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2/2024 | Steuer & Recht

Erste Pilottransaktionen

Die Gesetzgeber regeln die unterschiedlichsten Bereiche der Digitalisierung – darunter auch die Tokenisierung von Wertpapieren. Dies ermöglicht weitere Vorstöße im Praxisbetrieb. Metzler und Deka haben 2023 erstmals Fonds in digitaler Form aufgelegt.

Das technische Umfeld für Kryptowertpapiere entwickelt sich. Dabei liegt die Hauptarbeit bei den Anbietern der Infrastruktur. Im Idealfall bemerken Asset Manager und Investoren die Umstellung auf die Blockchain kaum.
Das technische Umfeld für Kryptowertpapiere entwickelt sich. Dabei liegt die Hauptarbeit bei den Anbietern der Infrastruktur. Im Idealfall bemerken Asset Manager und Investoren die Umstellung auf die Blockchain kaum.Das technische Umfeld für Kryptowertpapiere entwic

Es ist ein bisschen so wie bei der Energietransformation: Erst muss die komplette Marktinfrastruktur etabliert werden, sonst läuft es nicht richtig. Vom Produkt (z.?B. grüner Wasserstoff) über den Transport und die Lagerung bis hin zum Verkauf über entsprechend ausgerüstete Tankstellen und am Ende die Autos und Maschinen, die mit grünem Wasserstoff laufen können … an allen Schnittstellen muss es passen!

Als Erstes die Infrastruktur

Ähnlich ist es bei der Tokenisierung von Wertpapieren. Auch hier zeigt sich: Einige Häuser springen frühzeitig auf diesen Trend auf, während andere abwarten, wohin die Trends laufen und welche Standards sich durchsetzen. Sie wollen erst sehen, dass die Regulatorik für Klarheit sorgt und die Marktinfrastruktur zuverlässig funktioniert. Schließlich werfen Horrorszenarien wie die zahlungsunfähige ­Kryptobörse FTX, bei der im November 2022 mehr als eine Milliarde Dollar an Kundengeldern verschwunden waren, oder der Kollaps des Terra Stablecoin im Mai 2022 dunkle Schatten auf das immer noch zarte Krypto-Pflänzchen.

Es wäre aber naiv zu glauben, solche Ereignisse würden den Digitalisierungszug stoppen – er läuft. Der regulatorische Rahmen wird seit 2020 peu à peu abgesteckt, und a­ktuell bringen sich die Player, die die Marktinfrastruktur ­bereitstellen, in Stellung. Sie bauen ihre Plattformen auf und führen darauf erste Transaktionen mit Zentralbankgeld durch – um die Systeme zu erproben und zu verbessern.

Emission von tokenisierten Assets

Zeitlich an erster Stelle steht die Emission tokenisierter Wertpapiere. Ermöglicht wurde dies im Juni 2021 mit dem Gesetz zu elektronischen Wertpapieren (eWpG). Zuvor war es Pflicht, zu jedem Wertpapier eine Globalurkunde aus Papier zu erstellen. Bei tokenisierten Wertpapieren geht es nicht etwa darum, in Bitcoin und Co. zu investieren, sondern darum, Wertpapiere über die Blockchaintechnologie, also digital, aufzulegen. Bereits im Jahr 2021 und später noch einmal 2022 startete die Europäische Investitionsbank (EIB) erste Test­ballons mit der Begebung von tokenisierten Anleihen.

Als erste Geschäftsbank in Deutschland emittierte die ­DekaBank am 10. Dezember 2021 zwei digitale Nullzinsanleihen und war auch gleichzeitig Registerführer. Im April 2022 legte Hauck Aufhäuser Lampe Bank einen Kryptofonds auf, und die Deutsche Bank folgte im Dezember 2022 mit der Emission einer Floating Rate Note. Im Februar 2023 begab der DAX-Konzern Siemens mit Unterstützung von Hauck Aufhäuser Lampe als Registerführer eine Anleihe auf der öffentlichen Blockchain Polygon, die auf der Ethereum-Technologie basiert. Diese Anleihe sorgte im Markt für Aufmerksamkeit, denn das Volumen von 60 Millionen Euro war für eines der frühen tokenisierten Wertpapiere beachtlich, auch wenn es für ein Unternehmen wie Siemens eher zu den kleineren Emissionen gehört. Die Laufzeit für diese Anleihe betrug ein Jahr, und die Zinsen wurden klassisch in Euro gezahlt – schließlich steht noch kein digitaler Euro zur Verfügung. Man ist zufrieden, dass alles geklappt hat. Die Transaktion konnte binnen zwei Tagen abgeschlossen werden, und die Investoren für diese Anleihe waren DekaBank, DZ Bank und Union Investment.

