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3/2024 | Theorie & Praxis

Jedem Schock sein Faktor

Nach Allzeithoch, Kursschwankungen und einer überraschenden Liebeserklärung durch Donald Trump fragt man sich immer öfter: Was treibt den Preis von Bitcoin und anderen Kryptos eigentlich wirklich an?

Forscher und Praktiker rätseln seit Jahren darüber, was Bitcoin und andere Krypto-Assets eigentlich sind. Eine neue Studie hat anhand von vier Schockszenarien ­erfasst, welche Faktoren in welchem Umfeld wie stark zur Preisbildung von Bitcoin und zum Flow von Stablecoins beigetragen haben.
Forscher und Praktiker rätseln seit Jahren darüber, was Bitcoin und andere Krypto-Assets eigentlich sind. Eine neue Studie hat anhand von vier Schockszenarien ­erfasst, welche Faktoren in welchem Umfeld wie stark zur Preisbildung von Bitcoin und zum Flow von Stablecoins beigetragen haben.© shutter2u | stock.adobe.com | generiert mit KI

Bitcoin-Investoren hatten 2024 – je nach Einstiegszeitpunkt – mehr oder weniger zu lachen. War man zu Beginn des Jahres eingestiegen, konnte man sich über ein historisches Hoch im März freuen, als der Kurs auf über 66.000 Dollar stieg. Bis Redaktionsschluss war der Wert des Krypto-Assets hingegen still und heimlich um 25 Prozent weggebröckelt. Und um die Lage noch unübersicht­licher zu machen, zeigt sich ein wahlkämpfender Donald Trump Bitcoin gegenüber plötzlich erstaunlich liberal. Vor diesem Hintergrund scheint die Frage, was Krypto-Assets ­eigentlich treibt, virulenter denn je.

Die Ende Juli erschienene Studie mit dem schlichten, aber klaren Titel „What Drives Crypto Asset Prices?“ widmet sich genau dieser Problemstellung. Austin Adams von Whetstone Research, Markus Ibert, der an der Copenhagen Business School wirkt, und Gordon Liao, seines Zeichens Chief Economist von Circle International Financial – die wiederum hinter der Stablecoin USDC stehen –, untersuchen in ihrer Arbeit die Faktoren, die auf die Erträge von Kryptowährungen Einfluss nehmen. Diesen Versuch unternehmen sie mit einem spezifischen ökonometrischen Modell, das Kryptorenditen verschiedenen strukturellen Schocks zuordnet: konventionelle geldpolitische Schocks, herkömmliche Risikoprämienschocks und kryptospezifische Schocks. Konkret fragen die Wissenschaftler, welcher Anteil der Preisschwankungen in einer neuen Anlageklasse auf Über­tragungseffekte von traditionellen Finanzmärkten zurück­zuführen ist und welcher auf anlagespezifische Risiken. ­Dazu analysieren sie die täglichen Renditen von drei Anlagen: ­Bitcoin, zweijährige US-Staatsanleihen und den S&P 500 ­Index.

Funktionsweise des Modells

Die Forscher gehen davon aus, dass positive konventionelle Risikoprämienschocks – also „Risk off“-Schocks – zu niedrigeren Bitcoin-Preisen, niedrigeren Anleihenrenditen und niedrigeren Aktienkursen führen. Umgekehrt nehmen sie an, dass positive – also restriktive – geldpolitische Schocks über einen klassischen Zinskanal beispielsweise zu niedrigeren Bitcoin-Preisen, höheren Anleihenrenditen und niedrigeren Aktienkursen führen. Schließlich gehen die Wissenschaftler davon aus, dass kryptospezifische Nachfrageschocks die Bitcoin-Preise erhöhen, aber ihre Auswirkungen auf ­konventionelle Anlagen unbestimmt lassen.

„Vereinfacht gesagt ordnet das Modell die täglichen Kryptorenditen verschiedenen Schocks zu, je nachdem wie sich die Anlagen gemeinsam bewegen“, erklärt Liao. Wenn beispielsweise die Zinsen deutlich fallen und sowohl die Aktienkurse als auch Bitcoin am selben Tag steigen, erkennt das Modell einen expansiven – beziehungsweise negativen – geldpolitischen Schock.

