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2/2024 | Produkte & Strategien

Nicht geklingelt, aber optimiert

Die Risikobudgets sind begrenzt, aber das Potenzial des Aktienmarktes möchte man trotzdem nutzen. Anbieter von Wertsicherungssystemen versprechen, eine ­Optimierung der Asset Allocation bewerkstelligen zu können. Drei Modelle im Vergleich.

Auf dem Papier funktionieren Wertsicherungskonzepte stets hervorragend, in der Realität sieht das aber oft anders aus. Am grundsätzlichen Interesse der Investoren an Lösungen, die attraktive Partizipationsraten mit akzeptablen Risikobegrenzungen kombinieren, ändert das aber nichts.
Auf dem Papier funktionieren Wertsicherungskonzepte stets hervorragend, in der Realität sieht das aber oft anders aus. Am grundsätzlichen Interesse der Investoren an Lösungen, die attraktive Partizipationsraten mit akzeptablen Risikobegrenzungen kombinieren, ändert das aber nichts.© Gajus | stock.adobe.com

Wertsicherungssysteme sind etwas in Verruf geraten. Vor allem die im Retailbereich (Riester-Produkte) eingesetzten CHIP-Modelle schlugen sich enttäuschend. Die Modelle blieben zu lang im Cash-Lock, sodass die Kunden nicht mehr am Aufwärtspotenzial der Aktienmärkte teilnahmen – insbesondere in der Zeit, als Renten- und Cashinvestments aufgrund der Niedrigzinsphase kaum etwas brachten. In anderen Fällen, etwa beim Robo-Advisor Scalable, für den der Mitgründer und Finanzmarktforscher Prof. Stefan Mittnik das Modell lieferte, erklären sich viele Marktteilnehmer das relativ schlechte ­Ergebnis des anfangs hochgelobten Modells damit, dass zur Coronakrise diskretionär in das Modell eingegriffen wurde, sodass man nach der relativ raschen Trendumkehr der Aktienmärkte nach dem Corona-Blitz-Crash im März 2020 nicht schnell genug in die Märkte zurückkehren konnte. Auch hier blieb die Performance deutlich hinter den Erwartungen zurück.

Wunsch nach Risikoreduktion

Am grundsätzlichen Wunsch vieler Investoren nach einer hohen Partizipation an den Märkten mit einer verlässlichen Absicherung für Extremfälle ändern solche Erfahrungen ­allerdings nichts. Auch wenn klar ist, dass hohe Erträge ohne entsprechende Risiken undenkbar sind, hoffen Investoren darauf, beides haben zu können: Ertragschancen und Risikobegrenzung. „Gerade im aktuellen Marktumfeld, in dem die Aktienmärkte lange Zeit gut gelaufen und die Bewertungen relativ hoch sind, suchen Investoren nach einer ­Möglichkeit, das Risiko zu managen“, beobachtet Olaf Krumnack, Senior Relationship Manager bei Warburg ­Invest.

Erwartungshaltung glattziehen

Sein Haus bietet Multi-Asset-Lösungen mit Wertsicherungskomponenten an, und gerade aufgrund der teilweise negativen Erfahrungen mit Wertsicherungssystemen hält es Krumnack für essenziell, im Vorfeld der Investition Erwartungsmanagement zu betreiben: „Die Wertsicherung muss zum Portfolio und zur Risikotragfähigkeit des Investors passen. Wenn ein Kunde nur eine Vola von fünf Prozent aushalten möchte, aber eine Rendite von zehn Prozent per ­annum erwartet, dann nehmen wir das Mandat nicht an.“ Dabei wird die Risikotragfähigkeit bei Pensionsfonds oder Pensionskassen häufig durch die bilanzielle Seite des Unternehmens bestimmt. „Wenn ein Investor mit einer Aktienquote von 60 Prozent bereit und in der Lage ist, Verluste in Höhe von 20 Prozent des Portfolios zu nehmen, dann braucht man keine fünfprozentige Wertuntergrenze einzuziehen. Das ist dann viel zu teuer!“, erklärt er und macht damit deutlich, dass Risikobegrenzung nicht kostenlos ist.

Warburg Invest bietet Multi-Asset-Wertsicherungssysteme, und zwar als Overlay-Strategie für ein bestehendes Portfolio oder auch als Kombination mit dem Management des darunterliegenden Portfolios. „Die Schwierigkeit beim Overlay ist, dass die Hedge-Instrumente einen Tracking Error haben. Daher sind Overlay-Strategien nicht 100-prozentig effizient“, weiß Krumnack. Er meint, dass integrierte Ansätze, bei ­denen der Asset Manager die gesamte Hoheit hat, besser funktionierten.

