Institutional Money, Ausgabe 4 | 2023

es unbepreiste externe Effekte gibt, dann ist das Klimarisiko kein Investitionsrisiko – Investoren tragen nicht die Folgen des Klimawandels, weil umweltverschmutzende Unterneh- men nicht für den Schaden aufkommen müssen, den sie verursachen. Tatsächlich stellten Patrick Bolton und Marcin Kacperczyk 2021 in „Do Investors Care about Carbon Risk?“ fest, dass Unternehmen mit höheren CO 2 -Emissionen höhe- re Aktienrenditen erzielen, was im Einklang damit steht, dass sie mit den von ihnen verursachten negativen externen Effekten davonkommen können.Was aber, wenn die Regie- rung endlich Maßnahmen ergreift und eine CO 2 -Steuer ein- führt, sodass Investoren tatsächlich das Klimarisiko tragen? Tatsächlich besteht eine alternative Interpretation der Ergeb- nisse von Bolton und Kacperczyk darin, dass Anleger befürchten, dass eine CO 2 -Steuer weltweit eingeführt werden könnte, und daher emittierende Aktien nur dann gehalten werden, wenn sie eine höhere Rendite erzielen, um dieses Risiko auszugleichen – vorausgesetzt, dass sich dieses Risiko in schlechten Zeiten manifestiert. Wenn ja, ist die Formulierung „Klimarisiko ist Investi- tionsrisiko“ genau genommen richtig, konzediert Edmans. Investoren verwendeten diesen Ausdruck jedoch häufig, um zu rechtfertigen, dass sie nicht in CO 2 -emittierende Aktien investieren. Wenn Anleger jedoch durch das Eingehen von Risiken eine Rendite erzielen, gibt es keinen Verlust an risi- kobereinigten Renditen durch den Besitz von Aktien an „braunen“ Firmen. Die Finance-Lehre zeigt, dass in einem effizienten Markt das Risiko durch eine höhere Rendite ausgeglichen wird und daher eine riskante Aktie genauso gut als Investment ist wie eine „sichere“, sprich nachhaltige. Klimarisiko ist ein mehrdeutiger Begriff, denn es gibt zwei Arten von Klimarisiken: Das erste ist das physische Risiko, das Unternehmen durch einen sich erwärmenden Planeten erfahren. Das zweite ist das Übergangsrisiko, dem ein Unter- nehmen durch den Übergang zu einer CO 2 -armen Wirt- schaft ausgesetzt ist, etwa durch eine CO 2 -Steuer oder den Boykott durch Kunden. CO 2 -Emissionen sind das häufigste Maß für das Klimarisiko. „Es ist jedoch nur ein gültiges Maß für das Übergangsrisiko; es erfasst kein physisches Risiko“, gibt Edmans zu bedenken. Angesichts der begrenzten staat- lichen Maßnahmen gegen den Klimawandel lässt sich tatsächlich argumentieren, dass das physische Risiko für Anleger sogar noch wichtiger ist als das Übergangsrisiko. In diesem Fall sind die CO 2 -Emissionen ein besonders schlech- tes Maß für das Klimarisiko. 6. ESG-Kennzahlen Die sechste These lautet, dass ESG-Kennzahlen eines Unter- nehmens seine Auswirkungen auf die Gesellschaft erfassen. Auch hier widerspricht Edmans wieder und führt das Fol- gende ins Treffen: Investoren, Stakeholder und die Medien fordern, dass Unternehmen immer mehr ESG-Kennzahlen melden, damit sie diese besser bewerten können und (bei ES-Kennzahlen) für ihre gesellschaftlichen Auswirkungen zur Verantwortung ziehen können. Dieser Trend impliziert die Annahme, dass ES-Kennzahlen einer Firma deren exter- ne Effekte erfassen. Allerdings kann ein Unternehmen seine ES-Kennzahlen auf Kosten anderer Unternehmen verbes- sern, was zu einem Null- oder negativen Effekt aggregierte externe Effekte betreffend führt. Beispiel: Die Firma kann etwa die Geschlechtervielfalt erhöhen, indem sie weibliche Mitarbeiter von Mitbewerbern abzieht. Dadurch wird die Geschlechtervertretung in der gesamten Branche nicht er- höht, sondern möglicherweise sogar verringert, da Umstel- lungskosten anfallen. Alternativ kann die Firma ihren öko- logischen Fußabdruck verringern, indem sie umweltschäd- liche Anlagen an Mitbewerber verkauft, die diese weniger effizient betreiben. Edmans konkret: „Ran Duchin, Janet Gao und Qiping Xu hielten 2022 in ,Sustainability or Greenwashing: Evidence from the Asset Market for Indus- trial Pollution‘ fest, dass Industrieunternehmen nach dem Schlagendwerden von Umweltrisiken ihre E-Kennzahlen dadurch verbessern, indem sie umweltschädliche Anlagen veräußern. Unter den neuen Eigentümern nimmt jedoch die Umweltverschmutzung pro Mitarbeiter zu.“ESG-Rating- agenturen seien sich dessen nicht bewusst, nähmen die Emissionszahlen vielleicht für bare Münze und belohnten die Veräußerer mit Rating-Upgrades. Das Problem liegt klar auf der Hand: Die isolierte Untersuchung eines Unterneh- mens ignoriert die Folgewirkungen auf die Gesellschaft als Ganzes. Dies gilt auch für Investoren. Edmans: „Vielen Asset Managern geht es darum, ihre Portfolios zu dekarbonisieren oder sie auf Netto-Null auszurichten, aber die Dekarbonisie- rung ihres Portfolios führt nicht zur Dekarbonisierung der Gesellschaft. Sie können ihre Anteile an einem Energieun- ternehmen nur verkaufen, wenn ein anderer Investor kauft.“ Die Überlegung ist auch für Länder relevant. Das Ver- einigte Königreich hat das rechtlich verbindliche Ziel, bis 2050 Netto-Treibhausgasemissionen von null zu erreichen. Dieses Ziel bezieht sich jedoch auf „territoriale Emissionen“ und nicht auf „Verbrauchsemissionen“, die bei der Herstel- lung von Produkten freigesetzt werden, die von Bürgern des UK konsumiert werden. Edmans: „Eine Fabrik zu schließen und stattdessen im Ausland hergestellte Waren zu importie- ren, würde die territorialen Emissionen reduzieren, nicht je- doch die Verbrauchsemissionen – und tatsächlich die globa- len Emissionen durch den Transport der Waren erhöhen.“ 7. Mehr ESG ist immer besser Auch hier ist Edmans nicht d’accord: „Nein, ESG weist sin- kende Erträge auf, und es gibt Trade-offs.“ Seine Argumen- 96 N o . 4/2023 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | ESG-Konzepte » Aktionäre haben oft Ziele, die deutlich über den reinen Shareholder Value hinausgehen. « Dr. Alex Edmans, Professor an der London Business School (LBS)

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