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2/2024 | Produkte & Strategien

»Was hat die Fondsbranche beim Thema ESG bewirkt?«

Vom Highflyer der frühen zwanziger Jahre zum Absteiger in Zeiten geopolitischer Krisen: Was hat ESG wirklich gebracht, und wie kann Nachhaltigkeit es schaffen, die Aufmerksamkeit von Investoren zurückzugewinnen? Ein Roundtablegespräch.

V. l. n. r.: Barbara Wokurka, Finvia Family Office, Hanjo Allinger, CAP2, Edda Schröder, Invest in Visions, Kai Röhrl, Robeco, Claudia Röring, Quoniam Asset Management.
V. l. n. r.: Barbara Wokurka, Finvia Family Office, Hanjo Allinger, CAP2, Edda Schröder, Invest in Visions, Kai Röhrl, Robeco, Claudia Röring, Quoniam Asset Management.© CHRISTOPH HEMMERICH

Seine besten Zeiten hat das Thema Nachhaltigkeit in der Fondsbranche wohl vorerst hinter sich. Angefangen mit dem Ausbruch des Ukrainekriegs, gefolgt von Problemen mit der Energieversorgung und einem ­anschließenden rekordschnellen Anstieg von Inflation und Zinsen, rückten andere Aspekte in den Blickpunkt und drängten das frühere Mainstream-Thema ESG regelrecht in den Hintergrund. Die aufgekommene Diskussion um eine unliebsame Erscheinung wie Greenwashing, eine zunehmend überbordende Regulierung sowie eine spürbar schwache Performance der erneuerbaren Energieträger ­haben bei gleichzeitig stetig steigenden Kursen von Aktien der Öl- und Gasindustrie ein Übriges getan in Bezug auf die Wahrnehmung privater wie auch institutioneller Investoren. Die haben ihre wachsende Zurückhaltung gegenüber nachhaltigem Investieren erst einmal durch entsprechende Mittelabflüsse quittiert. Die Probleme sind dennoch geblieben: Denn der Klimawandel kennt keine Pause, die CO2-Emissionen wollen einfach nicht den Rückzug antreten, und vom 1,5-Grad-Ziel, das man lange Zeit wie eine Monstranz vor sich hergetragen hat, haben sich realistisch agierende Marktakteure längst verabschiedet. Wir wollten wissen, ob die Fondsindustrie dennoch für sich in Anspruch nehmen darf, etwas Handfestes bewirkt zu haben, und welche Ideen die Anbieter von ESG-Strategien ent­wickeln, um ihrem Thema wieder auf die Beine zu helfen. Und wie man es schaffen will, dass Regulierung künftig der Steigbügel statt der Hemmschuh sein kann. Ein Gespräch mit Prof. Hanjo Allingernvon CAP2, Kai Röhrl von ­Robeco, Claudia Röring von Quoniam Asset Management, Edda Schröder von ­Invest in Visions und Barbara Wokurka vom Finvia Family Office.

Meine Damen und Herren, unsere Leitfrage bei diesem Gespräch lautet: Was hat die Fondsindustrie beim Thema ESG bislang tatsächlich bewirken können? Was sind dabei spontan Ihre ­ersten Gedanken?

Edda Schröder: Grundsätzlich bin ich davon überzeugt, dass auch im Asset Management ohne Regulierung nicht wirklich etwas vorangeht. Daher bin ich auf der einen Seite froh, dass es die ESG-Regulierung gibt. Wie sie allerdings bisher ausgeführt und umgesetzt wird, steht auf einem ganz anderen Blatt. Auf unsere Branche bezogen hat sie schon dazu beigetragen, dass das Verständnis in Bezug auf nachhaltiges Investieren insgesamt erheblich zugenommen hat. Das ­Bewusstsein dafür, dass es unbedingt notwendig ist, Investmentgelder stärker in nachhaltige Anlagen umzuleiten, über deren Definition wir ja sicher noch sprechen werden, ist bei Marktakteuren und insbesondere Investoren heute signifikant höher, als das noch vor fünf oder zehn Jahren der Fall war. Und daran hat die Fondsindustrie – eben aufgrund der Regulierung – durchaus einen gehörigen Anteil, vor allem wenn wir beispielsweise an den Aspekt Dekarbonisierung denken. Andererseits wird man sagen müssen, dass es an ­vielen Stellen noch sehr viel zu tun gibt.

