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3/2024 | Theorie & Praxis

Sanfter Zwang

Indexanbieter können die Klimaziele der gelisteten Firmen beeinflussen und damit Einfluss auf deren Klimapolitik nehmen. Der Nachweis dafür gelang kürzlich zwei jungen Kapitalmarktforschern.

Die Ergebnisse einer aktuellen Forschungsarbeit deuten darauf hin, dass das Engagement von Finanzinstitutionen die Politik von Unternehmen beeinflussen kann, wenn eine Aufforderung zur Definition und Erreichung von Klimazielen mit einer Drohung des Ausschlusses aus oder der Untergewichtung in Klima-Benchmarks verbunden ist.
Die Ergebnisse einer aktuellen Forschungsarbeit deuten darauf hin, dass das Engagement von Finanzinstitutionen die Politik von Unternehmen beeinflussen kann, wenn eine Aufforderung zur Definition und Erreichung von Klimazielen mit einer Drohung des Ausschlusses aus oder der Untergewichtung in Klima-Benchmarks verbunden ist.© jirsak | stock.adobe.com

Eine zentrale Frage betreffend Sustainable Investing lautet, ob diese Anstrengung Auswirkungen auf die Realwirtschaft hat. Einer der vielversprechendsten Mechanismen für Investoren, um die ökologische und ­soziale Leistung von Unternehmen zu beeinflussen, ist das Engagement der Aktionäre. Empirische Studien dazu legen nahe, dass das Engagement der Aktionäre Veränderungen innerhalb von Unternehmen vorantreibt. Die vorhandenen Ergebnisse zu den Auswirkungen des Engagements der ­Aktionäre lassen jedoch Raum für alternative, nicht kausale Erklärungen. Die bisherigen Beweise basieren auf Archiv­unterlagen, die von Asset Managern bereitgestellt wurden. Diese Daten geben die Zielunternehmen, die gestellten Anfragen und deren Erfolg an, ob also die Unternehmen den Anfragen nachgekommen sind. Eine berechtigte Sorge bei solchen Daten besteht darin, dass Asset Manager strategisch Engagement-Anfragen zu Themen auswählen könnten, auf die die Zielunternehmen bereits hinarbeiten. Vermögens­verwalter haben durchaus einen Anreiz, solche Anfragen auszuwählen, weil diese ihre Engagement-Aktivitäten erfolgreich erscheinen lassen. Sie können dies auch tun, weil sie einen bevorzugten Zugang zum Management haben. Ein sogenanntes „strategisches“ Targeting würde zu einem Selection Bias führen und das Risiko einschließen, dass empirische Untersuchungen vielmehr das Wissen des Asset Managers über die Pläne eines bestimmten Unternehmens offenlegen und nicht die kausalen Folgen – den Impact – seines Engagements belegen.

Um diese Fettnäpfchen auszulassen, hatten sich Florian Heeb, damals Postdoc Associate MIT Sloan School of Management, und Julian F. Kölbel, damals Research Affiliate an der MIT Sloan School of Management, dazu entschlossen, die Auswirkungen des Engagements von Indexprovidern in einem vorab registrierten Feldexperiment zu untersuchen. Die Autoren haben in der Zwischenzeit bereits einen Karrieresprung gemacht und sind seit Kurzem nun Associate Professors for Sustainable Investing am Leibniz Institute for Financial Research SAFE (Heeb) beziehungsweise an der Universität St. Gallen (Kölbel). Ihr Ansatz bringt in zweierlei Hinsicht eine Neuerung in die wissenschaftliche Literatur: zum einen in Bezug auf die Methodik durch das zufällige Ziehen von Firmen aus einer Gesamtheit von internationalen Unternehmen, die dann vom Indexanbieter aufgefordert wurden, ein wissenschaftsbasiertes Klimaziel zu definieren, um in den sogenannten Climate Transition Benchmarks (CTBs) verbleiben zu können. Dadurch können ein Selec­tion Bias vermieden, andere potenzielle Störfaktoren aus­geschlossen und gleichzeitig ein klarer und einfacher Test betreffend die Kausalität geschaffen werden. Zum anderen untersuchen die Autoren das Engagement zwischen einem Indexanbieter und seinen Benchmark-Mitgliedsfirmen. Dies ist ein bislang unerforschtes Feld, bei dem ein Indexanbieter die Erwartungen von Finanzmarktteilnehmern – zumeist von institutionellen Investoren – an die Indexmitglieder ­heranträgt, die gemäß dem Index investieren.

