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2/2024 | Theorie & Praxis

Best of Altersvorsorge

Das Institut Wirtschaft und Gesellschaft hat kürzlich die Altersvorsorgesysteme aus sechs ­europäischen Ländern untersucht und stellt die jeweiligen Besonderheiten heraus. So lässt sich feststellen: Was läuft anderswo gut, und welche Erfahrungen ersparen wir uns lieber?

Die Altersvorsorge ist eines der großen gesellschaftlichen Themen und sorgt auch für Verteilungsdiskussionen zwischen den Generationen. Es ist zu hoffen, dass die ­Regierungen ihre staatlichen Aufgaben in diesem Bereich verantwortungsvoll wahrnehmen.
Die Altersvorsorge ist eines der großen gesellschaftlichen Themen und sorgt auch für Verteilungsdiskussionen zwischen den Generationen. Es ist zu hoffen, dass die ­Regierungen ihre staatlichen Aufgaben in diesem Bereich verantwortungsvoll wahrnehmen.© magele-picture | stock.adobe.com

Die Versorgung der Rentner stellt in allen west­lichen Ländern eine Herausforderung dar. Die ­geburtenstarken Jahrgänge der frühen 1960er-­Jahre verabschiedet sich langsam in den Ruhestand, und die nachfolgenden Generationen sind zahlenmäßig deutlich schwächer. All das ist hinlänglich bekannt; die Frage, wie die Mittel für Rente, Gesundheit und Pflege der Älteren aufgebracht werden können und auf welche Schultern sie zu ­verteilen sind, konnte dennoch bis heute nicht befriedigend beantwortet werden. Seit Jahrzehnten weisen Demografen auf diese herannahende Herausforderung hin, aber viele Regierungen haben überwiegend halbherzig Maßnahmen ergriffen beziehungsweise schieben das Problem vor sich her. Keine Regierung der Welt verkündet ungestraft, dass die Menschen im Ruhestand weniger erhalten werden oder die heute Aktiven höhere Beiträge zahlen oder länger arbeiten müssen. Mehrheiten werden leichter mit Wahlgeschenken gewonnen als mit solch unangenehmen Notwendigkeiten.

Da fast alle westlichen Länder mit dieser Problematik umgehen müssen und jedes auch bereits die eine oder andere Maßnahme ergriffen hat, ist es sinnvoll, gute Ideen und die bisherigen Erfahrungen aus anderen Ländern zu analysieren und auf diese Weise voneinander zu lernen.

Sechs Länder analysiert

Das Institut „Wirtschaft und Gesellschaft“ (IWG) hat kürzlich die Altersvorsorgesysteme von folgenden sechs europäischen Ländern für das Deutsche Institut für Altersvorsorge untersucht und stellt die jeweiligen Besonderheiten heraus: Deutschland, Schweiz, Frankreich, Großbritannien, Niederlande und Schweden. Betrachtet werden in der Untersuchung auch flankierende Maßnahmen zur Rente im sozialen Bereich oder bei der Gesundheitsvorsorge. Die Studie kann dort auch heruntergeladen werden.

Die Studienautoren Hans Melchiors und Sebastian Sturm, beide auch Partner des Instituts, haben kürzlich die Studie und die daraus gewonnenen Erkenntnisse in einer Gastvorlesung am Institut für Versicherungswissenschaften an der Uni Ulm vorgestellt. Melchiors ist vielen noch ­bekannt aus seiner vorherigen Tätigkeit als Vorstand beim Pensions-Sicherungs-Verein (PSV), die er im April 2021 niedergelegt hat, Sturm lebt und arbeitet als Unternehmens­berater in der Schweiz.

Lesenswert ist die Studie sowohl für Anbieter von Vorsorgeprodukten als auch für Politiker. Prof. An Chen, Leiterin des Instituts für Versicherungswissenschaften an der Uni Ulm, erklärt dazu: „Privatwirtschaftliche Versicherungsprodukte müssen jeweils zum Angebot der gesetzlichen und betrieblichen Vorsorge passen, da sie diese oft ergänzen ­sollen. Daher ist es wichtig, sich mit den bestehenden Altersvorsorgesystemen auseinanderzusetzen.“ Für Politiker ist die Beschäftigung mit solchen Untersuchungen relevant, damit sie die bestehenden Altersvorsorgesysteme besser weiter­entwickeln und an die jeweiligen Herausforderungen anpassen können.

