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Ex-Bundesbanker Dombret: "Inflation ist kein abstraktes Lehrbuchthema!"

Wenig verwunderlich, erachtet der Ex-Bundesbanker Professor Dr. Andreas Raymond Dombret die Geopolitik für immer wichtiger. In einem Tour d’Horizon referierte er auf Einladung der CFA Society Germany über die drei "I" - Invasion, Inflation und Interest Rates - und hatte wenige Good News im Gepäck.

Prof. Dr. Dr.h.c. Andreas Raymond Dombret gab am Institutional Money Kongress 2024 einen hochinteressanten Ausblick betreffend Invasion, Inflation und Zinsen.
Prof. Dr. Dr.h.c. Andreas Raymond Dombret gab am Institutional Money Kongress 2024 einen hochinteressanten Ausblick betreffend Invasion, Inflation und Zinsen.© Nikola Haubner für Institutional Money

Mit einigen kantigen Thesen überraschte Professor Dr. Dr. h.c. Andreas Raymond Dombret, dessen beeindruckender Lebenslauf von Susan Spinner, Managing Director der CFA Society Germany, vorgetragen wurde, die institutionelle Zuhörerschaft im Rahmen des Formats "Institutional Money Spezial" ("IM Spezial"). Für Dombret stellt der regional begrenzte Konflikt zwischen der Ukraine und Russland jedenfalls einen solchen mit großen Folgen dar.

Thesen zur Invasion Russlands in der Ukraine
Dombrets erste These lautet: "Russland gewinnt nicht". Es gebe Stillstand, und Russland schaffe keinen Durchbruch. Hatte man zu Anfang in Russland wohl geglaubt, ein paar Tage nach dem Einmarsch in Kiew zu sein, musste man dann erkennen, dass dem doch nicht so war. Seine zweite These besagt, dass - abgesehen von Militärgütern - die Sanktionen nichts bewirken. Und das, obwohl die Sanktionen viel stärker als früher im Fall des Iran ausfielen, als keine Zentralbankguthaben eingefroren wurden. Dies geschah aber im Falle Russlands nicht nur in den USA, wo Russland relativ wenige Dollars geparkt hatte, sondern auch übers Wochenende in Europa, wo viel mehr lag, sodass die russische Zentralbank nicht mehr handeln konnte. Lieferketten würden Umwege nehmen, etwa über China, und es gebe keine Knappheiten in Russland. Die nächste These Dombrets lautet: "Die russische Wirtschaft wächst". Öl-und Gaspreise seien hoch, und die Entwicklung des Rubelkurses gleiche beileibe nicht jener einer typischen Kriegswährung.

Weitere Ansagen
Dass wir vor einer neuen weltwirtschaftlichen Ordnung stehen, ist ein weiteres Postulat, das zu wenig Freude Anlass gibt. Jedoch erwartet Dombret keine Phase der Deglobalisierung, sondern vielmehr ein "Friend-Shoring", also die Verlegung von Auslagerungen strategisch wichtiger Produktion wie etwa Halbleitern in befreundete Staaten. Dombret verweist darauf, dass 85 Prozent der Halbleiter in Taiwan produziert werden. Sogar Republikaner habe nichts gegen Subventionen, um die Produktion kritischer Produkte in die USA zu holen. Des Weiteren erwartet der Ex-Bundesbanker einen Wettbewerb um Energie, Zahlungsverkehr sowie Rüstungsgüter. Auch die Nutzung von Währungen als Waffe - Schlagwort Weaponization" - wird zunehmen.

Drei Gruppen von Staaten
Neben dem Westen, bestehend aus den G7 plus dem Rest der EU, der Schweiz, Südkorea und Australien, die in Summe für 2/3 des Welt-BIP stehen, gibt es die autoritären Systeme mit China und Russland an der Spitze sowie die Neutralen, zu denen Indien, aber auch Indonesien, Brasilien, Argentinien und Saudi Arabien gehören. Indien sei der interessanteste Staat mit einer guten demographischen Entwicklung und einem starken BIP-Wachstum. Die G20 hingegen seien eher ein Debattier-Club geworden, da hier ein permanentes Veto wegen des Russland-Ukraine-Krieges allen Fortschritt lähmen würde.

Ökonomische Plattformen - aber welche?
Die G7 hätten zu einseitige Interessen, daher brauche es etwas Neues: "BRICS +" sei eine solche, da sich der Globale Süden institutionalisieren wolle. Jedenfalls schaffe der regionale militärische Konflikt ein neues System, so Dombret weiter. "Wir müssen von der lange Zeit bestehenden Friedensdividende Abschied nehmen, denn die Pax Americana fällt weg". Er, Dombret, sei froh, nicht mehr als deutsche Delegierter bei den G20-Treffen dabei sein zu müssen. Vieles laufe gegen den Westen, und ein Kontakt-Halten mit Russland gebe es heute nur mehr rudimentär. Es bestehe nun ein neues multipolares ökonomisches System, doch die Frage bleibe, wer nun die Entscheidungen treffen werde.