Damit die Wertsicherungsstrategie zu den Erwartungen und zum vorhandenen Portfolio passt, klärt Krumnack mit seinen Kunden im Vorfeld die folgenden Punkte:

• Wie sieht das Basisportfolio aus?

• Welche Wertuntergrenze und welche Renditeerwartung sind – passend zum Portfolio – realistisch?

• Passt die Wertuntergrenze zur erwarteten Volatilität des Portfolios?

• Handelt es sich bei der Wertuntergrenze um eine harte Untergrenze oder eher um eine grobe Richtschnur?

• Wie soll die Wertuntergrenze jährlich resettet werden? Soll sie bei steigenden Märkten mit nach oben wandern?

Bei der Klärung dieser Fragen werden die Möglichkeiten des Modells und die Erwartungen des Kunden zusammengebracht. „Die Prozesse müssen dazu transparent und nachvollziehbar sein, sodass Investoren ein Gefühl dafür bekommen, was in welcher Marktphase passiert.“

Cash-Lock: Risiko und Dauer

Falls es sich um eine integrierte Lösung handelt, wird das Portfolio über die Zielvolatilität gesteuert. „Wenn das Marktumfeld volatil ist, muss die Portfolioallokation defensiver sein – und umgekehrt“, erklärt Stefan Ewald. Er leitet seit September 2022 bei Warburg Invest in Hamburg das Team Multi Asset Solutions und damit auch die Wertsicherungslösungen. Zuvor war er in ähnlicher Funktion bei Berenberg tätig, die auf der gegenüberliegenden Seite der Alster von seinem jetzigen Arbeitgeber liegt.

„Neben der Klärung, was realistisch ist, sollte man besprechen, wie die Strategie in welchen Marktphasen agiert“, meint Ewald. Schließlich soll der Investor wissen, wie er ­wieder aus der Situation herauskommt, wenn das System ihn in einer Risikosituation komplett in Cash geschickt hat. Dabei hängen risikoreduzierende Eingriffe vom Pfadverlauf des Portfolios ab. „Wenn wir bei einer vereinbarten Wert­untergrenze von zehn Prozent im Februar schon eine Bewegung von minus acht Prozent erlebt haben, dann ist das ­eine extreme Bewegung; darauf wird schneller reagiert als zum Beispiel bei einer Acht-Prozent-Korrektur über das ­gesamte Jahr“, so Ewald. Seine Überlegung dabei ist, dass sich 95 Prozent der Ergebnisse im Intervall von zwei Standardabweichungen befinden. „Wenn schon zum Jahresanfang ein Marktrückgang von acht Prozent stattgefunden hat, ­stehen die Chancen gut, dass es angebracht ist, wieder einzusteigen“, erklärt Ewald. Auf diese Weise wird nur auf ­außergewöhnliche Bewegungen reagiert, und das Portfolio hat die Freiheit, sich dem Marktumfeld anzupassen, was am Ende auch die Transaktionskosten reduziert.

Wie das Modell funktioniert, zeigt er am Beispiel des ­Corona-Crashs: „Unser Modell hat im ersten Quartal 2020 massiv verkauft, sodass wir bis Ende März 2020 komplett in Cash waren. Die Besonderheit bei uns ist, dass wir immer wieder die Chance haben, das Portfolio neu aufzubauen. So hat das Modell im Mai 2020 begonnen, die Sicherungs­quote zu reduzieren, sodass wir in den Markt zurückkehren konnten“, so Ewald.

„Außerdem ist wichtig, dass der Investor versteht, wie das Modell sicherstellt, dass die Wertuntergrenze eingehalten, und das Risikobudget effizient genutzt wird“, sagt Ewald und gibt ein Beispiel: „Wenn ein Investor eine Wertuntergrenze von zehn Prozent einziehen möchte, dann kann das Portfolio eine Volatilität von um die fünf Prozent vertragen. Entsprechend muss die Asset Allocation des Portfolios aussehen.“ Zu überlegen ist dann, ob die Portfolioallokation ­statisch ist oder ob es sich um einen dynamischen Prozess handelt. In einem volatilen Marktumfeld würde der dynamische Prozess zum Beispiel die Aktienquote reduzieren – und umgekehrt, unabhängig davon, ob die übergelagerte Wertsicherungssystematik eingreift.

