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Zeit innezuhalten

Die erzwungene Stilllegung weiter Teile des öffentlichen Lebens im Westen hat vielleicht auch ihr Gutes: Es bleibt Zeit abseits des Hamsterrads, in dem wir uns alle befinden, zur inneren Einkehr und der Beschäftigung mit Grundsätzlichem. Der Zeitgeist darf dabei getrost in den Hintergrund treten.

© fotogestoeber / stock.adobe.com

Jede Katastrophe - und als solche darf man eine Pandemie bezeichnen - bietet die Chance zur Veränderung. Tatsächlich müssen wir uns fragen, ob eine schrankenlose Globalisierung überhaupt noch das Modell der Zukunft sein kann. Denn was wir heute beobachten können, ist eine hochgradige Verletzlichkeit ganzer Volkswirtschaften, sodass man unweigerlich an Nassim Taleb und sein Fragilitäts-Konzept erinnert wird.

Zu hohe Fragilität
So wie sich die Finanzindustrie 2008 als überaus fragil erwiesen hat, tut dies nun die Realwirtschaft mit ihren immer weiter von Europa weg und vornehmlich nach Asien verlegten Lieferketten. Wenn kleine hochspezielle Teile nicht mehr den Weg nach Europa finden, stehen dort die Förderbänder still. Wenn ein Großteil der Vorprodukte zur Antibiotika-Herstellung in China und überhaupt viele wichtige Medikamente in Indien produziert werden, dann kann das ein zu hohes Risiko sein, am Ende des Tages als hochentwickelte Volkswirtschaft ohne lebenswichtige Medikamente dazustehen. Asien produziert zudem einen Großteil von Schutzkleidung und -masken, die händeringend gebraucht werden.

Weiter gedachte Nachhaltigkeit
Was uns Corona gerade zeigt, ist, dass fragile Ansätze ins Out katapultiert werden, wenn der schwarze Schwan kommt. Nachhaltigkeit bekommt damit eine neue und viel wichtigere Dimension als klassisches ESG, wo sich die meisten zwischen grundverschiedenen Nachhaltigkeitsratings für ein- und dieselben Firma zu verlieren drohen: nämlich die Sicherung der Lebensgrundlagen und kritischen Infrastruktur der jeweiligen Bevölkerung.

Jeder ist sich selbst der Nächste
Dieser alte Spruch bewahrheitet sich gerade wieder aufs Neue. Beispiele gefällig? Deutschland und Frankreich haben einen Exportstopp am vergangenen Mittwoch für medizinische Hilfsmittel verhängt. Österreich hat damit Probleme betreffend Nachlieferungen dieser Produkte. So ist ein Lkw mit einer Ladung voller Atemschutzmasken an der deutschen Grenze an der Einreise nach Oberösterreich gehindert worden. Spannungen gibt es auch zwischen Deutschland und der Schweiz diesbezüglich (beides hier nachzulesen). Mit der europäischen Solidarität ist es also in Krisenfällen nicht weit her, wie zu erwarten war. Alle Staaten, die unter "France & Gemany first" zu leiden haben, sollten in der Zukunft immer dann, wenn Einstimmigkeit verlangt ist, die beiden "ach so vorbildlichen europäischen Staaten" durch den Ausspruch eines Vetos nachhaltig daran erinnern.

Neuaufstellung für die Zukunft
Eine Verkürzung der Lieferketten ist wohl das Gebot der Stunde, und ein gewisses Maß an Autarkie in Bezug auf Schlüsselindustrien und -produkte ist dringend wieder herzustellen. Das gilt für jeden einzelnen Mitgliedsstaat der EU. Das Heimholen von Zulieferern nach Europa wiederum hätte auch den Vorteil, dass dadurch neue Jobs an der Südflanke der EU mit ihren geringeren Lohnkosten entstehen könnten, sodass deren Perspektiven sich wieder aufhellen. Zudem würde sich die Umweltbilanz durch in der Nähe produzierte Vor- und Zwischenprodukte quasi wie von Geisterhand geführt verbessern und den Anhängern der Klima-Kirche zumindest partiell den Wind aus den Segeln nehmen. Das hieße aber auch, seine nationalen Interessen entschieden zu verteidigen, so wie Donald Trump das in den USA tut. Der Respekt vor Europa und seinen Staaten auf der politischen Weltbühne würde dann wohl wieder steigen. (kb)

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