Institutional Money, Ausgabe 4 | 2023

ben werden, so Edmans weiter, da sie auf den falschen Prin- zipien basiere. Aber das Einmaleins von Finance zeige, dass Shareholder Value ein von Natur aus langfristig angelegtes Konzept sei. Edmans erinnert daran, dass der heutige Wert einer Firma dem Barwert aller zukünftigen Cashflows von heute an bis zum Ende der Firma gleicht. Somit berücksich- tige der Shareholder Value alle Cashflows.Die Maximierung des Shareholder Value würde daher vielen ESG-Projekten wie sauberer Energie, CO 2 -Abscheidung und der Weiterbil- dung der Arbeitskräfte grünes Licht geben. Denn es gilt: Auch wenn die kurzfristigen Cashflows negativ sind: Solan- ge die zukünftigen Cashflows ausreichend positiv sind, stei- gern sie den Net Present Value (NPV). Tatsächlich führt die NPV-Analyse – die Bewertung einer Investition anhand ihrer Auswirkung auf den Shareholder Value – zu weitaus mehr langfristigen Investitionen als die von ihr ersetzten Metho- den wie Amortisationszeit und buchhalterische Rendite, die weit in der Zukunft liegende Cashflows einfach ignorieren. Kurzfristigkeit wird oft dadurch verursacht, dass man sich weniger auf den Shareholder Value konzentriert, denn die Top Executives fokussieren sich oftmals übermäßig auf die Gewinnsituation. Tatsächlich geben manche auch offen zu, den Shareholder Value zu opfern, um kurzfristige Gewinn- ziele zu erreichen, wie John Robert Graham, Campbell R. Harvey und Shivaram Rajgopal 2005 in „The Economic Implications of Corporate Financial Reporting“ festhielten. Die Topführungskräfte würden aufgrund ihres kurzen Horizonts ihre Investitionen kürzen. Umgekehrt wird ein langfristiger Ansatz bei Anlage- entscheidungen oft als „Enlightened Shareholder Value“ bezeichnet. An einem langfristigen Ansatz ist jedoch nichts besonders Aufschlussreiches; kapitalwertpositive Investitio- nen zu tätigen bedeutet lediglich, den Shareholder Value zu maximieren. Anstatt zwischen „Shareholder Value“ und „Enlightened Shareholder Value“ zu unterscheiden, die im Wesentlichen dasselbe sind, ist es klüger, den Unterschied zwischen „Shareholder Value“ und „Unenlightened Share- holder Value“ zu betrachten. Laut Edmans ist jeder Ansatz, der den langfristigen Nutzen von Investitionen nicht berück- sichtigt, als „unenlightened“anzusehen, da er es nicht schafft, den Shareholder Value zu maximieren. 2. Vorrang der Aktionärsinteressen Fast ebenso in Misskredit geraten wie der Shareholder Value ist die immer wieder behauptete „Doktrin des Aktionärs- primats“, die besagt, dass Aktionärsinteressen den Interessen aller anderen Stakeholder überlegen sind. Edmans sind zwar keine wissenschaftlichen Arbeiten bekannt, in denen dies als Doktrin vorgeschlagen würde, doch manifestiert sich dieses Prinzip darin, dass Aktionäre, und zwar nur Aktionäre, bei Wahlen zum Board of Directors und anderen wichtigen Un- ternehmensangelegenheiten ein Stimmrecht besitzen. Selbst wenn der Shareholder Value wirklich langfristig wäre, er- scheint die Vorrangstellung der Aktionäre immer noch pro- blematisch. Während viele Auswirkungen eines Unterneh- mens auf die Gesellschaft letztendlich internalisiert werden und sich auf den Shareholder Value auswirken, ist dies bei anderen nicht der Fall, da es sich um Externalitäten handelt. Wenn dies zutrifft, sollten die treuhänderischen Pflichten des Boards of Directors nicht nur gegenüber den Aktionären be- stehen, und andere Stakeholder, sprich Interessengruppen wie die Arbeitnehmer, sollten das Board wählen. Ignoriert das Management also die Interessen der anderen Stakeholder, wie behauptet wird? Edmans: „Aus zwei Gründen tun sie das nicht. Erstens sind diese Interessengruppen geschützt. Einige sind vertraglich geschützt, etwa Arbeitnehmer, Lieferanten und Kunden. Wenn das Unternehmen seinen Arbeitneh- mern oder Lieferanten zu wenig bezahlt oder seinen Kun- den die versprochenen Waren oder Dienstleistungen nicht liefert, kann es verklagt werden. Andere sind durch Gesetze geschützt, beispielsweise durch Umweltvorschriften.Den Ak- tionären stehen keine vertraglichen Rechte zu. Ihnen wird keine Rendite auf ihr Investment garantiert.Denn Unterneh- men sind nicht verpflichtet, Dividenden auszuschütten.“ Aber Verträge sind nicht vollkommen. In Arbeitsverträgen sind Gehälter festgelegt, jedoch keine Arbeitsbedingungen. Klagen einzuleiten ist teuer: Die Verträge der Stakeholder können verletzt werden, klagen lohnt sich jedoch nicht. Die Regulierung ist unvollkommen: Auch wenn die Main- stream-Ökonomie zeigt, dass eine globale CO 2 -Steuer die wirksamste Lösung für den anthropogenen Klimawandel ist, gibt es sie noch nicht. Edmans weist darauf hin, dass sogar Milton Friedman 1970 in „The Social Responsibility of Business is to Increase its Profits“ anerkannte, dass Unter- nehmen über vertragliche Pflichten hinausgehen und sich an die Grundregeln der Gesellschaft halten sollten, nämlich sowohl an die im Gesetz verankerten als auch die gewohn- heitsrechtlichen, ethisch bedingten. Tatsächlich gibt es soziale Normen wie die pünktliche Bezahlung von Lieferanten und die Bereitstellung von mehr als dem gesetzlichen Mindest- betrag bei Abfindungen. Man könnte argumentieren, dass es nicht ausreicht, sich nur auf soziale Normen zu verlassen, aber dann tauchen Fragen auf, die Diane Denis 2016 in „Corporate Governance and the Goal of the Firm: In De- fense of Shareholder Wealth Maximization“ ansprach: Wer entscheidet, welche Stakeholder geschützt werden sollen? Wie viel Shareholder Value sollte man opfern, um Stakehol- der zu schützen? Wie wägt man die Interessen verschiedener Stakeholder-Gruppen gegeneinander ab? Edmans dazu: „Hier kommt die zweite Überlegung ins Spiel. Den Aktio- 92 N o . 4/2023 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | ESG-Konzepte FOTO: © LONDON BUSINESS SCHOOL » ESG unterscheidet sich nicht von anderen Investitionen mit langfristigen finanziellen und sozialen Erträgen. « Dr. Alex Edmans, Professor an der London Business School (LBS)

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