Wichtig sei bei Wertsicherungssystemen immer, dass der Prozess zum Investor passt. „Letztlich handelt es sich nicht um ein Produkt, sondern um eine Lösung. Diese ist für den Kunden und dessen Investmentstil maßgeschneidert“, meint Ewald. Gleichzeitig warnt er davor, dass das Management oder die Gremien am Ende doch ihrem Bauchgefühl freien Lauf lassen: „Eine Wertsicherung einzukaufen und dann doch händisch einzugreifen ist kontraproduktiv“, meint Ewald. „Wenn man einen guten systematischen Prozess hat, darf kein diskretionärer Eingriff erfolgen, sondern man muss dem Prozess treu bleiben.“

GLOCAP von Vontobel (ehem. Vescore)

Eines der am Markt etablierten Konzepte zur taktischen ­Asset Allocation ist GLOCAP, das bereits im Jahr 1998 von Dr. Peter Oertmann, dem Firmengründer der Quant-Boutique Vescore, entwickelt wurde. Im September 2016 wurde Vescore von der Schweizer Vontobel Gruppe übernommen und agiert nun unter dem Namen Quantitative Investment Boutique auf der internationalen Multi-Boutique-Plattform.

Obwohl von „taktischer Steuerung“ die Rede ist, ist das Modell kein kurzfristiger Trendfolger, sondern greift eher die mittel- und langfristigen Wirtschaftsphasen ab. „Wir wollen mit GLOCAP nicht zu kurzfristig unterwegs sein, um nicht jedem kleinen Trend hinterherzulaufen. Andererseits darf so ein Modell auch nicht zu träge sein, sodass die Allokation zu selten angepasst wird“, stellt Franziska Kirner klar. Sie ­leitet heute Vontobels institutionellen Vertrieb in ­Deutschland und Österreich und hat vor 14 Jahren ihre Diplom­arbeit über Risikofaktoren an den Aktienmärkten von Schwellenländern geschrieben und dabei auch die ­Pro­gnosefähigkeit von GLOCAP in diesen Märkten untersucht. Tendenziell sei GLOCAP für alle Aktienmärkte mit aus­reichender Informationstiefe geeignet, erklärt Kirner. Christoph Loy, der bei Vontobel Quantitative Investments den Bereich Solutions in Deutschland leitet, erklärt, wie er technisch vorgeht. „Unsere Erwartungshaltung an GLOCAP lässt sich anhand der Sharpe Ratio bemessen, also der ­Produktivität des eingesetzten Kapitals. Die Sharpe Ratio sagt, wie viel Überschussrendite ich für eine Einheit ein­gesetztes Risiko erwarten kann. Ein Wert von über 0,5 oder 0,6 ist schon ziemlich gut. Daher erwarten wir von all un­seren Modellen, dass sie eine Sharpe Ratio von mindestens 0,6 aufweisen.“

Vier Informationsträger

Als Eingangsgrößen für sein Modell nutzt er ausschließlich marktgehandelte Informationen wie Zinssätze oder Indexstände. „Ursprünglich wurde das Modell für ein Portfolio ­geschaffen, das aus Aktien und Anleihen besteht. Mittler­weile gibt es aber auch Anwendungsfälle für Aktien vs. Cash oder für eine taktische Long/Short-Allokation für Rohstoffe“, erklärt Kirner. Als Eingangsdaten für die Aktienquotensteuerung dienen die folgenden vier Zustandsvariablen:

• langfristige Konjunkturerwartungen, gemessen über die Steilheit der globalen Zinskurven (Term Spread)

• Liquiditätspräferenzen und systemisches Risiko im ­Bankensystem, gemessen über den TED-Spread

• Vertrauen in Unternehmen, gemessen über den ­Kreditrisiko-Spread

• Fundamentale Bewertung, gemessen über die ­Dividendenrendite

Dieses Set an Zustandsvariablen umfasst je zwei makro- und mikroökonomische Faktoren, die eine Schätzung des Risikoappetits der Marktteilnehmer erlauben. Je nach vorherrschendem ökonomischem Umfeld sind üblicherweise eine oder zwei dieser Variablen ausschlaggebend für die ­Positionierung. So war beispielsweise die Dividendenrendite in den Marktverwerfungen im März 2020 vorübergehend der dominante Informationsträger im Modell. „Diese ­Va­riable ermöglicht es uns, auch antizyklisch rasch wieder in den Markt einzusteigen. Wenn die Kurse stark fallen, dann steigt gleichzeitig die Dividendenrendite, was uns dann recht früh ein Einstiegssignal geben kann“, erklärt Kirner. „Auf ­diese Weise hat uns GLOCAP recht bald nach dem Corona-Crash im März 2020 ein Signal zum Aufbau der Aktienquote gegeben.“

