Institutional Money, Ausgabe 4 | 2023

F ührungskräfte, Investoren, politische Entscheidungs- träger, Medien und Wirtschaftsfakultäten nehmen ESG-Themen ernster als je zuvor. Angesichts des Potenzials von ESG, langfristigen Wert sowohl für Aktionäre als auch für die Gesellschaft zu schaffen, ist diese Aufmerk- samkeit sowohl dringend erforderlich als auch längst über- fällig. Allerdings könne die Begeisterung für ESG – und ins- besondere der Druck, etwas zu ESG zu tun oder zu sagen, um sein Engagement zu demonstrieren – oft dazu führen, dass Aussagen vorschnell getroffen und Handlungen vor- eilig gesetzt werden, anstatt auf einer sorgfältigen Analyse aufzubauen, meint Dr. Alex Edmans, Professor an der London Business School. „Die gesellschaftlichen Probleme sind so dringend, dass es den Anschein hat, als müssten wir sofort handeln, statt mehrere Jahre auf die Durchführung und Begutachtung neuer wissenschaftlicher Forschungen zu warten.“Doch die hohe Dringlichkeit bedeute auch, dass die Gefahr falscher Entscheidungen groß sei, da man nicht auf neueste wissenschaftliche Befunde warten wolle. Nützliche Faustregel ESG ist für Edmans sowohl „extremwichtig als auch nichts Besonderes“ – es unterscheidet sich nicht von anderen immateriellen Vermögenswerten, die langfristigen finanziel- len und sozialen Wert schaffen. In jahrzehntelanger Finanz- forschung wurde untersucht, wie man finanziellen Wert schafft, und in jahrzehntelanger Wirtschaftsforschung wurde analysiert, wie die soziale Wohlfahrt verbessert werden kann. Tatsächlich besteht laut Edmans eine nützliche Faustregel für jedes ESG-Thema darin, die drei Buchstaben „ESG“ zu entfernen und den resultierenden Satz zu bewerten. Beispiel: Sind mehr ESG-Investitionen immer besser? Nein, denn mehr Investitionen sind aufgrund sinkender Renditen nicht immer von Vorteil. Oder: Beeinflussen ESG-Risiken die Kapitalkosten? Nicht unbedingt, denn Risiken wirken sich nicht auf die Kapitalkosten aus, wenn sie idiosynkratisch sind. Und: Ist ESG mit der treuhänderischen Verpflichtung vereinbar? Ja, denn die Berücksichtigung von Risiken steht im Einklang mit der Pflicht eines Treuhänders. „Tatsächlich ist sie ein wesentlicher Teil der Treuhandpflicht“, merkt Edmans an. ESG-Widersprüche Stattdessen hat das Schießen aus der Hüfte zu vielen Be- hauptungen und aktuellen Praktiken geführt, denen durch wegweisende wissenschaftliche Arbeiten widersprochen wird. Edmans dazu: „Das Bauchgefühl hat seinen Wert, kann einen aber nur bedingt weiterbringen. In manchen Fällen sind die Behauptungen und Praktiken, die aus dem Bauchgefühl stammen, auch schlichtweg falsch. Und dann gibt es auch Fälle, bei denen Behauptungen und Praktiken nicht nur der akademischen Forschung, sondern sich auch untereinander widersprechen.“ Laut Edmans sind sie sind ein Beispiel für „ESG Doublethink“, benannt nach dem Der britische Wirtschaftswissenschaftler Alex Edmans untersuchte die zehn gängigen Thesen zu zentralen ESG-Themen und diskutiert sie vor dem Hintergrund konventioneller finanz- und wirtschaftswissenschaftlicher Konzepte. ESG-Thesen auf dem Prüfstand 90 N o . 4/2023 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | ESG-Konzepte FOTO: © LONDON BUSINESS SCHOOL » Erkenntnisse der Mainstream-Ökonomie können und sollten auf ESG angewendet werden. « Dr. Alex Edmans, Professor an der London Business School (LBS)

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