Wenn hingegen der Aktienmarkt steigt, die Zinsen sinken und Bitcoin zulegt, führt das Modell den positiven Bitcoin-Ertrag auf eine Verringerung der konventionellen Risikoprämien zurück“, so Ibert. Durch die Aggregation der Bitcoin-Renditen an Tagen mit bestimmten Mustern an den Anleihen- und Aktienmärkten schätzt das Modell die kumulative Auswirkung jedes Risikofaktors auf den Bitcoin-Preis im Zeitverlauf. Analog werden Schocks auf Stablecoins erfasst und die Entwicklungen von Bitcoin und Stablecoins verglichen. In weiterer Folge werden hier die vier Schockszenarien analysiert und welche Faktoren in welchem Umfeld welche Rolle gespielt haben.

Adoptionsschock

Das Modell weist den Großteil des Anstiegs des Bitcoin-Preises von 2020 bis Mitte 2021 Kryptoadoptionsschocks zu. Der Grund dafür liegt darin, dass sowohl Stablecoins als auch Bitcoin-Preise in diesem Zeitraum ein enormes Wachstum verzeichneten. Im Gegensatz dazu deutet die Bitcoin-Preis-Aufschlüsselung seit Ende 2022, als das Wachstum von Stablecoins nachließ und sich für einige Teilzeiträume sogar umkehrte, auf negative Kryptoadoptionsschocks und sinkende Kryptorisikoprämien hin.

„Darüber hinaus zeigt die Analyse von Stablecoins seit 2020 erhebliche kurzfristige Schwankungen, die in logarithmischen Grafiken aufgrund des massiven Anstiegs der Stablecoin-Marktkapitalisierung von 2020 bis 2022 verborgen bleiben“, erklärt Adams. Bemerkenswert ist auch, dass die Geldpolitik in manchen Phasen des Beobachtungszeitraums für etwa die Hälfte der Preisgestaltung von Bitcoin verantwortlich zu sein scheint.

Covid-Schock

Die Forscher betrachten zunächst die Einflussfaktoren auf Krypto-Assets während der Covid-19-bedingten Marktturbulenzen (siehe Grafik „Welche Faktoren Bitcoin und Stablecoins treiben – Schock 2: Covid“).

Die Bitcoin-Renditen gingen demnach im März 2020 deutlich zurück, während die Marktkapitalisierung von ­Stablecoins erheblich zunahm. Die Periode war durch eine „Risk off“-Stimmung gekennzeichnet mit stärkeren Rückgängen der Vermögenspreise, als durch die Verschlechterung der Fundamentaldaten gerechtfertigt gewesen wäre. Das massive Wachstum von Stablecoins in dieser „Risk off“-­Phase deutet darauf hin, dass Stablecoins tatsächlich als ­sicherer Hafen innerhalb des Krypto-Asset-Bereichs fungieren, was die Identifikationsannahme der Autoren bestätigt.

Da die Periode als „Risk off“-Episode charakterisiert war, erwarten die Wissenschaftler, dass positive konventionelle ­Risikoprämienschocks und Kryptorisikoprämienschocks ­eine dominante Rolle spielen. Während die Anleihenrenditen mittelfristig sanken, war das unmittelbare Verhalten der Anleihenrenditen aufgrund von Liquiditätsproblemen am Anleihenmarkt uneinheitlich. Daher könnten die geldpolitischen Schocks gemischt gewesen sein, da die Renditen ­zumindest im März 2020 vorübergehend anstiegen. Im Zeitverlauf waren sowohl die konventionellen als auch die Kryptorisikoprämienschocks deutlich positiv.

