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2/2024 | Theorie & Praxis

Wunsch und Wirklichkeit

Auch Banken sind aufgerufen, bei der Kreditvergabe Nachhaltigkeitsziele zu berücksichtigen. Eine Forschungsarbeit zeigt anhand nicht öffentlicher EZB-Meldedaten zu den Kredit­büchern europäischer Banken, dass ihnen das in der Praxis schwerfällt.

Zwischen dem Wunsch der Politik, Banken und deren Kreditvergabe als zentralen Hebel bei der Transformation der Wirtschaft in Richtung mehr Nachhaltigkeit ­einzusetzen, und dem tatsächlichen Verhalten der Kreditinstitute klafft derzeit noch eine beträchtliche Lücke. 
Zwischen dem Wunsch der Politik, Banken und deren Kreditvergabe als zentralen Hebel bei der Transformation der Wirtschaft in Richtung mehr Nachhaltigkeit ­einzusetzen, und dem tatsächlichen Verhalten der Kreditinstitute klafft derzeit noch eine beträchtliche Lücke. © andrey | stock.adobe.com | generiert mit KI

Einem globalen Trend folgend, der ein exponentielles Wachstum der Nachhaltigkeitsberichterstattung ­bewirkt, haben Banken ihre Berichterstattung erweitert, um ihre Verantwortung für das Erreichen von Klimazielen zu betonen. Dennoch haben politische Entscheidungsträger und Branchenkommentatoren immer wieder Bedenken geäußert, ob Banken aus strategischen Gründen nur positive Informationen über ihren Impact auf die ­Umwelt offenlegen. Daher gibt es auf beiden Seiten des ­Atlantiks bei EZB und SEC häufig lebhafte Diskussionen über die Regulierung der Umweltinformationen der Finanzindustrie. So sahen sich beispielsweise BNP Paribas, HSBC und die Deutsche Bank mit Rechtsstreitigkeiten und Geldstrafen wegen irreführender Angaben in Bezug auf Offen­legungen zu Umweltthemen konfrontiert.

Offenlegung Gebot der Stunde

Mariassunta Giannetti von der Stockholm School of Economics, Martina Jasova vom Barnard College der Columbia University, Maria Loumioti von der University of Texas in Dallas und Caterina Mendicino von der EZB tragen zu dieser Debatte bei, indem sie untersuchen, in welcher Beziehung der Umfang der Umweltinformationen von Banken zur Kreditvergabe der Banken steht. Sie konzentrieren sich dabei auf Banken im Euroraum. Diese sind sowohl durch Regulierungsbehörden als auch durch institutionelle Anleger besonders hohem Druck ausgesetzt, sich als umwelt­bewusst darzustellen. Stellvertretend sei das IIGCC-(The Institutional Investors Group on Climate Change Change)-­Paper mit dem Titel „ Aligning the Banking Sector with the Goals of the Paris Agreement“ vom April 2021 genannt. Die Kapitalmarktforschung hat zudem gezeigt, dass ein guter Ruf als umweltbewusstes Unternehmen die Gewinne steigert, weil er die Kapitalkosten senkt und die Loyalität der Kunden erhöht. Entsprechendes findet sich unter anderem in der 2019 veröffentlichten Studie von Rui A. Albuquerque, Yrjo J. Koskinen und Chendi Zhang mit dem Titel „Cor­porate Social Responsibility and Firm Risk: Theory and ­Empirical Evidence“ sowie in „Social Capital, Trust and Firm Performance: The Value of Corporate Social Responsibility during the Financial Crisis“, 2017 von Karl V. Lins, H. Servaes und Ane Tamayo im Journal of Finance publiziert.