Erfahrungen mit Kapitaldeckung

Beim Vergleich von Altersvorsorgesystemen stellt sich als ­Erstes die große Systemfrage: Kapitaldeckung oder Umlageverfahren? Deutschland unternimmt aktuell mit der Einführung der Aktienrente einen ersten Schritt hin zu einer zusätzlichen Kapitaldeckung, die das grundsätzliche Umlagesystem, nach dem die erste Säule der Altersvorsorge funk­tioniert, ergänzen soll.

Schweden hat seinen großen Systemwechsel vom Umlage- zu einem Mischsystem bereits Ende der 1980er-Jahre in die Wege geleitet und wird dafür zu Recht häufig als großes Vorbild bei der Altersvorsorge gesehen. „Hinsichtlich einer aktienbasierten Rente sehen wir in Schweden die weiteste Entwicklung. Mit der sogenannten Premiumrente hängt die Höhe dieses Teils der gesetzlichen Rente in Schweden von der Marktentwicklung ab. In den anderen untersuchten Ländern ist man in der gesetzlichen Altersversorgung mit einer aktienbasierten Kapitaldeckung noch nicht so weit“, ­erklärt Melchiors. Er verweist allerdings darauf, dass vielerorts der aktienbasierte Anteil der Schweden-Rente überschätzt wird. „Im Schnitt liegt die Premiumrente bei rund 200 ­Euro. Wenn die Aktienmärkte hier mal einbrechen und ­dieser Teil der Rente gekürzt werden muss, dann ist das im Verhältnis zur Gesamtrente nur ein kleiner Teil“, rückt ­Melchiors das oft verzerrte Bild gerade.

Auch Norwegen wird mit seinem sagenhaft großen staatlichen Pensionsfonds – er hat ein Volumen von rund 1,2 Billionen Euro – oft als Vorbild erwähnt. „Das Altersvorsorgesystem von Norwegen, das bereits seit den 70er-Jahren über seinen aktiv angesparten Fonds verfügt, ­haben wir bisher nicht untersucht“, erklärt Sturm. Dieser staatliche Pensionsfonds ist aber durch eine Sondersituation geprägt, da die Mittel aus der Nutzung der Rohstoffquellen Öl und Gas gespeist werden. „Das Geld wird also aus dem norwegischen Staatshaushalt und nicht aus Beiträgen der Versicherten aufgebracht und kann neben Altersrenten auch für andere Dinge wie beispielsweise Infrastrukturmaßnahmen herangezogen werden“, so Sturm. In Schweden hin­gegen stammen die Beiträge zur Premiumrente aus individuellen Zahlungen.

Deutsche Aktienrente mit hohen Ambitionen

Für aktienbasierte Kapitalanlagen entscheidet man sich ­immer dann, wenn auf lange Sicht hohe Renditen angestrebt werden. Von der Aktienrente in Deutschland, die ­Anfang des Jahres im Rentenpaket II vorgestellt wurde, erhofft man sich auf lange Sicht etwa acht Prozent jährlich. Dieses Ergebnis ergibt sich folgendermaßen: Aus dem Anlagebetrag von 200 Milliarden Euro, der bis zum Jahr 2036 aufgebaut wird, sollen – ebenfalls ab 2036 – jährlich im Schnitt zehn Milliarden Euro Erträge generiert werden; das wären fünf Prozent. Hinzu kommen noch geschätzte drei Prozent pro Jahr für Zinsaufwand und Verwaltungskosten, sodass der Kapitalstock eine Nettoperformance von acht Prozent bringen sollte. Der Ertrag in Höhe von zehn Mil­liarden Euro wird der gesetzlichen Rentenversicherung zweckgebunden zugeführt, um damit die Entwicklung des Beitragssatzes zur gesetzlichen Rentenversicherung zu sta­bilisieren. Die Kapitalanlage des Stiftungsvermögens soll „renditeorientiert und global diversifiziert zu marktüblichen Bedingungen“ erfolgen.