Die Beteiligten konnten damit ihre Systeme im Echt­betrieb testen und sich am Markt in Stellung bringen. „Mit unseren innovativen Produkten und Technologien unterstützt Siemens seine Kunden bei der digitalen Transfor­mation sehr erfolgreich. Daher ist es nur konsequent, dass wir auch in unserem Finanzbereich die neuesten digitalen Lösungen testen und nutzen. Wir sind stolz, als eines der ­ersten deutschen Unternehmen eine blockchainbasierte ­Anleihe erfolgreich begeben zu haben“, erklärte Siemens-­Finanzvorstand Ralf Thomas die Kapitalmaßnahme in einer Pressemeldung. Durch die Abwicklung über eine öffentliche Blockchain erhofft sich Siemens höhere Geschwindigkeit und Effizienz bei der Emission seiner Unternehmensanleihen, sprich: bei der Unternehmensfinanzierung.

Die Volumina wachsen

Nach dem Siemens-Testballon werden die Emissionen größer: Für 2024 plant die deutsche Investitionsbank KfW die Emission ihrer ersten Anleihe über eine öffentliche Blockchain, die dann vermutlich einen dreistelligen Millionen­betrag erreichen soll. Für das dritte Quartal 2024 plant ein großes deutsches Industrieunternehmen einen Corporate Bond, der dann vom Volumen her noch größer sein soll, und diesmal soll das Settlement in Zentralbankgeld erfolgen. Und so geht es weiter. Per 22. April 2022 listet die BaFin 82 Kryptowertpapiere auf, die in Deutschland emittiert wurden, und monatlich kommen neue hinzu.

Während es sich bei den ersten digitalen Wertpapieren um Anleihen handelte, folgten bald digitale Fondsanteile. So hat das Bankhaus Metzler im September 2023 seinen ersten Kryptofondsanteil ausgegeben, und Deka folgte im Dezember 2023, ebenfalls mit der Ausgabe eines Kryptofondsanteils. Marion Spielmann, Leiterin COO Bankgeschäftsfelder und Verwahrstelle bei der DekaBank, erklärt dazu: „Was uns derzeit bewegt, ist die Verwahrung und Abwicklung von Wertpapieren auf Basis der Blockchaintechnologie. Das heißt, dass Transaktionen papierlos ohne Globalurkunde ­laufen und in ein Kryptowertpapierregister eingetragen werden“. Als Vorteil dieser Technologie sieht sie insbesondere ­eine Effizienzsteigerung: „Die Blockchaintechnologie kann Prozesse beschleunigen, transparenter und sicherer machen und sogar den Markt und Geschäftsmodelle deutlich verändern“, sagt Spielmann und weiter: „Die Begebung von Wertpapieren ist bislang ein behäbiger Prozess, der mehrere Tage dauern kann. Blockchainbasiert geht das idealerweise in Echtzeit. Das kann Produkte attraktiver machen. Ich kann mir vorstellen, dass dadurch bald neue Märkte für weniger liquide Produkte entstehen, da Transparenz sowie schnelle Handelbarkeit eine positive Wirkung haben.“

