Diese sieht Gründl unter anderem bei den von EIOPA vorgegebenen Stressszenarien der Zinskurve. Vergleicht man die Stressszenarien der Standardformel vom November 2015 mit der tatsächlichen Entwicklung in 2016, so zeigt sich, dass das Basisszenario per Juni 2016 unterhalb des Stressszenarios vom November zu liegen kommt.

Eine weitere Verzerrung wittert Gründl bei den Übergangsregelungen und künstlichen Parametern der Zinsstruktur zur Bewertung versicherungstechnischer Risiken. Da ausgesprochene Garantien nicht verändert werden können und manche Versicherer dabei schlecht aussehen, hat man getrickst, wahrscheinlich deshalb, weil es sich um ein alternativloses Vorgehen handelt.

Durch diesen künstlich hohen Zins hat man erhöhte Eigenmittel auf dem Papier geschaffen. Damit gebe es aber geringere Anreize für ein reales Risikomanagement, so Gründl, sondern Anreize für die Optimierung einer verzerrten Solvenzbilanz. Seiner Ansicht nach wäre es gut, antizyklische Kapitalpuffer aufzubauen, aber man habe ja in der Krise mit Solvency II begonnen.

Verzerrungen gehören abgebaut

Gründl plädiert dafür, eine Koordinierung der Versicherungs- und Bankenregulierung anzustreben. Wer würde denn unterschiedliche Stresstestszenarien für Banken und Versicherer verstehen, moniert er. Ein Spannungsfeld ortet er auch bei der Solvenzregulierung und dem Konsumentenschutz. Die Kündigungsrechte im Lebensversicherungsbereich seine Gratisoptionen der Konsumenten, die zu Lasten jener gingen, die ihre Verträge durchhielten.

Gefährliche Prozyklizität

Gefahr geht von der Prozyklizität infolge der marktkonsistenten Bewertung und der Standardformel aus, so Gründel. Hier seien Abwärtsspiralen möglich, zu deren Abwehr in beide Richtungen wirkende Kapitalpuffer nötig wären. Generell sieht der Professor die Gefahr einer konzertierten Aktion zwischen Regulierung und Versicherungswirtschaft, durch die Verzerrungen sogar noch größer werden könnten. Man nehme nur die Versuchung, politisch gewünschte Kapitalanlagen durch Unterlegungserleichterungen zu unterfüttern - Stichwort Infrastrukturinvestitionen. Ein nicht adäquat gepreistes Ausfallsrisko schlägt auf den Versicherungsnehmer durch.

Ebenfalls höchst problematisch sind Erleichterungen bei der Bewertung versicherungstechnischer Verpflichtungen, durch die es zur Verzerrung zwischen der Solvenzbilanz und dem handelsrechtlichen Überschuss kommt. Gründl: "Bei letzterem hat man zwar die Zinszusatzreserve eingeführt, um die Lücke bei der Deckungsrückstellung zu füllen. Aber die Solvenzbilanz ist dann weiter weg von der Realität als der handelsrechtliche Abschluss." Im Extremfall bedeutet das, dass ein Versicherer mit eine Solva-Bilanz von vielleicht 200 Prozent handelsrechtlich pleite ist. (kb)

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