Breite der Fondsauswahl

Auch die Wahlfreiheit beziehungsweise Wahlmöglichkeit der Kapitalanlage ist ein Differenzierungsfaktor der verschiedenen Altersvorsorgesysteme. Entsprechend weist Melchiors auf einen wichtigen Unterschied zwischen der deutschen Aktienrente und der schwedischen Premiumrente hin: „Die Besonderheit am schwedischen Modell ist, dass der Einzelne seit dem Start selbst wählen kann, welchem der derzeit ­rund 200 angebotenen Fonds er sein Vertrauen schenkt. Dadurch sind auch die Ergebnisse unterschiedlich, da die Anlageschwerpunkte der Fonds differieren.“ Er fährt fort: „Wenn sich ein Arbeitnehmer nicht entscheidet, landet er auto­matisch im staatlich angebotenen Fonds AP7, der zwar schwankende Erträge generiert hat, aber derzeit mit einer Rendite nahe zehn Prozent pro Jahr glänzt.“

Während also in Deutschland mit der Aktienrente ein kollektiver Topf aufgebaut wird, dürfen sich die Schweden relativ frei ein individuelles Fondsportfolio zusammenstellen. Sie können bis zu fünf Fonds auswählen und später von ­einem Fonds in einen anderen switchen. In Schweden lassen sich auch die staatlichen Fonds aus dem AP7-Programm mit den Fonds der privaten Fondsanbieter kombinieren. „Als Schweden die Kapitaldeckung eingeführt hat, gab es ­zunächst einen regelrechten Wildwuchs an Fonds, aus ­denen die Bürger wählen konnten. Dabei hat man fest­gestellt, dass sich bei einer breiten Angebotspalette die Menschen schwertun, sich zu entscheiden, und mancher Fonds auch nicht wirklich geeignet war für die Altersversorgung. Daher wurde in Schweden die angebotene Produktpalette reduziert“, berichtet Melchiors.

Kostenkontrolle

Er verweist auf die negativen Erfahrungen, die man in Großbritannien gemacht hat. „Dort wurden den Bürgern manchmal völlig überteuerte Pensionsfonds angeboten. Die Menschen wurden regelrecht abgezockt, sodass der Gesetzgeber einschreiten musste. Dort habe man jetzt mit dem „Nest“ ­einer staatlich eingerichteten Anlageform eine Alternative, ­erklärt Melchiors. Ähnliche Erfahrungen hat man auch in Australien mit dem Superannuation-System gemacht, das 1992 eingeführt wurde. Damals wurde das staatliche ­Rentensystem in Down ­Under auf ein Mischsystem aus niedriger staatlicher Grundrente und Zusatzversorgung durch private Pensionskonten umgestellt. Weil auch hier die Kosten der angebotenen ­Superannuation-Fonds zu hoch waren, ergriff Australiens Regierung 2010 Gegenmaßnahmen. Mit der Offensive namens SuperStream wurde Australiens Altersvorsorge nicht nur kostengünstiger, sondern auch einfacher und effizienter gestaltet: Es wurden einheitliche Datenstandards eingeführt, um die Digitalisierung voranzutreiben. Außerdem wurde in Australien – ähnlich wie in Schweden – die Anzahl der ­Vehikel konsolidiert. 2013 wurde dann ein besonders kostengünstiger Default-Superfonds namens „MySuper“ eingerichtet, in den die Zahlungen ­derjenigen fließen, die sich für keinen speziellen Fonds entscheiden. Sowohl in Großbritannien als auch in Australien ließ sich beobachten, dass staatlich angeordnetes Altersvorsorgesparen in Kombination mit steuerlichen Förderungen bei privaten Produktanbietern leicht zu einer gewissen Selbstbedienungsmentalität führt, wenn die Kosten nicht kontrolliert werden.

