Institutional Money, Ausgabe 4 | 2023

tation ist die folgende: Unternehmen und Investoren mei- nen, dass höhere ESG-Werte immer besser sein müssen. ESG ist jedoch eine Investition, und jede Investition bringt sin- kende Erträge und/oder steigende Kosten mit sich. Aus finanzieller Sicht sollte ein Unternehmen mit der Investition aufhören, wenn der Nutzen die Kosten nicht mehr über- steigt. „In fast allen anderen Bereichen der Wirtschafts- wissenschaften gibt es Kompromisse, aber einige betrachten ESG als eine magische Waffe, die den Gesetzen der Schwer- kraft trotzt“, sagt Edmans. Darüber hinaus kann das optimale Niveau erstens im Lauf der Zeit und – zweitens – von Firma zu Firma variie- ren. Beginnend mit Ersterem werfen Kritiker einem Unter- nehmen, das in einem Abschwung ESG-Ausgaben kürzt, häufig vor, heuchlerisch zu sein und sich der Sache nicht wirklich verpflichtet zu fühlen. Aber wenn man die Faust- regel „ESG entfernen“ anwendet, ist es völlig legitim – ja sogar geschäftlich sinnvoll –, in einem Abschwung die Aus- gaben zu kürzen, da finanzielle Zwänge die Opportunitäts- kosten des Kapitals erhöhen.Wenn ESG-Projekte nicht ein- geschränkt werden, muss ein Unternehmen unter Umstän- den Mitarbeiter entlassen oder wichtige Forschungs- und Entwicklungsinitiativen kürzen. Tatsächlich stellen Qiping Xu und Taehyun Kim 2022 in „Financial Constraints and Corporate Environmental Policies“ fest, dass Schadstoffemis- sionen von Firmen höher sind, wenn sie finanziell stärker eingeschränkt sind. ImHinblick auf Zweiteres kommen Alex Edmans, Darcy Pu, Chendi Zhang und Lucius Li 2023 in „Employee Satis- faction, Labor Market Flexibility, and Stock Returns around the World“ zu dem Schluss, dass es sich für eine Firma in einem Land mit hoher Regulierung des Arbeitsmarktes kaum mehr lohnt, „Arbeitgeber des Jahres“ zu werden. Denn wenn Gesetze bereits ein bestimmtes Maß an Arbeit- nehmerwohlfahrt garantieren, investieren Unternehmen, die im Vergleich zum Mitbewerb ein hohes Maß an Mitarbei- terzufriedenheit aufweisen,möglicherweise zu viel in diesen Bereich. Edmans: „Während die Steigerung der Mitarbeiter- zufriedenheit oft direkt kostspielig – etwa durch Lohnerhö- hungen – ist, kann es auch bei ESG-Kennzahlen zu sinken- den Erträgen kommen.“ Zudem zeigte sich, dass zu viel Diversität Nachteile zeitigt, weil die Teammitglieder „ver- schiedene Sprachen sprechen“und es ihnen schwerfällt, sich untereinander zu verstehen. 8. Mehr Investorenengagement ist immer besser Auch diese Ansicht teilt Edmans nicht: „Nein, mehr En- gagement ist nicht automatisch besser: Investoren sind nämlich möglicherweise uninformiert oder untergraben die Initiative des Managements.“ Der Annahme, mehr Engagement sei immer besser, widersprechen auch klassi- sche Wirtschaftsmodelle, die zeigen, dass das Engagement der Investoren die Initiative des Managements untergraben kann. Zwei wegweisende Arbeiten von Philippe Aghion und Jean Tirole von 1997 mit dem Titel „Formal and Real Authority in Organizations“ beziehungsweise von Mike Burkart, Denis Gromb und Fausto Panunzi aus dem glei- chen Jahr mit der Bezeichnung „Large Shareholders, Mo- nitoring and the Value of the Firm“weisen nach, dass es für Aktionäre optimal ist, den Managern Spielraum zu geben. Es liegt im Interesse der Aktionäre, sich nicht einzumischen, und dieses Ergebnis gilt für alle unterschiedlichen Ziele. Es kann sein, dass das Ziel des Managers reiner Shareholder Value ist und das Anlegerziel ES umfasst oder dass beide Ziele ES umfassen, jedoch unterschiedliche Dimensionen haben. Unabhängig von der Ursache der Unterschiede gilt das gleiche Ergebnis: Ein stärkeres Engagement der Aktio- näre im Nachhinein schreckt die Initiative des Manage- ments von vornherein ab. 9. Fees an ESG-Performance koppeln Auch hierzu steht Edmans in Opposition: „Investoren glau- ben, sie würden die ESG-Performance verbessern, indem sie für die ESG-Performance bezahlen. Doch nein: Die Zah- lung für einige ESG-Dimensionen führt dazu, dass Unter- nehmen andere Dimensionen untergewichten.“ Die Bin- dung der Remuneration des Topmanagements an bestimm- te ESG-Ziele ist laut PwC einer der am schnellsten wach- senden ESG-Trends. Manche Regulatoren überlegen sogar schon, ob sie eine solche Bindung der Gagen an ESG-Per- 98 N o . 4/2023 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | ESG-Konzepte FOTO: © THATINCHAN | STOCK.ADOBE.COM » Stakeholder wie Arbeitnehmer und Lieferanten werden durch Verträge und gesetzliche Vorschriften geschützt. « Dr. Alex Edmans, Professor an der London Business School (LBS) Nicht im Nachhaltigkeitsdatenkonvolut zu ertrinken und noch den Überblick zu behalten, gestaltet sich alles andere als einfach.

RkJQdWJsaXNoZXIy ODI5NTI=