Und tatsächlich: Die Aufschlüsselung der Bitcoin-Renditen und Stablecoin Flows bestätigt diese Annahmen und zeigt, dass das Modell den Rückgang der Bitcoin-Preise im Jahr 2020 tatsächlich einer Kombination aus positiven konventionellen Risikoprämienschocks und positiven Krypto­risikoprämienschocks zuschreibt. Gleichermaßen unterstützten positive Kryptoadoptionsschocks die Bitcoin-Preise. Das massive Wachstum von Stablecoins in diesem Zeitraum geht demnach sowohl auf positive Risikoprämienschocks zurück, die zu sicheren Zuflüssen in Stablecoins führten, als auch auf positive Kryptoadoptionsschocks.

FTX-Börsencrash

Als Nächstes betrachten die Autoren die Einflussfaktoren auf Krypto-Assets rund um den Zusammenbruch der Kryptobörse FTX. Hier gingen die Bitcoin-Preise von September 2022 bis Januar 2023 deutlich zurück, wobei der Großteil der Abschläge um den Zeitpunkt des Zusammenbruchs von FTX im November 2022 stattfand. Gleichzeitig sank die Marktkapitalisierung von Stablecoins in diesem Zeitraum leicht mit einem kurzen Anstieg um den Zusammenbruch von FTX im November 2022, was erneut mit der Funktion von Stablecoins als sicherer Hafen vereinbar ist.

Die unmittelbare Zeit rund um den Zusammenbruch von FTX im November 2022 war durch große Preisbewegungen an den Kryptomärkten, aber geringe Preisbewegungen an den konventionellen Märkten gekennzeichnet. ­Daher erwarten die Forscher, dass Kryptoschocks um den unmittelbaren Zusammenbruch von FTX eine dominante Rolle spielen, insbesondere positive Risikoprämienschocks und negative Adoptionsschocks. Sie erwarten eine geringere Rolle für konventionelle Schocks um den unmittelbaren Zusammenbruch von FTX.

Die Aufschlüsselung der Bitcoin-Renditen und Stablecoin Flows (siehe Chart „Welche Faktoren Bitcoin und Stablecoins ­treiben – Case 3: FTX-Börsencrash“) bestätigt diese Darstellung. Um den unmittelbaren Zusammenbruch von FTX im ­November 2022 drückten steigende Kryptorisikoprämien die Bitcoin-Preise nach unten und trugen zu Stablecoin-Zuflüssen bei. Gleichzeitig drückten negative Kryptoadoptionsschocks die Bitcoin-Preise weiter nach unten und wirkten sich negativ auf die Stablecoin Flows aus.

ETF-Erweckungskuss

Zuletzt untersuchen die Wissenschaftler die spezifischen Faktoren, die Kryptowährungsanlagen im Zusammenhang mit der Einführung des Bitcoin-Spot-ETFs von BlackRock beeinflussten. Hier zeigt sich ein erheblicher Anstieg der ­Bitcoin-Renditen nach BlackRocks Ankündigung, einen ­Bitcoin-Spot-ETF zu beantragen (siehe Chart „Welche Faktoren Bitcoin und Stablecoins treiben – Case 4: BlackRock-ETF geht an den Start“).

Diese Zeit brachte große Veränderungen für den Kryptomarkt. Das Modell zeigt zwei wichtige Entwicklungen: Zum einen interessierten sich mehr Menschen für Kryptowährungen, was als positive Kryptoadoptionsschocks ­bezeichnet wird. Zum anderen wurde Bitcoin als weniger riskant angesehen, was sich in negativen Kryptorisik­o­prämienschocks widerspiegelt.

Liao erklärt, dass das wachsende Interesse an Krypto­währungen „wahrscheinlich damit zusammenhängt, dass große Firmen wie BlackRock in den Markt eingestiegen sind“. Dies machte Bitcoin für viele Anleger attraktiver.

Gleichzeitig sahen Investoren Bitcoin als weniger riskant an. Das bedeutet, sie verlangten nicht mehr so hohe Zusatzgewinne für Bitcoin-Investments im Vergleich zu sichereren Anlagen.

Diese beiden Faktoren zusammen führten zu einem starken Anstieg des Bitcoin-Preises. Der Großteil des Preisanstiegs von September bis Dezember 2023 lässt sich darauf zurückführen, dass Bitcoin als weniger riskant wahrgenommen wurde.

Hans Weitmayr

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