Daten-Set-up

Die Autorinnen analysieren insgesamt 101 systemrelevante Bankengruppen, die mit all ihren Tochtergesellschaften 553 Banken umfassen, die dem Einheitlichen Aufsichtsmechanismus der EZB (SSM, Single Supervisory Mechanism) unterliegen. Für jede Tochtergesellschaft erhalten die Kapitalmarktforscherinnen Daten auf Kreditebene von AnaCredit (AC), einem Kreditregister, das 2018 vom Europäischen ­System der Zentralbanken eingeführt wurde und vertrauliche Informationen über ausstehende Geschäftskredite bietet. Das AC erfasst insbesondere die Merkmale der Kreditnehmer (z.?B. Branche, Standort), Kreditbedingungen (z.?B. Betrag, Laufzeit, Zinssatz, Ausgabedatum) und Leistung (z.?B. Zahlungsrückstände) sowie das Kreditengagement der Bank ­gegenüber dem Kreditnehmer. Ein wichtiger Vorteil von AC gegenüber den Kreditdatenspeichern der nationalen Banken ist die Harmonisierung der Informationen auf Kreditebene über verschiedene Länder hinweg. Alle Banken melden ­jeden Kredit, der an Unternehmen vergeben wird, wenn das Engagement gegenüber dem Kreditnehmer 25.000 Euro übersteigt. Die Granularität der Daten in AC ermöglicht es, Veränderungen in der Kreditvergabepolitik durch den ­Kreditfluss der Banken im Lauf der Zeit zu erfassen. Konkret betrachten die Autorinnen in ihrer empirischen Analyse Kredite, die im Zeitraum 2014 bis 2020 neu vergeben wurden. Da die mittlere Kreditlaufzeit etwa vier Jahre ­beträgt, gelingt es, den Großteil der Kreditvergabe der ­Banken in diesem Zeitraum zu erfassen. Dabei umfasst die Maßzahl für neue Kredite an einen Kreditnehmer alle Fazilitäten, die eine Bank (Tochtergesellschaft) dem Kredit­nehmer in ­einem Jahr gewährt hat – mit Ausnahme von Kreditlinien, da ­gezogene Kreditlinien sowohl die Nachfrage des Kredit­nehmers als auch das Kreditangebot wider­spiegeln.

Den vier Kapitalmarktforscherinnen war nicht klar, ob die Versuche der Banken, sich als umweltbewusst darzustellen, auch in der Praxis mit einer grüneren Kreditvergabepolitik verbunden sind. Es gelingt ihnen aufzuzeigen, dass Banken, die in ihren Berichten Umweltinitiativen überbetonen, kein grüneres Kreditportfolio haben als ihre Wettbewerber. Die Banken scheinen also strategisch über positive Nachhaltigkeitsmaßnahmen zu berichten und Informationen über ­Negatives in diesem Zusammenhang zurückzuhalten. Das Ganze geschieht mithilfe einer Textanalyse (siehe gleichnamige Grafik) der Umweltinformationen von systemrelevanten Banken in der Eurozone mit dem Ziel, das Ausmaß zu ­erfassen, in dem eine Bank versucht, ihr ökologisches Nachhaltigkeitsprofil zu verbessern. In Übereinstimmung mit ­diesem Ziel ist der Indikator für den Umfang der Umweltinformationen von Banken positiv mit dem Ruf einer Bank als umweltfreundlich verbunden, wobei man diese Messgröße an dem Umwelt-Score-Rating und der Beteiligung der Bank an der Emission grüner Anleihen festmachen kann. Beides – Umwelt-Score und Green-Bond-Emssionen – können von den Marktteilnehmern leicht beobachtet werden. Darüber hinaus wird generell die Offenlegung von Umweltinformationen in der Regel positiv bewertet.

AC als Quelle

Anhand von AnaCredit (AC), dem Kreditregister des Europäischen Systems der Zentralbanken, das umfassende Informationen über die Kreditvergabe und das Kreditengagement der Banken liefert, untersuchen die vier Kapitalmarktforscherinnen, ob die Offenlegung von Umweltinformationen mit der Umweltfreundlichkeit (Greenness) der Kreditvergabe der Banken zusammenhängt, die von den Marktteilnehmern nicht beobachtet werden können, weil sie auf der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Daten beruht.

In Ermangelung von strategischen Offenlegungen würde man erwarten, dass Banken, die sich selbst als umwelt­bewusster darstellen, mehr Kredite an grüne und weniger Kredit an braune Kreditnehmer vergeben. Diese Arbeits­hypothese des Quartettes fand in den Daten aber keine ­Bestätigung, sondern musste verworfen werden. Stattdessen stellen Giannetti, Jasova, Loumioti und Mendicino fest, dass Banken, die ihre Aktivitäten als nachhaltiger darstellen, im Allgemeinen mehr neue Kredite an Kreditnehmer aus braunen Branchen und an Kreditnehmer mit höheren CO2-Emissionen vergeben, während sie gleichzeitig nicht mehr Kredite an grüne Branchen ausreichen. Diese Banken verringern auch nicht ihr Engagement gegenüber Kreditnehmern, die auf der Grundlage der Klassifizierung nachhaltiger Aktivitäten der Europäischen Union als braun einzustufen sind. All diese Muster sind am stärksten bei Krediten an kleine Kreditnehmer ausgeprägt, die für die Marktteilnehmer naturgemäß schwieriger zu beobachten sind. Die Ergebnisse der Untersuchung deuten also darauf hin, dass man über die größten Kreditnehmer wie zum Beispiel den Markt für Konsortialkredite bei der Analyse des Umwelt-Impacts ­hinausgehen und das gesamte Kreditportfolio einer Bank betrachten sollte, um die Umweltauswirkungen der Kreditentscheidungen zu bewerten.