Eine Lösung muss laut Dombret drei Elemente beinhalten: Erstens könne eine solche nur unter Einschluss der Privatwirtschaft erfolgen, zweitens sei die Energiefrage zu klären, denn durch grüne Energie werde eine Unabhängigkeit nicht zu erreichen sein, und drittens werde der Grundsatz "local for local" (d.i. nahes Beieinanderliegen von Produktions- und Absatzmärkten) gelten müssen. Das führt aber zu steigenden Kosten - und zum nächsten Punkt in Dombrets Vortrag, der Inflation.

Inflation
Dombret gibt zu bedenken, dass schon vor Beginn der russischen Invasion in der Ukraine wohl wegen der Pandemiefolgen über drei Prozent lag. "99,9 Prozent der ökonomischen Modelle zur Prognostizierung der Inflation waren falsch, denn die Zentralbank-Modelle laufen immer wieder auf ihr Zwei-Prozent-Ziel zurück. Inflation ist jedenfalls kein abstraktes Lehrbuchthema, das hat uns die Realität gelehrt." Man müsse bedenken, dass die Inflation auch für soziale Spannungen und ein Aufkeimen des Populismus sorge, so der ehemalige Bundesbanker weiter. Nach den vielen Leitzinserhöhungen sei man nun näher ans Besiegen der Inflation herangerückt. Die EZB erwarte 2025 die Erreichung des Zielwertes, und Christine Lagarde haben einen guten Job gemacht.

Drei gute Nachrichten
Good News ist die Tatsache, dass die Arbeitslosigkeit gering ist - untypisch bei höherer Inflation - , weiters, dass die Insolvenzen nicht stark gestiegen sind, und dass die NPLs (Non-Perfoming Loans) nicht explodiert sind. Dombret: "Zwar war die EZB etwas später beim Beginn ihres Zinserhöhungszyklus - sie hat den Leitzins zehn Mal angehoben mit vier Pausen - aber man kann sagen, die Notenbanken haben alles richtig gemacht!" Und damit sind wir bei Thema "Interest Rates" gelandet.

Zinsen
Eine Forward Guidance, die Vertrauen und Berechenbarkeit schaffe, könne man nun von den Notenbanken nicht erwarten. Jetzt sei datenbeogenes Handeln gefragt, so der Ex-Notenbanker. Bald würden die Zentralbanken zu Quantitative Easing (QE) oder QT (Quantitative Tightening) übergehen.

Außerdem, so Dombret, sei die Geldpolitik im Zinskanal am schnellsten wirksam, denn dort funktioniere sie am granularsten. Der nächste Schritt werde nach unten führen, aber wohl nicht sofort, sondern wohl in der Sitzung am 6. Juni 2024. (Tatsächlich wurde in der April-Sitzung, die nach dem Vortrag stattfand, keine Leitzinssenkung durchgeführt - Anm.d.Red.) Ein Problem sei die Lohn-Preis-Spirale, im Sommer werde man mehr wissen. Auch müsse man an die Folgen eines starken Ölpreises denken, der immerhin von 70 auf 90 US-Dollar je Barrel gestiegen sei.

Hü-Hott-Leitzinsbewegungen: nein, danke
Jedenfalls müsse die EZB unbedingt vermeiden, Fehler à la Trichet 2011 zu wiederholen, der die Leitzinsen erhöhte, die dann postwendend wegen der Euro-Staatschuldenkrise wieder gesenkt werden mussten. Jetzt vorschnell zu senken, um dann den Kurs wenig später wieder zu korrigieren, wär ein Zeichen von Hilflosigkeit. Das Pulver nicht vorzeitig zu verschießen, sei wichtig, so Dombret. Die folgende Bloomberg-Grafik zeigt den kleinen Leitzinsbuckel 2011, der als Irrtum und dessen Korrektur in die EZB-Geschichte eingehen wird:

Wie viele Zinssenkungen 2024 zu erwarten sind
Angesichts eines immer wahrscheinlicher werdenden Soft Landings in den USA und einem Euroraum, der eher in die Stagflation als in eine Rezession gerät, müsse man über die Anzahl der kommenden Zinssenkungen nachdenken. Hatte man vor einigen Monaten noch mit fünf bis sechs Zinssenkungen in den USA und vier bis fünf im Euroraum gerechnet, gehen jetzt die Prognosen in Richtung zwei bis drei für die USA und zwei für den Euroraum. Dombret: "Vergessen wir nicht, es ist ein positives Signal, wenn wir nicht so viele Zinssenkungen benötigen!"

Heftiger Applaus für die für einen (Ex)-Notenbanker klaren Worte stand am Ende des Vortrags. (kb)

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