Was zum Beispiel?

Edda Schröder: Das „S“ in ESG, sprich die soziale Seite, wird meines Erachtens noch viel zu stiefmütterlich behandelt, wenn es um nachhaltiges Investieren geht. Dabei spielt ­sicher eine wesentliche Rolle, dass es bis heute noch keine Taxonomie zu dem Aspekt Soziales gibt. Daher kann es in gewisser Weise kaum verwundern, dass dieser Bereich sozusagen noch hinterherhinkt. Das ändert aber nichts daran, dass der Anfang gemacht ist in Bezug auf das Ziel, Gelder wirklich umzuschichten in nachhaltige Investments und nicht zuletzt in Richtung Transformation, seit dem vergangenen Jahr das Stichwort schlechthin in der Diskussion rund um ESG. Aber gerade in dieser Beziehung geht natürlich noch sehr viel mehr. Wenn wir das Thema in Richtung der Bankenseite erweitern, dann kann man schon sagen, dass die Finanzindustrie insgesamt natürlich noch wesentlich aktiver sein kann, gerade bei der Kreditvergabe als einer Art Schlüssel für die Entscheidung, was durchaus finanziert werden soll, aber eben auch was bewusst nicht finanziert werden sollte. Das wiederum schlägt dann auch gleich ­wieder den Bogen zum Asset Management. Denn gerade die langfristige Finanzierung via Private Equity oder Private Debt eröffnet enorme Möglichkeiten, einen künftig noch stärkeren und noch größeren Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit zu leisten.

Kai Röhrl: Grundsätzlich stimme ich Edda Schröder zu bei dem Gedanken, dass wir als Asset Manager ohne die durch die Regulierung gesetzten Regeln wahrscheinlich gar nicht so weit gekommen wären, wie wir heute tatsächlich schon sind. Wobei man natürlich trefflich über einzelne Aspekte der gesetzlichen Vorgaben und vor allem deren Umsetzung streiten kann. Weniger strittig dürfte sein, dass die Nachhaltigkeit je nach Anbieter und Produkt ihren Weg in durchaus unterschiedlicher Ausprägung in das eine oder andere Fondskonzept gefunden hat, wenn ich speziell an die verschiedenen Ansätze im Bereich der nach Artikel 8 SFDR zugelassenen Fonds denke. In Summe betrachtet kann man meiner Ansicht aber durchaus zu Recht zum Schluss kommen, dass unsere Branche einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat, dass das ESG-Thema tiefer in das Bewusstsein der Menschen und nicht zuletzt unserer Kunden vorge­drungen und überhaupt bekannter geworden ist.

Wobei man ja schon den Eindruck haben kann, dass es sich ­gerade in der jüngeren Zeit wieder auf dem Rückweg befindet.

Kai Röhrl: Ich weiß, was Sie meinen, aber aus der langen Zeit, die ich bereits für unsere Gesellschaft arbeite, kann ich dazu im Rückblick nur erwidern: Man fängt immer irgendwo an, so wie wir das bereits in den Jahren 2005 und 2006 mit Aspekten wie Proxy Voting und Engagement getan ­haben. Andere haben sich vielleicht erst mit der verpflichtenden Regulierung auf diesen Weg gemacht. Und ich stelle fest: Was uns in gewisser Weise vereint, ist die Tatsache, dass meines Erachtens alle Marktteilnehmer mit vielen Dingen im Zusammenhang mit der Regulierung nicht glücklich sind, ganz gleich wie sie jeweils den Zugang zum Thema ESG gefunden haben. Aber es kann nun mal nicht vom Start weg alles perfekt laufen. Manche Prozesse müssen sich erst einmal einspielen, aber ich habe die Hoffnung, dass sie in Summe von Jahr zu Jahr besser funktionieren.