Wenn also Häuser wie Hauck Aufhäuser Lampe, Deka, Metzler oder Deutsche Bank bereits tokenisierte Wertpapiere emittieren, müssen Service-KVGen diese administrieren und Verwahrstellen sie verwahren können. Entsprechend ertüchtigen alle größeren Custodians ihre Systeme, um kryptografische Schlüssel zu verwahren. Beispielsweise hat die DZ Bank eine Digitalverwahrplattform für institutionelle Investoren entwickelt, um auch für Kryptowertpapiere die Aufgaben einer Verwahrstelle erfüllen zu können. Andere Häuser wie Hauck Aufhäuser, Bitpanda, die Börse Stuttgart oder das Technologieunternehmen Tangany verfügen bereits über eine BaFin-Lizenz, um ihren Kunden die Verwahrung von Krypto-Assets wie Bitcoin, Ether und anderen Kryptocoins anbieten zu können. Zehn Kryptoverwahrer sind per 24. April 2024 in der Unternehmensdatenbank der BaFin gelistet. „Auch die Aufseher müssen Erfahrung sammeln, wie sie mit der neuen Regulatorik zu Krypto-Assets umgehen. Daher dauern die Lizenzvergaben relativ lang“, bemerkt Nils Christopeit, Senior-Experte für Digitale Finanzinstrumente bei der DZ Bank. Die DZ Bank hat sich einerseits auf die Erweiterung bestehender Services im Bereich Abwicklung und Verwahrung für Kryptoprodukte inklusive der dazu notwendigen Infrastruktur konzentriert, um institutionellen Kunden die Abwicklung und Verwahrung von tokenisierten Produkten anbieten zu können. Parallel wird an einem Angebot für Privatkunden gearbeitet, damit diese über ihr bestehendes Girokonto Kryptocoins wie Bitcoin oder Ether kaufen und verkaufen können. Derzeit ist nur die Verwahrung von Kryptowertpapieren nach dem eWpG durch die bestehenden Lizenzen abgedeckt. Um die Verwahrung von Kryptocoins für institutionelle Kunden anbieten zu können, wurde Ende Juni 2023 der Antrag zur Erlangung der Kryptoverwahrlizenz nach KWG bei der Aufsicht eingereicht. Noch hat die BaFin der DZ Bank die Lizenz als Kryptoverwahrer nicht erteilt.

Kryptoverwahrer und Registerführer

Wie andere Kreditinstitute auch müssen Kryptoverwahrer die Regelungen der MaRisk (Mindestanforderungen an das Risikomanagement) und BAIT (Bankaufsichtliche Anforderungen an die IT) einhalten; entsprechend gelten spezielle Anforderungen an die IT-Systeme und deren Organisation. Einen besonderen Fokus legt die BaFin bei den Krypto-­Playern auf die Sicherungsmaßnahmen bezüglich der kryptografischen Schlüssel und die Wiederherstellungsziele.

Nicht nur für die Kryptoverwahrung, sondern auch für die Kryptowertpapierregisterführung bedarf es einer BaFin-­Erlaubnis – seit 10. Juni 2021. „Durch die Einführung des Gesetzes über elektronische Wertpapiere (eWpG) ist das ­Kreditwesengesetz um diese weitere Finanzdienstleistung ­reicher geworden“, schreibt die Kanzlei Bird & Bird auf ihrer Website. Im Kryptowertpapierregister werden verschiedene Angaben über das Kryptowertpapier hinterlegt, etwa der ­wesentliche Inhalt des im Kryptowertpapier verbrieften Rechts, das Emissionsvolumen, der Nennbetrag, der Emittent, der Inhaber und eine Kennzeichnung, ob es sich um eine Einzel- oder eine Sammeleintragung handelt.

An ein Kryptowertpapierregister werden bestimmte gesetzliche Anforderungen gestellt: Es muss auf einem fälschungssicheren Aufzeichnungssystem geführt werden, das Daten in der Zeitfolge protokolliert und gegen unbefugte Löschung und nachträgliche Veränderung geschützt ist. „Das Aufzeichnungssystem muss ein dezentraler Zusammenschluss sein, in dem die Kontrollrechte zwischen den das jeweilige System betreibenden Einheiten nach einem im Vorhinein festgelegten Muster verteilt sind. Das Gesetz soll sowohl die Blockchaintechnologie erfassen als auch technologieoffen sein für weitere Entwicklungen“, schreibt Bird & Bird. Bislang haben erst ein gutes Dutzend Marktteilnehmer eine solche Lizenz der BaFin erhalten. „Der größte Kryptowertpapierregisterführer in Deutschland hat einen Marktanteil von rund 40 Prozent“, beobachtet Christopeit den Markt, der aktuell noch überschaubar und ziemlich konzentriert ist.

Transaktionen laufen noch nicht digital

Wenn die Wertpapiere emittiert, ins Register einge­tragen und verwahrt sind, ist der nächste logische Schritt der ­Handel. „Nachdem wir elektronische Wertpapiere begeben haben, möchten wir diese auch handeln. Bisher läuft der Handel von elektronischen Anleihen ausschließlich im OTC-Geschäft, also bilateral, und die Papiere werden in den meisten Fällen bis zur Endfälligkeit gehalten. Wir wollen uns für den Handel demnächst an die entstehenden regulierten Marktplätze anschließen“, erklärt Spielmann, wohin die Reise gehen soll.