In Kanada hat man aus diesen Beobachtungen bereits Konsequenzen gezogen. Sturm berichtet, dass die Menschen dort nur solche Produkte für die ersten Säule der Altersvorsorge nutzen können, die von der Aufsichtsbehörde genehmigt wurden. „In Kanada werden also im Vorfeld Leistung und Kosten der Fonds überprüft“, so Sturm.

Melchiors führt an, dass es in Deutschland vor Kurzem ebenfalls zu einer Kostenkorrektur bei einem Versicherer gekommen ist, allerdings bei der ungeförderten privaten ­Altersvorsorge. „Anfang 2024 musste der Versicherer für ­seine Fondspolice rückwirkend um 0,7 Prozent höhere Überschüsse gutschreiben, weil sie von den Fonds nicht ­erlaubte Kickbacks erhalten haben.“ Er ist beeindruckt, wie die Finanzaufsicht Bafin die zu hohe Kostenbelastung in den Policen aufgedeckt und für einen Ausgleich bei den Kunden gesorgt hat – in diesem Fall sogar bei laufenden Verträgen. „Es ist gut, wenn die Aufsicht die Produktkosten im Blick hat – zum Schutz der Kunden und zum Ver­trauenserhalt für die Marktteilnehmer, denn es sind ja nur wenige schwarze Schafe unterwegs. Da ist Deutschland ­allerdings auch kein Einzelfall“, resümiert Melchiors.

Anpassung Renteneintrittsalter

Bei Gelegenheit des Systemwechsels in Schweden Anfang der 90er-Jahre hat man dort auch gleich das Renteneintrittsalter angehoben. Dabei wurde gleich festgeschrieben, dass das Renteneintrittsalter regelmäßig überprüft wird, wenn sich die Lebenserwartung weiter erhöht. „Allerdings wurden die bisherigen Anpassungen beim Renteneintrittsalter durch höhere bAV-Einzahlungen abgemildert. Daher haben die Schweden nicht weniger Rente, wenn sie früher in Rente gehen. Wenn sie aber über das Mindestrenteneintrittsalter hinaus arbeiten, erhalten sie mehr Rente als vorher“, sagt Melchiors und zieht den Vergleich zu einem anderen ­nordischen Land: „Auch in den Niederlanden ist man sehr weit, was die Kopplung des Renteneintrittsalters an die ­Lebenserwartung betrifft. Dort verschiebt sich der Renteneintritt zu zwei Dritteln der Lebenserwartung nach oben. In den Niederlanden wird dies durch einen automatischen Prozess alle fünf Jahre angepasst; da muss nicht mehr jedes Mal darüber diskutiert werden.“

In den meisten anderen europäischen Ländern hat man sich mit der Anhebung der Altersgrenze für den Renteneintritt deutlich mehr Zeit gelassen, weil diese politisch schwer durchzubringen ist. Man erinnere sich an die heftigen Proteste 2023 in Frankreich, als Staatspräsident Emmanuel ­Macron beschloss, das Renteneintrittsalter leicht anzuheben; und dies, obwohl es auch nach der Anhebung noch vergleichsweise niedrig ist (siehe Chart „Das Rentenantrittsalter steigt“). In Deutschland wurde 2012 beschlossen, die Regelaltersgrenze von 65 auf 67 Jahre anzuheben, was in der ­Bevölkerung natürlich für Unmut sorgte. Indem man für langjährig Versicherte eine vorzeitige abschlagsfreie Rente eingeführt hat, verteuerte man kurzfristig dieses System bis heute um mehrere Milliarden. In der Schweiz wurde im November 2022 das Renteneintrittsalter für Frauen ange­hoben, allerdings mit langen Übergangsfristen, damit sich dieser Schritt überhaupt politisch durchsetzen ließ. Österreich hat 2024 damit begonnen, die Regelaltersgrenze ­stufenweise anzuheben, allerdings nur für Frauen, die bis ­dato fünf Jahre früher in Rente gehen durften als Männer, nämlich mit 60 anstatt mit 65.