Claudia Röring: Zumal sich doch eines wohl kaum wegdiskutieren lässt: Das Know-how und die vielgepriesene Aware­ness für das ESG-Thema haben enorm zugenommen, sowohl bei uns als Produktgebern als auch bei unseren Kunden. Seit der Verkündung des EU Green Deals ist innerhalb und außerhalb unserer Branche enorm viel geforscht und publiziert worden. Damit wurde das ESG-Thema sehr viel stärker in die Breite getragen. Das ist auf jeden Fall eine ­positive, wenn auch sehr indirekte Wirkung, die sich hier entfaltet hat. Wobei es aus meiner Sicht extrem stark von den jeweiligen Assetklassen und Investmentarten abhängt, inwieweit man als Asset Manager und dann auch als Asset Owner wirklich eine nachweisbare Wirkung erzielen kann oder auch bereits erzielt hat.

Was aber doch eigentlich bedeutet, dass es vor allem indirekte Wirkkanäle sind, über die Sie als Anbieter von liquiden Assets ­einen Beitrag leisten können.

Claudia Röring: Da gebe ich Ihnen durchaus recht. Es sind eben vor allem Aspekte wie Engagement oder das Proxy ­Voting, durch die wir wirken können, um etwas zu ver­ändern. Als Fondsindustrie in der Breite ist es zudem ein Zuwachs an Transparenz, den wir schaffen können. Und nicht zuletzt können wir gemeinsam mit der Regulierung auf eine Standardisierung hinwirken, um das Thema auch für unsere Anleger verständlicher zu machen. Das alles ­ändert nichts daran, dass die Regulierung einerseits extrem komplex bleibt und andererseits massiv Ressourcen bindet, und das ohne am Ende unbedingt dazu beizutragen, den Anleger sozusagen besser abzuholen.

Barbara Wokurka: Mit Blick auf unsere Ausgangsfrage sollte man im Übrigen nicht vergessen, dass die Finanzindustrie im Prinzip sehr bewusst von Politik und Regierung benutzt wurde, um das Ziel von mehr Nachhaltigkeit umzusetzen. Letztlich soll damit bewirkt werden, dass die Realwirtschaft sich ändert, dass sie anders und eben vor allem nachhaltiger wirtschaftet, als sie das bislang getan hat. Das ist es im Endeffekt, was auf einmal zu einem unglaublichen Wachstum der nach Artikel 8 SFDR zugelassenen Fonds geführt hat. Wobei dieses Wachstum mit den aufgekommenen Ängsten vor Greenwashing schon wieder rückläufig ist. Daran zeigt sich, dass auch ESG nicht vor typischen Wellenbewegungen gefeit ist, wie man sie auch von anderen Erscheinungen her kennt. Einmal abgesehen davon, dass auch ich davon aus­gehe, dass es zu einer solchen Entwicklung gar nicht gekommen wäre, hätte es den Anstoß durch eine überbordende ­Regulierung nicht gegeben, darf man nicht verkennen, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern in gewisser Weise speziell ist.

Was meinen Sie mit „speziell“?

Barbara Wokurka: Im Unterschied zu Ländern wie Groß­britannien oder den Niederlanden bewegen sich viele ­Dinge in Deutschland meiner Erfahrung nach nur, wenn die Menschen mehr oder weniger stark dazu angehalten werden. Oft fehlt eine Art intrinsische Motivation. In den Niederlanden haben sich gerade die großen institutionellen ­Investoren in Bezug auf den ESG-Aspekt sehr viel früher ­bewegt als hierzulande. Sie haben es als ihre treuhänderische Verpflichtung verstanden, Verantwortung zu übernehmen, weil sie sehr viel früher davon überzeugt waren, dass man in Zukunft anders wirtschaften muss, und sie haben selbst die Initiative ergriffen und sich umgestellt. Das war in Deutschland bei Weitem nicht so ausgeprägt, daher hat ­Regulierung trotz aller kontraproduktiven Auswüchse vor ­allem bei deutschen Institutionellen sehr viel Gutes ­bewirkt.

Sie wirken eher noch skeptisch, Herr Prof. Allinger.