Taktische Asset Allocation (TAA-Modell)

Nachdem das Modell jeden Tag mit den Schlusskursen ­gefüttert wird, wird für jedes Portfolio täglich die optimale Soll-Allokation berechnet, und es findet ein Abgleich zwischen dem bestehenden und dem Soll-Portfolio statt. Ob ­eine Allokationsanpassung im Live-Betrieb erforderlich ist, hängt maßgeblich vom Tracking Error von Soll- zu Ist-Portfolio ab, der kontinuierlich automatisiert und systembasiert berechnet und dem Portfoliomanager zur Verfügung gestellt wird. Die Höhe dieses Tracking-Error-Limits, ab dem eine Allokationsanpassung erforderlich ist, hängt von der genauen Ausgestaltung des Mandats ab.

Die täglich berechneten Modellsignale können sowohl physisch als auch über Derivate in Kundenportfolios um­gesetzt werden. In der Quantitative Investment Boutique ­erfolgt die Umsetzung üblicherweise über Derivate wie börsengehandelte Indexfutures. Das erlaubt zum einen eine sehr effiziente Umsetzung, und zum anderen bringt es den ­zusätzlichen Vorteil mit sich, dass die Modellsignale ebenso im Overlay-Kontext angewendet werden können.

Loy stellt klar, dass es sich bei GLOCAP um ein „konditioniertes Anlagebewertungsmodell“ handelt, also nicht um ein Wertsicherungsmodell, sondern um ein Instrument zur taktischen Asset Allocation (TAA). „Vor diesem Hintergrund setzen wir GLOCAP nur in Kombination mit flankierenden Risikomanagementbausteinen ein, wenn ein Kunde ­eine Wertsicherung benötigt.“

Seine Kollegin Kirner ergänzt: „So hat man eine Modelldiversifikation, denn jeder Baustein hat seine Stärken und Schwächen.“ Ein typisches Aktienmandat mit Wertsicherung würde von Vontobel wie folgt aufgebaut:

1. Aktienquotensteuerung mit GLOCAP innerhalb der mit dem Kunden festgelegten Bandbreiten, Märkte und Währungen

2. Risikomessung anhand des proprietären Vola-Pro­gnosemodells „SDR“ (state-dependent risk measure)

3. Wertsicherung mittels eines Conditional-Expected-Drawdown-Ansatzes

SDR basiert auf einer aus dem Machine Learning entlehnten Methodik und nutzt ökonomisch „ähnliche“ Zeitpunkte in den letzten 35 Jahren, um eine valide Prognose für die Portfoliovolatilität über die nächsten 21 Tage zu ­ermitteln. Hierfür wird für jeden Zeitpunkt errechnet, welche Volatilität die aktuelle Allokation damals realisiert hätte, und ein gewichteter Durchschnitt gebildet. Diese Vorgehensweise erlaubt die Berücksichtigung einer langen Historie, ist gleichzeitig „forward-looking“ und liefert ein Risikomaß, das in normalen Marktphasen ruhig ist und im Fall von Börsenunsicherheiten sehr reagibel anspringt. Es mahnt dann, den Fuß vom Gas zu nehmen.

Der dritte Baustein beinhaltet die kontinuierliche Überwachung des Portfoliorisikos (anhand des Conditional ­Expected Drawdown) und die Analyse, ob das verbleibende Risikobudget aktuell noch ausreichend ist. Falls das Port­foliorisiko im Fall negativer Marktentwicklungen das Risikobudget übersteigt, muss die Allokation entsprechend sukzessive abgebaut werden. Der Vorteil des hier verwendeten Risikomaßes liegt in der besseren Berücksichtigung von Tail-Risiken im Vergleich zu klassischen Value-at Risk-Konzepten. Zusätzlich kann ein Puffer gebildet werden, wenn seit Jahresbeginn positive Renditen erzielt werden. Dieser kann als Wiedereinstiegsbudget genutzt werden und erlaubt es dann, beizeiten in den Markt zurückzukehren. Die Kombination eines prognosebasierten TAA-Modells mit einer intelligenten Risikomessung sowie einer technischen Wertsicherungskomponente – quasi als letzte Verteidigungslinie – ermöglicht ­eine effiziente Verteidigung von Risikobudgets. Ein komplett verbrauchtes Risikobudget führt nämlich immer zu Schwierigkeiten. „Keiner geht gern zum Kunden, um sich neues Budget geben zu lassen“, meint Kirner. Daher sei es gut, mit Puffern zu arbeiten. „Dann kann man die frühen Signale nutzen, um wieder in den Markt zurückzukehren.“