Alle Regressionsrechnungen arbeiten mit Kontrollvariablen in Bezug auf die Kreditnachfrage, indem entweder Interaktionen von fixen Firmen- und Zeiteffekten oder Inter­aktionen von fixen Branchen-, Länder- und Zeiteffekten einbezogen werden, was es den Autorinnen ermöglicht, das Kreditangebot von Banken zu identifizieren, das die Nachhaltigkeit der Kreditvergabepolitik betont. Man kontrolliert auch im Hinblick auf die Möglichkeit der Banken, ihre ­Bilanzen auszuweiten, entweder durch eine Kombination aus festen Effekten der Bank und zeitvariablen finanziellen Performancekenngrößen oder Interaktionen von bank- und zeitfixen Effekten.

Enttäuschende Ergebnisse

Die Autorinnen gehen in einer weiteren Hypothese davon aus, dass Banken mit umfassenden Offenlegungen bezüglich Umweltinformationen Kredite an Kreditnehmer in braunen Industrien vergeben, um deren Umstellung auf umweltfreundlichere Technologien zu erleichtern. Allerdings können Giannetti, Jasova, Loumioti und Mendicino anhand der ausgewerteten Daten nicht feststellen, dass diese Kredit­nehmer, die mehr Kredite von Banken erhalten, die in ihren Angaben das Umweltengagement betonen, in den nächsten drei Jahren nach Kreditvergabe ihre Treibhausgasemissionen (THG) tatsächlich verringern. Darüber hinaus finden sie auch keine Hinweise darauf, dass Unternehmen in braunen Branchen, die Kredite von Banken mit hohem Umweltbewusstsein erhalten, mehr in Forschung und Entwicklung (R&D) oder Sachanlagen investieren als andere Unternehmen ihrer Branche. Dies deutet darauf hin, dass diese Unternehmen wahrscheinlich nicht in neue umweltfreundlichere (grünere) Technologien investieren. Ebenso gewähren Banken mit einem hohen Grad an Offenlegung von Umweltinformationen unverhältnismäßig weniger Kredite an junge Unternehmen in braunen Industrien, die eher dazu tendieren sollten, innovativ zu sein und disruptiv in Bezug auf alte braune Technologien zu wirken.

Schließlich finden sich keine Hinweise darauf, dass ­Firmen mit klar definierten Plänen zur Reduktion der Kohlenstoffemissionen entsprechend der Science Based Target Initiative (SBTi) mehr Finanzmittel von Banken mit umfassenderen Umweltinformationen erhalten würden als von Banken, die in puncto Umweltengagement wenig offenlegen. Zusammengenommen deuten die Forschungsergebnisse darauf hin, dass Banken, die die Umwelt in ihren Offenlegungen betonen, sich wahrscheinlich nicht an der Kreditvergabe für den Übergang beteiligen.

Stattdessen scheinen Beziehungen zu Banken und frühere Engagements bei der Unternehmensfinanzierung die Rolle der Banken bei der Finanzierung des Klimawandels einzuschränken. Auch wenn Banken mit umfassenderen Umweltinformationen nicht weniger dazu tendieren, braune Kredite zu vergeben, ist die Wahrscheinlichkeit doch geringer, dass sie neue Beziehungen zu braunen Kreditnehmern eingehen. Stattdessen vergeben Banken mit umfassenden Umwelt­informationen mehr Kredite an braune Kreditnehmer, zu denen sie bereits engere Geschäftsbeziehungen unterhalten.