Hanjo Allinger: Aus meiner Sicht auch durchaus zu Recht. Denn auch wenn ich die bisherigen Kommentare in gewisser Weise nachvollziehen kann, so würde ich – zugegeben etwas provokant formuliert – behaupten: Die Fondsin­dustrie hat bisher gar nichts bewirkt. Und das ist noch nicht einmal ihre Schuld. Es liegt an der Regulierung, die ich mit Verlaub gesagt für vollkommen falsch halte, für wirklich nicht gut gemacht. Denn sie führt dazu, dass wir Kapital in einem unglaublichen Ausmaß einfach in die falsche ­Richtung, in die falsche Verwendung lenken. Denn wenn wir ehrlich sind, dann existiert der ursprünglich erwartete Transmis­sionsmechanismus von der Finanzindustrie in die reale Wirtschaft in dieser Form einfach gar nicht. Davon bin ich absolut überzeugt, auch wenn es vielleicht Ausnahmen gibt …

… die Sie wo genau verorten?

Hanjo Allinger: Insbesondere im bereits angesprochenen ­Segment Private Equity und vielleicht noch im Bereich der Start-ups. Über beide Kanäle hat sich zum Teil tatsächlich etwas bewegt, aber dann reicht etwas wie Engagement auch schnell an seine Grenzen heran. Es sei denn, man heißt mit Vornamen Black und mit Nachnamen Rock. Dann ­verfügen Sie über so viel Finanzkapital, dass Sie theoretisch unglaublich viel durchsetzen können. Aber ansonsten sehen wir doch, was passiert: Wir sorgen dafür, dass jene Sektoren, die sich ohnehin schwertun mit der Reduktion von Emissionen, noch deutlich weniger Kapital zur Verfügung haben. Dabei müssten wir endlich einmal begreifen, dass wir bis 2050 wie bei einer Art Wandergruppe gemeinsam ans Ziel kommen müssen. Wir können nicht sagen, Heidelberg ­Materials gehört nicht mehr zum Team, weil die böse sind, und gleichzeitig betonen, dass wir mehr Wasserkraftwerke benötigen. Denn dafür brauchen wir Zement, wie sollten wir die anders bauen?

Wollen Sie sagen, dass Fondsbranche und Investoren in Ihrem Bild von der Wandergruppe sozusagen die Schwächsten nicht ­zurücklassen dürfen?

Hanjo Allinger: Schlimmer noch: Derjenige, der sowieso schon fußkrank ist, wird durch die Regulierung auch noch auf Diät gesetzt, indem wir ihm das Kapital entziehen oder es verteuern für die Investitionen, die er notwendigerweise dringend benötigt, um in Richtung des gemeinsamen Ziels weiterzukommen.

Edda Schröder: Das entspricht allerdings nicht ganz dem, was ich unter dem Schlagwort Transformation verstehe. Transformation wird meines Erachtens nur gelingen, wenn man bewusst und gezielt auf die „schmutzigen“ Unternehmen einwirkt, damit sie sich wandeln. Dazu muss aber auch der Wille zum Wandel spürbar vorhanden sein. Es darf nicht ausreichen, nur vordergründig etwas an der einen oder ­anderen Ecke zu verändern in der Erwartung, dass man dann schon wieder irgendwie weiter finanziert wird. Es steht, zugegeben, außer Frage, dass der Wandel von heute auf morgen nicht möglich sein wird. Aber auch in der ­Realwirtschaft muss die intrinsische Motivation spürbar sein, auch wirklich etwas ändern zu wollen. Was meines Erachtens noch eines zeigt: Die Annahme, Transformation koste kein Geld, war von Anfang an eine vollkommene Fehl­kalkulation. Im Gegenteil, es wird teuer werden, es wird Geld kosten, damit sich Firmen umstellen und ihre Produktionsketten ändern. Ich gebe Prof. Allinger ja durchaus recht, dass es falsch wäre, diejenigen zurückzulassen, die es auf dem gemeinsamen Wanderweg am schlimmsten trifft. Aber auch die Fußkranken dürfen sich nicht hängen lassen und müssen es zumindest ernst meinen und mithelfen, dass ­andere sie unterstützen.