Dabei taten sich die beiden mit einem Indexanbieter zusammen – der anonym bleibt, um etwaigen negativen Konsequenzen zu entgehen –, der eine Reihe von Klimaindizes anbietet. Die Methodik dieser Klimaindizes folgt den EU-Vorschriften für die „Paris-Aligned Benchmark“ (PAB) und „Climate Transition Benchmarks“-Indizes. In diesen Indizes hängen die Gewichte der Bestandteile unter anderem davon ab, ob Unternehmen ein wissenschaftlich fundiertes Klimaziel (Science Based Target, SBT) festgelegt oder sich dazu verpflichtet haben. Mehrere andere Indexanbieter bieten im Übrigen ähnliche Produkte an. Nach der Erstellung dieser Indizes beschloss der Indexanbieter, auch mit den Indexmitgliedern in einen Engagement-Prozess einzutreten und auf diesem Gebiet zu kooperieren. Der Indexprovider hatte die Kapazität, mit 300 Unternehmen zusammenzuarbeiten, und erlaubte es dadurch Heeb und Kölbel, diese 300 Unternehmen nach dem Zufallsprinzip aus einem Pool von 1.227 ­Indexbestandteilen ohne SBT-Verpflichtung auszuwählen. Der Indexanbieter schrieb dann einen Brief im Namen seines CEO an die Vorstandsvorsitzenden der selektierten Unternehmen. Der Brief wies das Unternehmen darauf hin, dass die Festlegung verifizierter SBTs, wie sie in den Kriterien der NGO Science Based Targets Initiative (SBTi) definiert sind, eine Voraussetzung ist, um weiterhin in seine Klima-Benchmarks Eingang zu finden. In dem Schreiben wurde das Unternehmen weiter ermutigt, sich zur Einführung ­eines SBT gemäß der SBTi zu verpflichten.

Engagement punktet

Die abhängige Variable „SBT-Verpflichtung“ ist binär; sie nimmt den Wert eins an, wenn ein Unternehmen das Verpflichtungsschreiben eingereicht oder bereits Klimaziele festgelegt hat, und andernfalls den Wert null. Heeb und Kölbel beobachten das Ergebnis unabhängig anhand des von der SBTi geführten öffentlichen Registers. Der Beobachtungszeitraum begann am 1. Februar 2022; die Ergebnisse wurden zum Stichtag 31. Januar 2023 analysiert. Die beiden ­Kapitalmarktforscher stellen fest, dass das Vorgehen des ­Indexanbieters einen kausalen Einfluss auf die Klimapolitik der Unternehmen hatte. Nach dem Beobachtungszeitraum hatten 21 Prozent der 300 ausgewählten Firmen ein SBT-Commitment – gegenüber 15,7 Prozent in der Kontrollgruppe – abgegeben. Ein Chi-Quadrat-Unabhängigkeitstest zeigt eine auf einem 95-prozentigen Konfidenzniveau ­bestehende Beziehung zwischen Engagement und dem ­Ergebnis die Definition eines wissenschaftsbasierten Klimaziels betreffend (siehe Tabelle „Indexprovider-Schritt wirkt“). Es steht also fest, dass der Engagement-Schritt zu einem signifikanten Anstieg der SBT-Verpflichtungen führt.