Darüber hinaus neigen diese Banken dazu, Kreditnehmer in braunen Branchen zu finanzieren, insbesondere wenn diese weniger gewinnträchtig sind, eine niedrige Produktivität aufweisen und einen niedrigeren Zinsdeckungsgrad zeigen. Die Diskrepanzen zwischen den tatsächlichen Kreditentscheidungen und den von den Banken angestrebten Umwelt­profilen scheinen sich also durch die Neigung der Banken zu verstärken, weiterhin Kredite an finanziell ungesunde braune Kreditnehmer zu vergeben, die in der Regel über weniger Finanzierungsalternativen verfügen und in Not ­geraten würden, wenn ihre Hauptbankbeziehung abrisse. Die Tendenz, sogenannte Zombies am Leben zu erhalten, dürfte sich angesichts der zu beobachtenden niedrigen Kreditausfallraten tatsächlich etabliert haben und wurde wohl in der Zeit der Abschaffung des Zinses durch die Notenbanken indirekt befördert, da die Banken aufgrund der niedrigen Marge wenig Luft für Abschreibungen hatten.

Risiko für bestehende Kredite

Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass Banken nur geringe Anreize haben, ihre Kreditvergabepolitik zu ändern, da sich dies negativ auf ihre ausstehenden Kredite auswirken könnte, wie Hans Degryse, Tarik Roukny und ­Joris Tielens 2022 in „Asset Overhang and Technological Change“ beschreiben. Dieses Resultat steht auch im Einklang mit dem Beitrag „Finance and Green Growth“ von Ralph De Haas und Alexander Popov, der 2023 in The Economic Journal veröffentlicht wurde. Die beiden belegen dort, dass die Fremdfinanzierung den Übergang zu einer grüneren Wirtschaft verlangsamen kann. Nur Vorschriften, die das Transitionsrisiko bei der Kreditvergabe an umweltverschmutzende Kreditnehmer erhöhen, scheinen die Banken zu veranlassen, restriktivere Kredite anzubieten. Das ­haben Ivan Ivanov, Mathias S. Kruttli und Sumudu W. ­Watugala in „Banking on Carbon: Corporate Lending and Cap-and-Trade Policy“ festgehalten. So einfach dürfte die ­Sache aber dann doch nicht sein, zeigen doch Luc Laeven und Alexander Popov in „Carbon Taxes and the Geography of Fossil Lending“, publiziert 2023 im Journal of International Economics, dass Banken, die ihre Kreditvergabe an inländische Kreditnehmer infolge deren CO2-Besteuerung einschränken, im Gegenzug ihre Kreditvergabe an umweltschädliche Kreditnehmer in anderen Ländern ohne CO2-Steuern erhöhen.

Praxisrelevanz

Was kann der Praktiker an Erkenntnissen für den täglichen Umgang im Asset Management aus den Studienergebnissen gewinnen? Sicherlich mehrerlei. Zum einen schlummern in den Bankbilanzen mit hoher Wahrscheinlichkeit einige Zombie-Kredite, bei denen es allerdings nicht nur um Verbindlichkeiten „brauner“ Unternehmen handeln muss. Allzu oft hat sich schon so manche grüne Start-up- Idee dann doch nicht als weniger markttauglich erwiesen, als die Businesspläne erwarten ließen. Dass sich grün bewegte Investoren die Umleitung der Finanzierungsströme weg von den braunen Industrien wünschen, ist evident. Allerdings haben die Ergebnisse der Weltklimakonferenz 2023 in Dubai (COP28) gezeigt, dass es beispielsweise ohne Erdgas in der wohl Jahrzehnte dauernden Übergangsphase zu einer CO2-freien Wirtschaft nicht gehen wird. Investitionen und deren Finanzierung sind hier dringend nötig, um eine leistbare und grundlastfähige Energieversorgung sicherzustellen. Auch ohne Bergbau und dessen Finanzierung geht es nicht, verschlingt doch die Energiewende Unmengen an Kupfer, Zink, Nickel, Lithium und Co. Sollen sich westliche Banken, allen voran die europäischen, aus der Finanzierung von Schlüsselrohstoffen künftig heraushalten? Die Konsequenz wäre, dass die Abhängigkeit Europas von Finanziers in anderen Teilen der Welt – und das sind nicht unbedingt die demokratischsten – noch größer würde. Diese Zielkonkurrenz zu erkennen, das Verhalten der Politik zu antizipieren und sich entsprechend zu positionieren, wird eine der wichtigsten Aufgaben der kommenden Jahre für Asset-Alloka­teure sein.

Dr. Kurt Becker

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