Claudia Röring: Auch ich würde mit der Regulierung nicht ganz so harsch ins Gericht gehen. Ich teile durchaus Ihre Einschätzung, dass der Transformationsgedanke in weiten Teilen der Regulierung noch nicht wirklich durchkommt. Wenn wir uns allerdings die nach Artikel 8 SFDR zuge­lassenen Fonds in ihrer Gesamtheit anschauen, dann fällt auf, dass die geradezu standardmäßig nach wie vor sehr stark in Branchen investiert sind, die noch nicht grün, sondern ­immer noch ziemlich braun sind. Und die große Kritik ­daran kommt nicht unbedingt nur von der Regulierungsseite, sondern sehr viel stärker von NGOs, die teilweise ­darauf drängen, dass Sektoren komplett ausgeschlossen ­werden. Das kann sicherlich nicht der Weg zu mehr Transformation sein. Ich denke aber, dass die Regulierung das zu einem gewissen Grad bereits erkannt hat und in der ­Namensrichtlinie der ESMA mit der Einführung von Transi­tionsfonds auch in irgendeiner Form schon reflektiert. Dort gibt es zumindest diese krassen Ausschlusskriterien nicht mehr. Und dann hat man die Chance, im Prinzip in diejenigen ­Unternehmen zu investieren, die sich zumindest in­nerhalb ihres Sektors auch glaubwürdige Klimaziele ­setzen und wirklich Anstrengungen unternehmen, sich zu ­wandeln.

Kai Röhrl: Man sollte auch nicht zu gering schätzen, dass vor allem dem Eigentümer – ob das eine Fondsgesellschaft oder ein Hausbesitzer ist – stets ein gehöriger Teil der Verant­wortung zukommt. Das ist aus meiner Sicht ein Grund mehr, warum man nicht sagen kann, die Fondsindustrie ­habe bisher gar nichts bewirkt. Nehmen Sie nur das Thema Impact im Zusammenhang mit Mikrofinanzinstituten. ­Darüber konnten viele kleine Unternehmer finanziert und viele Arbeitsplätze geschaffen werden. Und unsere Gesellschaft beschäftigt nicht ohne Grund 20 Mitarbeiter in unserem Engagement-Team. Diese Leute machen nichts anderes, als jeden Tag mit Firmen zu sprechen und so unsere treuhänderischen Verpflichtungen wahrzunehmen. Wir gehen bewusst in den Austausch mit Energieunternehmen wie Enel oder Royal Dutch Shell. Und ich kann sagen, dass ­dadurch schon so manches in Bewegung gekommen ist, auch auf Board-Ebene, wo wir zum Teil erreichen konnten, dass deren Bezahlung an das Erreichen von CO2-Reduzierungszielen gekoppelt wurde.

Barbara Wokurka: Ich würde in diesem Zusammenhang ­dafür plädieren, zwischen Nachhaltigkeitseffekten im liquiden und im illiquiden Bereich zu unterscheiden. Meiner Auffassung nach lässt sich echte Wirkung vor allen Dingen im illiquiden Bereich erzielen. Noch bevor Gelder über unsere Venture-Capital- oder Private-Equity-Fonds investiert werden, kennen die Vehikel ihren klaren Auftrag. Das kann zum Beispiel das Ziel einer stärkeren Dekarbonisierung des Mittelstands sein. Dann muss ein Unternehmen, in das wir einsteigen, beispielsweise versuchen, durch die Anwendung neuer Technologien 60 Prozent weniger CO2 zu emittieren, als das mit herkömmlichen Technologien der Fall wäre. Und das müssen wir messen, wir müssen es nachweisen auf Basis von wirklich validen akademischen Methoden, die es mittlerweile im Klimabereich gibt. Dann geben manche ­Investoren gern ihr Geld und beobachten im Zeitverlauf über zehn, zwölf oder 15 Jahre, wie sich ihr Investment ­entwickelt hat und inwieweit wirklich eine positive Wirkung erzielt werden konnte. Das ist mein Verständnis von Impact.