Finreon AG, St. Gallen

Auch der schweizerische Asset Manager Finreon AG bietet mit seiner Tail-Risk-Control-Lösung eine Wertsicherungs­strategie an. „Wir können Signale für globale Aktienport­folios generieren, aber auch für Emerging-Markets-Aktien- oder Anleihenportfolios“, erklärt Dr. Julius Agnesens, der bei Finreon den Bereich Investment Solutions verantwortet und die Wertsicherungsstrategien von Finreon bereits von Beginn an begleitet. Der Finanzmarkt-Think-Tank Finreon ­entstand 2009 als Spin-off der Universität St. Gallen (HSG). Finreon hält immer noch aktiv den Kontakt zur Wissenschaft. So arbeitet Finreon-CEO Dr. Ralf Seiz beispielsweise als Lehrbeauftragter an der Universität St. Gallen, betreut mit weiteren Finreon-Mitarbeitern Projekte von Studierenden oder sponsert mit seinem Unternehmen Preise für die besten Abschlussarbeiten. Viele ehemalige und aktuelle ­Doktoranden arbeiten im Unternehmen. Mit seinen 25 Mitarbeitern betreut der schweizerische Asset Manager aktuell rund sechs Milliarden Euro Kundenvermögen (Assets under Advisory) und ist an den beiden Standorten Zürich und St. Gallen vertreten.

„Bevor wir eine Wertsicherungsstrategie anbieten, gilt es zu verstehen, welche Risiken für den spezifischen Investor einer Absicherung bedürfen. Normale Marktschwankungen von, sagen wir, einer Standardabweichung, können die meisten Investoren im Rahmen eines diversifizierten Portfolios tragen. Aber einen globalen Crash können und wollen die wenigsten aushalten“, weiß Agnesens aus Erfahrung. Das Crash-Risiko ist daher das Risiko, das er vermeiden will. Dass das Modell von Finreon nicht bei jeder kleineren Abwärtsbewegung aus dem Markt rausgeht, bewahrt deren Kunden vor übermäßigem Aktivismus. „Hin und her macht ­Taschen leer. Das betrifft nicht nur die Transaktionskosten, denn vor allem bei kleineren, tragbaren Marktschwankungen gelingt der Ein- und Ausstieg keinem Modell zum perfekten Zeitpunkt und führt so zu unnötigen Renditeeinbußen“, kennt Agnesens die Grenzen quantitativer Modelle.

Es gibt nicht den festen Zeitpunkt

Er erklärt, wie es im Finreon-Modell zu Signalen kommt: „Wir nehmen reine Messungen vor, geben also keine Pro­gnosen ab. Die Messungen erfolgen breit abgestützt auf ­täglicher Basis. Um etwas zu messen, muss der Markt sich schon ein wenig bewegt haben. Dann soll unser Modell reagieren … schnell, aber nicht zu schnell.“ Dabei misst Finreon täglich 30 unterschiedliche Faktoren, die sich allesamt auf die Themenbereiche Risiko und Trend beziehen. Zu Preisbewegungen kommt es schneller als zu einer Änderung von ökonomischen Daten – die sind oft träge. „Im Prinzip ­messen wir, wie hoch die Anspannung am Markt ist. Die Reaktion des Modells erfolgt daher nicht nach einer fixen Zeitspanne oder Renditeeinbuße“, erklärt Agnesens, „es kommt darauf an, wie ruhig oder unruhig das Marktumfeld insgesamt ist.“

Kommt das Modell zu einem klaren Signal, steigt Finreon nicht in einem, sondern in fünf Schritten aus dem Markt aus. „Beim Corona-Crash im März 2020 lagen acht Han­delstage zwischen der ersten Reaktion des Modells bis zum letzten Schritt“, so Agnesens. Die Anzahl der Schritte zum Aus- oder Einstieg kann kundenspezifisch ausgestaltet ­werden, je nachdem ob der Investor schnell oder weniger schnell agieren möchte.