Durchdringungsrate bei der bAV

Schließlich gilt es auch, das Größenverhältnis zwischen ­erster und zweiter Säule der Altersvorsorge zu betrachten. Hier hebt Sturm die Niederlande als gelungenes Beispiel hervor. „Dort hat die bAV mittlerweile im Schnitt einen deutlich größeren Anteil an der Nettoersatzrate als die ­staatliche Grundrente. Hinzu kommt, dass mehr als 90 ­Prozent der Menschen in den Niederlanden einen bAV-­Anspruch haben. Das geht dort über die großen Tarif­partner“, erklärt Sturm.

In Schweden ist die Durchdringungsrate ähnlich hoch wie in den Niederlanden. Auch dort erwarten etwa 90 Prozent der arbeitenden Bevölkerung eine betriebliche Rente von einem oder mehreren ihrer früheren Arbeitgeber.

Von solchen Zahlen kann man in Deutschland nur ­träumen. Dort bemüht man sich, die Durchdringungsrate für die betriebliche Altersversorgung (bAV), die seit Län­gerem bei unter 60 Prozent stagniert, anzuheben. Dafür hat der Gesetzgeber 2018 das Sozialpartnermodell als Durch­führungsmöglichkeit eingeführt, für die erstmals keine ­Garantie seitens des Arbeitgebers mehr erforderlich ist. Aber obwohl die gesetzliche Möglichkeit seit nunmehr sechs ­Jahren besteht, gibt es erst drei Sozialpartnermodelle: Uniper, Chemie und BVV. Es gibt daher in Deutschland noch etwa 40 Prozent Unversorgte, die nicht mit einer betrieblichen Rente rechnen können, sondern sich auf die erste und ­gegebenenfalls die dritte Säule, also die geförderte private ­Altersvorsorge, verlassen müssen. Und selbst bei den ­Ver­sorgten sind dies teilweise nur sehr kleine Renten, also fehlt hier auch noch etwas. In Österreich sieht es hinsichtlich der bAV noch schlechter aus. Dort haben prozentual deutlich weniger Menschen eine betriebliche Rente als in Deutschland.

Lohnersatzrate

Worauf die meisten Menschen schielen, ist natürlich die ­Höhe der ausgezahlten Altersrente. Im Regelfall wird sie als Brutto- oder Nettolohnersatzrate angegeben, also wie viel die Rentenzahlung vom letzten Brutto- beziehungsweise Nettolohn ausmacht.

Melchiors verweist darauf, dass die Niederlande bei der Betrachtung des Versorgungsniveaus mit Abstand führend sind. „Je nach Zugehörigkeit zu bestimmten Tarifverbänden und individueller Situation sind Nettoersatzraten von mehr als 80 Prozent in den Niederlanden keine Seltenheit. Die Brutto- und Nettoersatzrate kann in den Niederlanden sogar bis knapp an die 100 Prozent heranreichen. Auch in Frankreich ist das Versorgungsniveau vergleichsweise hoch.“

Im deutschen Parlament wurde in letzter Zeit auffallend häufig von dem augenscheinlich hohen Rentenniveau in Österreich gesprochen. Eine aktuelle Studie des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags im Auftrag der Linken zeigt: In Österreich kann man nach 45 Beitragsjahren mit 80 Prozent des Bruttolohns rechnen, was tatsächlich vergleichsweise viel ist. Vergessen darf man dabei allerdings nicht, dass sowohl das französische als auch das österrei­chische System sehr teuer sind und für die zukünftige ­Finanzierung Fragen aufwerfen. Dagegen musste der deutsche Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) tüchtig Schelte einstecken, als er anlässlich der Vorstellung des Rentenpakets II im März 2024 ein Mindestrentenniveau von 48 Prozent dauerhaft – zumindest bis zum Jahr 2039 – versprach, ebenfalls nach 45 Beitragsjahren, allerdings besonders von den Arbeitgebern. Denn selbst dieses Leistungsniveau verteuert den paritätischen Aufwand in der Zukunft erheblich. Verbessert wird das vergleichsweise niedrige Renten­niveau in Deutschland durch die bAV und die Riesterrente, die jedoch beide freiwillige Altersvorsorgeelemente darstellen, allerdings mit steuerlicher Förderung. Aber wie das so ist bei freiwilligen Altersvorsorgemöglichkeiten: Es machen nicht alle mit.