Aktuell sei das Problem noch, dass es kein Geld auf der Blockchain gibt, zumindest noch keinen digitalen Euro (Central Bank Digital Currency – kurz Wholesale CBDC) oder einen entsprechenden Stablecoin. „Der digitale Euro wird dann tatsächlich Zentralbankgeld sein, also digitales Fiat-Geld. Die EZB bringt sich hier stark in den Begebungsprozess ein, und es gibt mehrere Testläufe, bei denen die Marktteilnehmer mitmachen können“, weiß Spielmann. Im Mai/Juni 2024 soll die erste Phase der EZB-Trials für einen Wholesale CBDC beginnen, aber insgesamt wird es noch dauern, bis der digitale Euro vorhanden ist. „Die Erprobungsphase wird voraussichtlich mindestens sechs Monate dauern. Danach wird die EZB eine Entscheidung treffen, welche Lösung weiterverfolgt wird. Anschließend geht es in die Umsetzung, was vermutlich auch noch einmal zwei ­Jahre dauert. So wird es wohl noch dauern, bis eine Lösung für Cash-on-Chain vorhanden ist“, meint Spielmann.

Bis künftig Geld gegen Wertpapiere auf der Blockchain gehandelt werden können, werden derweil ausschließlich Wertpapiere auf der Blockchain bewegt, während die kor­respondierenden Geldtransaktionen noch in klassischen Zahlungsverkehrssystemen stattfinden. „Das ist ein Systembruch und widerspricht dem Effizienzgedanken“, gibt Spielmann zu. „Wir brauchen einen Marktplatz, an dem sich ­Angebot und Nachfrage begegnen. Nur so entsteht Liquidität in einem Wertpapier. Voraussetzung ist aber auch, dass wir die Zahlungen für die Wertpapiertransaktionen auch auf der Blockchain initiieren können. Kryptowertpapiere sind nicht zum geregelten Markt an den Börsen zugelassen, und so fehlt uns der regulierte Markt. Das wird sich ändern, wenn die Möglichkeiten des DLT-Pilotregimes genutzt werden und Marktinfrastruktur für den Handel aufgebaut wird.“ Mit der Einrichtung einer Multilateral Trading Facility (MTF) wird dann ein regulierter Markt entstehen, der eine Handels- und Abwicklungsstruktur für die elektronischen Wertpapiere darstellen wird. „Spätestens dann wird das ­Volumen der gehandelten Wertpapiere zunehmen“, ist sich Spielmann sicher und verweist darauf, dass auf der Blockchain bereits Wertpapiere gegen Wertpapiere gehandelt ­werden können. „Solche Wertpapierleihgeschäfte haben wir bereits auf der Blockchain durchgeführt“, erklärt sie.

Bis dato wenig Arbeit für Investoren

Bisher sind es überwiegend die Infrastrukturanbieter, die sich für die Blockchaintechnologie aufstellen. So möchte die DekaBank mit ihrem Angebot im ersten Schritt institutionelle Kunden ansprechen. „Wir bauen die Technologie jetzt auf, denn sie benötigt einen bestimmten Standard, um für das Massengeschäft tauglich zu sein. Das entwickelt sich jetzt gerade. Institutionelle Kunden waren und sind die Ersten, die sich darauf einstellen. Sie bereiten sich auf der Emis­sionsseite vor, und es werden höchstwahrscheinlich auch ­Institutionelle sein, die als Erste im größeren Stil in solche elektronischen Wertpapiere investieren“, erwartet Spielmann.