Weitere Erkenntnisse

Im Durchschnitt erhöht der Brief des Indexproviders die Wahrscheinlichkeit der Unternehmen, eine SBT-Verpflichtung einzugehen, um 33,3 Prozent (das 90-%-Konfidenzintervall reicht von 6,3 bis 63,7 %). Stichprobe und Kontrollgruppe sind in Bezug auf Länder- und Branchenrepräsentation, Größe und CO2-Emissionsmetriken gut ausgewogen. Wenn diese Kovariate als Kontrollvariable in eine Regression miteinbezogen werden, wird der Effekt des Engagement-Briefs etwas stärker und bleibt statistisch signifikant (siehe ­Tabelle „Effekt des Engagement-Briefs im Detail“). Den Autoren gelingt es, einen signifikanten Effekt dieses Engagement-Schritts auch in Teilstichproben zu belegen. Die Tabelle ­„Engagement-Effekt in Teilstichproben“ zeigt die Regressions­ergebnisse, die sich errechnen, wenn man die Stichprobe entlang des Medianwerts für die drei Kontrollvariablen Unternehmensgröße, CO2-Emissionen und CO2-Intensität in Teilstichproben unterteilt. Die Autoren stellen auf einem 90-prozentigen Konfidenzniveau einen Engagement-Effekt für größere Unternehmen, Unternehmen mit hohen CO2-Gesamtemissionen und Unternehmen mit hoher CO2-Emis­sionsintensität fest. Dies deutet darauf hin, dass die Vorgangsweise des Indexproviders durch Engagement für große und emissionsintensive Unternehmen wirksam ist, das heißt für jene Firmen, bei denen die Klimapolitik der Unternehmen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine bedeutende Wirkung auf die gesamten Treibhausgasemissionen besitzt. Darüber ­hinaus stellen die Autoren einen auf dem 90-Prozent-Niveau signifikanten Interaktionsterm zwischen Engagement-Schreiben und Emissionsintensität fest. Dies lässt vermuten, dass diese Vorgangsweise beim Engagement nicht auf Unternehmen beschränkt ist, bei denen Emissionsreduktionen relativ einfach zu erreichen sind.

Schlussbemerkungen

Das Engagement der Indexanbieter – wie in dieser Fallstudie durch das Versenden eines Briefs vorexerziert – beeinflusst die Klimapolitik von Unternehmen. Obwohl die Abgabe ­einer SBT-Verpflichtung für Unternehmen ein einfacher Schritt ist, gibt es Hinweise darauf, dass dieser kostspielig ist und tatsächlich Emissionsreduktionen nach sich zieht. Die SBTi führt Unternehmen, die sich zu einer SBT verpflichten, aber kein konformes Ziel erreichen, in ihrem öffentlichen Register als „removed“. Daher kann die Verpflichtung zur Einführung einer SBT, die jedoch nicht umgesetzt wird, ­Reputationskosten für Unternehmen verursachen. Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass auf SBT-Verpflichtungen betriebliche Verbesserungen folgen. Patrick Bolton und ­Marcin Kacperczyk stellten 2023 in „Firm Commitments“, einem Working Paper des National Bureau of Economic Research (NBER), fest, dass Unternehmen, die ein SBT festlegen, anschließend ihre CO2-Emissionen reduzieren, ins­besondere wenn die Ziele von SBTi überprüft werden. Ob auf die Einführung von SBTs Emissionsreduktionen in dem Ausmaß folgen werden, das erforderlich ist, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, bleibt eine wichtige Frage für die künftige Forschung, sind die Autoren überzeugt.

Die Ergebnisse dieser Fallstudie deuten darauf hin, dass das Engagement von Finanzinstitutionen die Unterneh­mens­­politik beeinflussen kann, wenn eine Aufforderung zur ­Definition und Erreichung von Klimazielen via überprüf­bare Umsetzungsmaßnahmen mit einer glaubwürdigen Drohung des Ausschlusses aus oder der Untergewichtung in neuen Klima-Benchmarks verbunden ist, und das zieht – jedenfalls einmal kurzfristig – höhere Kosten und damit ­sinkende Aktionärsgewinne nach sich. Wie moralisch eine solche Vorgangsweise ist, auch wenn sie nur mit Anreizen statt mit Drohungen arbeitet, muss jeder Einzelne für sich entscheiden.

Dr. Kurt Becker

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