Kai Röhrl: Um an dieser Stelle eine Lanze für die Anbieter von liquiden Investments zu brechen: Auch wenn wir ­natürlich keinen direkten Impact erzielen können, weil wir eben keine Windräder bauen oder Solaranlagen betreiben, so sind wir keineswegs ohne Grund der Net Zero Initiative beigetreten. Das verpflichtet uns, jedes Jahr sieben Prozent unseres Gesamtportfolios zu dekarbonisieren. Und wir wollen bis 2050 bei null Emissionen über alle unsere Assets hinweg stehen. Diese Reduzierung geschieht zwar mittelbar, aber wir können etwas erreichen, indem wir Firmen belohnen, wenn sie sich besser verhalten als andere. Prof. Allinger hat sicher recht, dass damit eine Art Bestrafung über schlechtere Kreditkonditionen verbunden ist. Das müssen wir hinnehmen. Aber es zeigt, dass es auch in der Breite der Fonds­industrie möglich ist, zu einer Reduzierung von CO2-Emissionen beizutragen.

Wir haben bisher sehr viel dazu gehört, was alles insbesondere ­aufgrund der Regulierung bisher falschläuft innerhalb unserer Branche oder wo die Fondsindustrie mit unnötigen Extrakosten belastet wird. Was würden Sie denn den EU-Behörden in Brüssel als Empfehlung geben, damit sich für alle Beteiligten etwas zum Positiven verändert?

Hanjo Allinger: Für mich stünde an oberster Stelle die Stärkung und Verbesserung des europäischen Emissionshandels, um eine wirkungsvolle CO2-Reduktion zu erreichen. Es ist das Werkzeug, das in der Literatur seit Jahrzehnten bekannt ist. Im Prinzip gab es schon 1991 den Nobelpreis dafür, was gezeigt hat, dass der Handel mit Verschmutzungsrechten ­immer zu einem effizienten Ergebnis führt. Wir sehen ­anhand von Statistiken, dass die regulierten Bereiche, also ­jene, die dem Emissionshandel unterworfen sind, mit ­Abstand die größten Beiträge zur Emissionsverringerung ­gebracht haben. Aber nicht nur das: Ein professionell gemachter Emissionshandel wie der europäische führt einfach dazu, dass eine Verringerung des CO2-Ausstoßes immer von denen erbracht wird, die das gerade am kostengünstigsten können. So geht aus meiner Sicht eine arbeitsteilige und gleichzeitig effiziente Reduktion von Emissionen. Das ­Instrument haben wir an der Hand. Und deshalb sollten wir es auch nutzen und einsetzen, statt darauf zu hoffen, über irgendwelche unklaren Wechselwirkungen in anderen Sektoren einen Impact erzielen zu können.

Barbara Wokurka: Mein Wunsch wäre, mit einer repräsentativen Anzahl von Menschen aus der Finanzwirtschaft wie auch aus der Realwirtschaft nach Brüssel zu ziehen, um in einen Austausch mit den dort ansässigen Behörden ein­zutreten. Die Zusammensetzung dieser Gruppe müsste so gestaltet sein, dass darunter möglichst Leute sind, die an den derzeit bereits bestehenden Regularien bisher nicht mit­gearbeitet haben. Und sie müssten sagen dürfen, wie es ­ihnen mit diesen verschiedenen Dingen geht und wie ­zufrieden ober eben nicht zufrieden sie mit dem heute ­erreichten Stand sind und welche Auswirkungen sich nach ihrer Wahrnehmung bereits eingestellt haben. Und sie müssten erklären können, was sich aus ihrer Sicht ändern müsste, damit der eingeschlagene Pfad sinnvoll weiter beschritten werden kann. Dazu gehört dann auch, bestimmte Dinge in einer Art und Weise abzuspecken, damit das ESG-Thema nicht nur akzeptiert wird, sondern mit einer wirklichen Überzeugung seitens der Breite der Menschen auch umgesetzt werden kann. Vielleicht ein wenig zu viel Traum, aber ich fände das durchaus sinnvoll.