Flankierende soziale Maßnahmen

Letztlich kommt es für die Menschen aber nicht nur auf die Höhe der Rentenzahlung an, sondern auch darauf, was sie damit bestreiten müssen. „In Schweden zahlt man keine ­Sozialabgaben auf seine Altersrenten, und im Pflegefall werden sämtliche Kosten für Pflege, medizinische Versorgung oder Heimplatz von der Kommune, in der man lebt, bezahlt“, sagt Melchiors. Das sieht in Deutschland ganz anders aus. Von den rund 1.900 Euro, die ein deutscher Spareck-Rentner (dieser hat 45 Jahre lang Durchschnittseinkommen verdient und darauf Rentenversicherungsbeiträge abgeführt) derzeit erhält, werden noch Beiträge in die Kranken- und Pflegekasse abgezogen, und ein paar Euro Steuern fallen gegebenenfalls ebenfalls an. „Und wenn Sie in Deutschland zum Pflegefall werden, werden Sie daran arm“, meint Melchiors. Er kommentiert diesen Schweden-Deutschland-Vergleich weiter: „Schweden ist einfach ein Welfare-Staat, das macht sich an vielen Stellen bemerkbar. Beispielsweise gibt es dort neben einer guten Pflegeunterstützung für Rentner ein vernünftiges Wohngeldsystem, bei dem auch diejenigen, die im eigenen Häuschen wohnen, Heizkostenunterstützung erhalten können.“ Sichtbar wird die soziale Ausrichtung in Schweden auch daran, dass dort Arbeitgeber und Arbeitnehmer unbegrenzt in die Rentenkasse einzahlen, ­obwohl es für die Leistung eine Obergrenze gibt.

„In der Schweiz ist das genauso, vielleicht sogar noch deutlicher als in Schweden“, sagt Sebastian Sturm, der selbst in der Schweiz lebt und arbeitet. „In der Schweiz zahlt beispielsweise der Novartis-Chef den vollen Beitrag auf sein komplettes Gehalt, samt Bonus. Die spätere Rentenhöhe ist hingegen gedeckelt. Da wird also in der Rente tüchtig umverteilt.“ Andererseits ist der Steuersatz auf Einkommen in der Schweiz niedriger als in den meisten anderen europäischen Ländern. Sturm verweist darauf, dass man in der Schweiz stark auf die Eigenverantwortung der Menschen setzt. „Wenn Sie keinen Verdienst haben, erhalten Sie in der Schweiz Sozialleistungen. Aber wenn Sie dann wieder Geld verdienen, müssen Sie die erhaltenen Sozialleistungen zurückzahlen“, so Sturm.

Wichtig ist auch, wer in das gesetzliche Altersvorsorge­system einzahlt und ob es ein mehrklassiges System gibt. „In der Schweiz hat man das Beamtentum weitgehend abgeschafft; in Österreich auch. Dort sind alle im selben gesetzlichen Rentensystem. In Frankreich haben alle ein gutes ­System, denn es werden für die Berechnung der Renten die besten 25 Jahre genommen. Ob wir unser Beamtensystem in Deutschland renovieren sollten, kann ich aus dem Stegreif nicht sagen. Das war nicht Fokus unserer Studie“, sagt Melchiors und lässt durchblicken, dass er sich das gern einmal genauer ansehen würde.

Was kostet die Rente?