Wobei im Idealfall die Investoren gar nicht allzu viel von der großen digitalen Umstellung merken werden. „Die ­Investoren haben noch etwas Zeit, denn sie können abwarten, bis die Infrastruktur aufgebaut ist und sauber funktioniert. Wenn sie nicht auf der Emissionsseite aktiv sind, sondern nur investieren, brauchen sie nicht viel zu machen“, meint Spielmann. „Sie müssen allenfalls ihre Depotverträge anpassen, weil künftig ein Schlüssel für die Wallet verwahrt wird. Auch die Anlagerichtlinien sind anzupassen.“ Sie rät, dies auf jeden Fall zu tun. „Je früher man dabei ist, desto besser ist es, denn immer mehr Emittenten werden ihre Wertpapiere digital ausgeben. Wer hier als Investor nicht mitzieht, für den wird das Anlageuniversum künftig kleiner.“

Auch Asset Manager sollten in ihren Vertragsbedingungen künftig Investitionen in digitale Wertpapiere vorsehen. Darüber hinaus unterscheidet sich für sie ein digitales Wertpapier nicht großartig von einem traditionellen. „Dem Portfoliomanager kann es im Prinzip egal sein, in welcher Form das Wertpapier vorliegt. Erst in den Middleoffice-Prozessen gewinnt das eine andere Qualität. Dort gestalten sich die Freigabe- und Kontrollprozesse anders, und auch die Überleitung in die Fondsbuchhaltung wird anders aussehen“, so Spielmann. Die großen Änderungen finden also in den nachgelagerten Prozessen statt, nicht im Asset Management selbst.

Bis der digitale Wertpapierhandel dann im größeren ­Ausmaß läuft, wird es noch eine ganze Weile dauern, meint Christoph Lehl. Er ist COO beim regulierten Handelsplatz Spectrum Markets. Dessen Teilnehmer wickeln die Ge­schäfte auf Spectrum noch zu 100 Prozent über einen Zentralverwahrer (CSD) ab. „Das Anbinden an eine Blockchain ­wäre relativ einfach möglich, ist aber aktuell noch kein Business Case für unsere Teilnehmer. Daher warten wir lieber auf eine Standardisierung.“ Er erklärt, dass sich auch bei der Telefonie oder im Internet erst ein Standard herausbilden musste, bis jeder mit jedem kommunizieren konnte. „Überlegen Sie, wie lange es gedauert hat, bis sich für europäische Überweisungen der SEPA-Standard herauskristallisiert hat! Ich glaube, in zehn Jahren wird man wissen, was der ­Standard ist. Vorher wird es viele Versuche geben, aber es wird sich noch kein Standard herauskristallisiert haben.“ Von der Digitalisierung im Wertpapierhandel hält er viel, aber er meint auch, dass die Blockchain nicht der letzte Techno­logiesprung sein wird. „Vielleicht gibt es künftig komplett neue Anbieter analog dem Aufkommen des Video­streaming, die den Wertpapierhandel abwickeln; dann bräuchte man keine Blockchain mehr“, so Lehl, aber erst ­einmal gehe der Trend im Wertpapierhandel wohl in Richtung Blockchain.

Die Digitalisierung ist unaufhaltsam

Aber welche Vorteile bietet dann die Digitalisierung im Wertpapierbereich, wenn für Asset Manager und Investoren vieles gleich bleibt? „Interessant ist, dass die Prozessketten und die gesamte Systemlandschaft der Banken einfacher werden. Dadurch beschleunigt sich das Settlement, und die Kosten für Wertpapiertransaktionen werden sinken“, sagt Spielmann. Dass das wichtig ist, sehen wir beispielsweise ­daran, dass die SEC für den US-Markt im Mai 2024 die ­Settlement-Zyklen beschleunigt, von t+2 auf t+1. „Dadurch verringern sich die Abwicklungsrisiken, die sich innerhalb der Zeitspanne vom Kauf bis zur Übertragung der Stücke gegen Geld (Delivery vs. Payment) ergeben. Hier wird man jetzt zwar schneller, aber im traditionellen Wertpapier­geschäft wird man nie auf die gleiche Geschwindigkeit ­kommen wie im digitalen. Mit der Blockchain ist eine Übertragung von A nach B innerhalb weniger Sekunden möglich, während heute in Europa noch ein Settlement-Zyklus von zwei Tagen gilt, nämlich t+2“, erklärt Spielmann.

Lehl sieht die Verringerung der Settlement-Zyklen in den USA auch als Bremsmanöver, das den Zentralverwahrern ­eine etwas längere Existenzberechtigung bietet. „Das ist nur ein Zwischenschritt, der uns näher an die Lösung bringt, aber nie ganz ans Ziel. In den USA werden jetzt die Zentralverwahrer schneller und günstiger, kurz bevor die Blockchain alles deutlich billiger macht. Clearstream könnte auch schneller und kostengünstiger arbeiten, aber die werden das erst dann tun, wenn die Konkurrenz der Blockchain wirklich da ist.“ Er rechnet damit, dass die Zentralverwahrer alles daransetzen, dass die Blockchain nicht so schnell kommt, denn sie mache Zentralverwahrer in Teilen überflüssig, ­beraube diese also ihres Geschäftsmodells.