Claudia Röring: Ich würde mich für eine Weiterentwicklung der globalen Zusammenarbeit in allen Facetten des ESG-Themas einsetzen, wie das zum Teil auch hier schon angeklungen ist. Das betrifft nicht nur den Aspekt Regulierung, auf keinen Fall zu vernachlässigen wäre dabei auch das ­gesamte Thema Reporting. Gerade in dieser Hinsicht gibt es bereits heute gewisse Schritte in die richtige Richtung. ­Damit meine ich zum Beispiel internationale Accounting- Standards, die zumindest dazu führen könnten, dass Unternehmen im Wesentlichen anhand der gleichen nicht finanziellen Kennzahlen berichten. Das wäre ein Riesenschritt nach vorn, weil damit ein neues Niveau bei Vergleichbarkeit und Standardisierung erreicht werden könnte. Ich würde ­zudem meiner Hoffnung Nachdruck verleihen, dass ein ­bereits angestoßenes Datenprojekt unter dem Stichwort „Single Access Points“ in möglichst absehbarer Zeit auch wirklich zustande kommt und dann auch so viel Inhalt ­mitbringt, dass es von den Marktteilnehmern auch wirklich sinnvoll genutzt werden kann. Und wenn ich noch einen dritten Punkt nennen darf: Konkret auf die Offenlegungsverordnung SFDR bezogen sollte man das Regelwerk so weit wie möglich entschlacken und vor allem die Reportinganforderungen für Asset Manager zumindest ein wenig ­reduzieren.

Kai Röhrl: Mir ist das teilweise schon gefallene Stichwort ­Akzeptanz wichtig. Fortschritte sind dabei nur möglich, wenn Kunden anhand von klaren Kategorien und Kriterien für nachhaltige Fonds rasch erkennen können, um was für ein Investment es sich tatsächlich handelt und welche Ziele damit erreicht werden sollen. Und unter einem Begriff wie Regulierungswut wäre es mit Sicherheit sinnvoll und angebracht, zwischenzeitlich einmal ein wenig die Geschwindigkeit zu reduzieren, eventuell sogar einfach einmal zu pausieren, statt schon wieder mit der nächsten Verordnung um die Ecke zu kommen, wenn ein Großteil der Marktteilnehmer die vorhergehende bereits beschlossene und eingeführte ­Vorschrift noch nicht einmal richtig verarbeitet hat. Wir ­drohen sonst einige Marktteilnehmer und auch Investoren zu verlieren auf einem mit Sicherheit langen Weg, der noch vor uns liegt. Man würde ja auch einem Hund nicht die Wurst so hoch hängen, dass er erst gar nicht mehr zu springen anfängt.

Edda Schröder: Ich glaube, das Beispiel mit dem Hund trifft es sehr gut. Die Regulierung in Europa neigt sehr stark dazu, das Thema ESG aus dem Blickwinkel von Compliance ­anzugehen und zu versuchen, möglichst alle damit verbundenen Facetten bis ins Detail zu regeln. Und mit dem gleichen Eifer auch die nachfolgende Prüfung zu regulieren. Mir fehlt da der Weitblick auf Seiten der Politik, die zudem klarer definieren müsste, in welchen Zeiträumen bestimmte Ziele tatsächlich erreicht werden sollen. Denn das hat Rückwirkungen auf die Fristigkeit unterschiedlicher Investments und Assetklassen. Und am Ende kann es nicht nur darum gehen, lediglich bis zum eigenen Tellerrand zu blicken. Sinnvoll betriebene Nachhaltigkeit darf nicht an nationalen oder regionalen Grenzen aufhören. Denn wir haben es mit globalen Problemen zu tun, und zwar nicht nur den Klima­wandel betreffend, das gilt genauso für das Migrationsproblem oder eine zuletzt wieder gestiegene Ungleichheit in der Welt. Da sind wir wieder beim Bild von der Wandergruppe, bei der keiner zurückgelassen werden sollte, damit alle die gleiche Chance haben, auch wirklich anzukommen.

Wir danken für das Gespräch!

Hans Heuser

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