Neben der Höhe der Altersrente ist natürlich auch zu ­betrachten, wie viel im jeweiligen Land für die Versorgung der Rentner aufgewendet wird (siehe Chart „Ausgaben für die Altersvorsorge“). „Im Verhältnis zum BIP sind die Kosten für das Rentensystem in Frankreich bei Weitem am höchsten“, erklärt Melchiors. „Frankreich hat eine staatliche Alters­versorgung, die nahezu komplett umlagefinanziert ist und deshalb im Vergleich mit den anderen Ländern, die wir ­untersucht haben, die höchsten Ausgaben hat.“

Das Rentensystem in den Niederlanden hat es geschafft, die Kosten nach einigen Reformschritten nach und nach zu reduzieren, und liegt derzeit etwa auf unserem Niveau, allerdings mit abnehmender Tendenz im Gegensatz zu unserem System. In Deutschland sind die Ausgaben für die Altersvorsorge weit oben angesiedelt, während das Versorgungsniveau vergleichsweise niedrig ist. Die Beiträge in die Rentenkasse betragen in Deutschland 18,6 Prozent des Bruttolohns, was jeweils hälftig von Arbeitgeber und Arbeitnehmer getragen wird. Hinzu kommt der Bundeszuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung, der bei rund 100 Milliarden Euro liegt. Bei einem Bundeshaushalt von knapp 500 Milliarden sind das etwa 20 Prozent des gesamten Haushalts. Die erkenn­bare Kostenerhöhung liegt aber auch an politischen Geschenken wie Mütterrente und der Rente für langjährige Versicherte. Auch die Angleichung der Renten in Ost und West hat eine gewisse Auswirkung.

Sonderlocken der Regierungen

„Das war natürlich ganz klar politisch motiviert“, stellt ­Melchiors fest und verweist darauf, dass es ja viele solche ­politisch motivierten Fälle gibt: „Ein markantes Beispiel für solche Sonderlocken ist etwa die Mütterrente in Deutschland. Die kostet jedes Jahr 18,6 Milliarden Euro und zahlt Renten aus, denen keine Beiträge gegenüberstehen“, erklärt Melchiors.

Aber solche Sonderlocken, bei denen bestimmte Gruppen eine Rente erhalten, ohne dafür in das System eingezahlt zu haben, gibt es nicht nur in Deutschland. 2021 hat man in Schweden die Grundrente angepasst. Rund die Hälfte der Rentner erhält jetzt mehr Rente, und der Mehrbetrag wird aus Steuermitteln gezahlt. „Darüber hat sich der Chef des AP7-Fonds, Richard Gröttheim, aufgeregt, denn damit gehe man einen Schritt zurück, anstatt vorwärts“, sagt Melchiors. Offenbar lobte Gröttheim bei der Gelegenheit das deutsche System als gut ausbalanciert, weil es dem Äquivalenzprinzip entspricht, also eine direkte Beziehung zwischen Beitragszahlungen und Rentenhöhe besteht, mit der Einschränkung, dass unsere Sonderlocken unsystematisch sind.

Eigentlich ist Schweden nicht dafür bekannt, großzügige Wahlgeschenke im Rentenbereich zu verteilen: „Das liegt auch daran, dass es dort ein Rentengremium gibt, das mit allen im Parlament vorhandenen Parteien besetzt ist. Ver­änderungen am Rentensystem müssen in diesem Gremium einstimmig beschlossen werden“, erklärt Melchiors. So könne sich keine Partei durch Wahlgeschenke im Rentenbereich profilieren. „Ansonsten bauen Regierungen gern ­Sonderlocken ins Rentensystem ein, die dann oft viel Geld kosten. Aber sie beruhigen das Volk, und man hofft natürlich, damit die Wähler für sich einzunehmen“, gibt Melchiors zu bedenken. Man merkt ihm an, dass er für das Thema Altersvorsorge brennt, und er nennt den Grund: „Die Altersvorsorge ist eines der großen gesellschaftlichen Themen und eine staatliche Aufgabe. In allen westlichen Ländern ­besteht Handlungsbedarf. Dabei ist es wichtig, ein effizientes, aber auch von der breiten Mehrheit als gerecht empfundenes Alterssicherungssystem zu erhalten.“ Insbesondere angesichts des Bedarfs an Fach- und Arbeitskräften brauche es klare Konzepte und Anreize.

Anke Dembowski

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