Auf die Frage, wie sie die Zukunft des Wertpapierhandels sieht, antwortet Spielmann: „Meine These ist, dass sich die Digitalisierung nicht aufhalten lässt. Regulatorisch ist vieles schon geregelt, und die Marktinfrastruktur wird momentan aufgebaut. Das Ganze nimmt jetzt Fahrt auf, weil alle ­Voraussetzungen erfüllt sind. Ich kann mir vorstellen, dass wir bereits 2030 auf der Neuemissionsseite bemerkenswerte Anteile digital haben werden; vielleicht fünf bis zehn Prozent des Neuemissionsvolumens. Wenn es dynamischer geht, dann hat sich der Markt für diejenigen, die nicht ­mitmachen, schon spürbar verengt. Und wenn sich die ­Digitalisierung im Wertpapiergeschäft erst einmal etabliert hat, dann geht es nicht mehr sukzessive, sondern es macht einfach ,Poff!‘“, meint Spielmann.

Nils Christopeit sieht das ähnlich: „Die Digitalisierung von Finanzprodukten verspricht einen Effizienzschub. Dabei kommt ein Teil der Effizienz aus der Automatisierung, beispielsweise durch Nutzung von Smart Contracts. Hier sind alle Bedingungen eines tokenisierten Wertpapiers digital ­niedergelegt, und die Prozesse werden dann automatisiert ausgeführt. Wenn es künftig keine Prozessbrüche mehr gibt, kann nichts übersehen oder vergessen werden, sondern die Routinen werden wie vorgesehen abgearbeitet.“ Ist die Infrastruktur dann erst einmal aufgebaut, traut er Transaktionen über die Blockchain neben dem Plus an Ausführungssicherheit auch ein Plus an Transparenz und Geschwindigkeit zu – und am Ende auch eine Reduktion der Kosten. „Bis das volle Potenzial der DLT-Technologie gehoben werden kann, sind weitere Investitionen in die Marktinfrastruktur nötig“. Außerdem müssen die Erfahrungen aus laufenden Tests wie im Bereich des Börsenhandels (EU-Pilotregime) abgewartet und ausgewertet werden. Der nächste wichtige Schritt ist der Abschluss der EZB-Testphase, um eine Möglichkeit zu ­haben, Geld und Assets Zug um Zug zeitnah und anein­ander gekoppelt übertragen zu können.

Beide warnen davor, dass Europa, insbesondere Deutschland, seinen Vorsprung verlieren könnte und mahnen, dass man doch gemeinsam an einem Strang ziehen sollte. „Was die gesetzliche Regulierung angeht, sind wir sehr weit vorn. Was schleppend läuft, ist die Entwicklung der Marktinfrastruktur. Die Marktteilnehmer sind noch recht verhalten, was den Ausbau von Netzwerken und den Austausch von digitalen Wertpapieren betrifft. Außerdem müssen wir ­unbedingt gemeinsame Standards festlegen, sonst verspielen wir unseren Vorsprung“, so Spielmann.

Mehr Eigenmittel für Kryptowerte?

Außerdem steht noch aus, wie der Basler Ausschuss für ­Bankenaufsicht Kryptowerte künftig einordnen wird, das heißt, wie Kryptowertpapiere in den Bilanzen der Banken mit Eigenkapital zu unterlegen sind. „Wenn ein Kryptowertpapier auf einer öffentlichen Blockchain begeben wurde, ist das derzeit mit einer deutlich höheren Eigenkapitalbe­lastung für Banken verbunden. Darüber diskutieren wir ­aktuell“, verrät Spielmann. „Unser Ziel ist, dass die Kapitalunterlegung den traditionellen Wertpapieren gleichgestellt ist. Schließlich geht von der Blockchain kein zusätzliches ­Risiko aus. Die Bonität eines Wertpapiers ist abhängig vom Emittenten und nicht von der Blockchain.“

Anke Dembowski

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