Agnesens weiß, dass Gewissheit auch bei quantitativen Modellen erst ex post herrscht. „Corona ist dafür ein gutes Beispiel. Auch als die Märkte vom tiefsten Punkt aus steil angestiegen sind, gab es ein sehr hohes Crash-Risiko. Hätte Fed-Chef Jerome Powell nur einen Tag länger gewartet, um die Märkte zu stützen, hätte es noch viel weiter runter gehen können.“ Daher ist für ihn die Anspannung im Markt eine so wichtige Einflussgröße.

Es verbleibt noch ein Risikobudget

Die gemessene Anspannung zeigt ihm, ob schnell oder ­weniger schnell auszusteigen ist. „Ein rechtzeitiger Ausstieg ist enorm wichtig. Nur so kann sichergestellt werden, dass noch Risikobudget für den Wiedereinstieg verbleibt. Denn auch wenn der Wiedereinstieg nie am tiefsten Punkt erfolgen wird, bietet die Erholungsphase zumeist attraktive ­Chancen bei tragbaren Risiken.“ Auf diese Weise lässt sich vermeiden, was einigen Riester-Modellen passiert ist: Sie ­ließen die Kunden im Cash-Lock, sodass diese gar nicht mehr in einen Aktienfonds switchen konnten. Aber nicht nur die CPPI-Modelle, sondern auch die gesetzlich vor­geschriebenen Garantien haben Riester-Modelle jeglicher Flexibilität beraubt.

Beim Corona-Crash im März 2020 ist das Modell von Finreon zügig aus dem Markt ausgestiegen und bereits ab Mai 2020 sukzessive wieder eingestiegen. „Durch die konsequente und schnelle Absicherung des Corona-Drawdowns hatten wir das Risikobudget, um von der Erholung zu profitieren. Unser Modell hat dabei nicht nur frühzeitig Signale zum Wiedereinstieg gegeben, sondern vor allem auch in den anschließenden eineinhalb Jahren konsequent die ­maximale Aktienquote gehalten“, erklärt Agnesens. Man ­dürfe den Wiedereinstieg nicht von der Größe des Drawdowns abhängig machen. „Wenn sich die Lage wieder beruhigt, ist es egal, ob der Markt erst bei minus fünf oder bereits bei minus 50 Prozent war. Entscheidend für den Einstieg ist immer das aktuelle Marktumfeld. Auch der Jahreswechsel sollte dabei nur dann eine Rolle spielen, wenn der Kunde explizit ein Risikobudget pro Kalenderjahr hat.“

Nicht eingreifen!

Auch Agnesens betont wie wichtig es ist, systematisch zu bleiben und nicht in die Modelle einzugreifen. „Der Mehrwert eines Modells entsteht häufig dann, wenn es vom Bauchgefühl abweicht.“ Als Beispiel nennt er die Wahl ­Donald Trumps 2016 zum Präsidenten. „Vom Bauchgefühl hielt man damals in Europa die Luft an, aber das Modell hat die Wahl Trumps nicht als großes Risiko gesehen, ­sondern stand auf grün. In solchen Marktphasen wäre es ein Fehler, auf seine Emotionen zu hören und das Modell zu übersteuern“, warnt er.

Das Finreon-Modell gibt es sowohl für die entwickelten Aktienmärkte als auch für die Aktien aus den Emerging Markets, Kreditrisiken oder Zinsrisiken in Euro, US-Dollar oder Schweizer Franken. „Bei uns geht es insbesondere um die globalen Crashrisiken, weniger um Rückgänge in Einzelmärkten“, so Agnesens. Die globalen Entwicklungen seien robuster zu messen als Einzelmarktrisiken. Bewirtschaften kann das Modell entweder ein Overlay-Mandat, ein phy­sisches Basisportfolio oder beides. „Von einer pfannenfertigen Umsetzung als flexibler UCITS-Fondsbaustein für ein- bis zweistellige Millionenbeträge, bis zur maßgeschneiderten Kombination mit einem VaR-Overlay der KVG ist das ­Modell flexibel für jedes Kundenbedürfnis einsetzbar“, sagt Agnesens. Es bleibt abzuwarten, wie die künftigen Markt­risiken aussehen und ob es den Modellen gelingen wird, auch bei unerwarteten Ereignissen rechtzeitig aus- und vor allen Dingen auch wieder einzusteigen.

Anke Dembowski

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