Institutional Money, Ausgabe 4 | 2023

angesichts multipler Krisenherde auch noch die Risikoprä- mien am Markt steigen, was einen möglichen Kursverfall weiter befeuern würde. Es kommt aber noch dicker. Der Notenbanker leitet aus seinen Untersuchungen ab, dass ein Großteil der erzielten Aktienrisikoprämie der letzten 30 Jah- re gewissermaßen auf Glück basierte. Die realisierte Prämie in seiner Stichprobe betrug von 1989 bis 2019 ganze 7,2 Prozent pro Jahr. Das war das Doppelte dessen, was 1962 bis 1989 erzielt wurde. Doch trotz ihrer Höhe war diese Prämie – das ist hier entscheidend – keine Entschädigung für das Tragen von Risiken, wie man es eigentlich vermuten würde. Tatsächlich war die Volatilität von 1989 bis 2019 geringer als von 1962 bis 1989. Stattdessen lässt sich die Differenz wie schon beschrieben durch den Rückgang von Zinsen und Steuern erklären. Diese Entwicklung war im Jahr 1989 aber keineswegs vorhersehbar und damit nicht eingepreist. In- zwischen sind diese „glücklichen Entwicklungen“ an ihrem Ende angelangt. Es könnte nun also umgekehrt zu „un- glücklichen Entwicklungen“kommen, um bei der Analogie zu bleiben, also zu steigenden Zinsen und Steuern. Ähnlich wie die später positive Entwicklung 1989 nicht eingepreist war, ist es momentan mit einer potenziell negativen Verän- derung dieser wichtigen Rahmenbedingungen. Das wäre dann wohl das pessimistische Szenario. Doch es gibt auch mögliche, wenngleich vergleichsweise unwahrscheinliche Lichtblicke. Ein solcher könnte künst- liche Intelligenz sein, sollte sich dies nicht als Hype entpup- pen. Wie Minje Kwun in einer Analyse für den US-Vermö- gensverwalter Verdad schreibt, könnte das EBIT durch stär- kere Automatisierung und damit eingesparte Arbeitskosten stärker als früher steigen, also mehr als die veranschlagten zwei Prozent.Das könnte zumindest einen Teil der beschrie- benen Effekte kompensieren. Zudem könnte ein Delevera- ging der Firmen als Reaktion auf die höheren Zinsen deren Verschuldung reduzieren, was dann wiederum die Aktien- bewertungen stützen dürfte.Das Fazit der Verdad-Analyse ist aber trotzdem verhalten: Anleger sollten für die Zukunft keine hohe Wachstumsraten erwarten beziehungsweise nicht über hohe Aktienkurse implizit dafür bezahlen, da sich die letzten 30 Jahre wohl nicht wiederholen lassen. Die Analyse von Smolyansky sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Sie offenbart, dass sich die US- Märkte über drei Jahrzehnte unter anhaltend unterstützen- den Trends bei Zinsen, Steuern und Bewertungen entwickelt haben – und vor allem, dass diese Entwicklungen sehr wahr- scheinlich an ihrem Ende angelangt sind. Die Hoffnung, dass in der Analyse wesentliche positive Argumente über- sehen wurden, scheint gering. Die Zinsen und Steuern müssten schließlich noch weiter sinken, um das Wachstum der Unternehmensgewinne mechanisch anzukurbeln, wie es von 1989 bis 2019 der Fall war. Im besten Fall kann das niedrige Niveau auf lange Sicht weitgehend beibehalten werden. Realistisch betrachtet dürften aber bereits gegen- läufige Entwicklungen begonnen haben, die an den Märk- ten noch nicht im Konsens als dauerhaft erwartet werden. Smolyansky weist darauf hin, dass langfristig niedrige US- Aktienrenditen auch erhebliche Auswirkungen auf Haushal- te, Unternehmen, Renten- und Pensionsfonds sowie auf die US- und Weltwirtschaft im Allgemeinen haben. Bringt man all das auf den Punkt, heißt es für die nächsten Jahre amUS- Aktienmarkt wahrscheinlich: „Anschnallen“. DR. MARKO GRÄNITZ Klare Diskrepanz Annualisierte reale Wachstumsraten: Nettogewinn und EBIT je Aktie vs. US BIP 1962–1989 1989–2019 Nettogewinn 2,0 % 3,8 % EBIT 2,4 % 2,2 % US-BIP 3,6 % 2,5 % Von 1989 bis 2019 wuchs der reale Nettogewinn der Nichtfinanzfirmen im S&P 500 fast doppelt so schnell wie von 1962 bis 1989. Und das obwohl das reale EBIT-Wachstum in diesem Zeitraum sogar etwas geringer war als zuvor. Die Diskrepanz ist der Studie zufolge auf den Rückgang der Zins- und Steuerlast seit 1989 zurückzuführen. In beiden Zeiträumen lag das EBIT-Wachstum zudem unter dem BIP-Wachstum. Das dürfte wohl auch künftig der Fall sein. Quelle: Smolyansky, M. (2023), End of an Era: The Coming Long-Run Slowdown in Corporate Profit Growth and Stock Returns, S. 10 Zinsen und Steuern entscheidend Beiträge zum Wachstum des Nettogewinns 1962–1989 1989–2019 EBIT 120 % 58 % Zinsen -53 % 19 % Steuern 33 % 22 % Von 1989 bis 2019 machte der EBIT-Anstieg nur 58 Prozent des gesamten Gewinnwachs- tums aus, der Rest war zu etwa gleichen Teilen auf niedrigere Zinsen und Steuern zurückzuführen. Für den Zeitraum von 1962 bis 1989 ergibt sich ein ganz anderes Bild: Das EBIT-Wachstum war für 120 Prozent des gesamten Gewinnwachstums ver- antwortlich, aber die Kombination hoher Zinsen und hoher Verschuldung machte einen großen Teil davon zunichte. Die Steuern fielen ab den frühen 1980er-Jahren und lieferten schon damals einen insgesamt positiven Beitrag. Quelle: Smolyansky, M. (2023), End of an Era: The Coming Long-Run Slowdown in Corporate Profit Growth and Stock Returns, S. 10 Zusätzlicher Bewertungseffekt Beiträge zur Performance des Aktienmarktes 1962–1989 1989–2019 KGV -26 % 33 % EBIT 151 % 39 % Zinsen -67 % 13 % Steuern 42 % 15 % Im Zeitraum von 1989 bis 2019 war der Anstieg der Bewertungen für ein Drittel der Kursgewinne von Nichtfinanzunternehmen im S&P 500 verantwortlich. Der Studie zufolge ist das allein durch den Rückgang der risikofreien Zinsen zu erklären. Im Zeit- raum von 1962 bis 1989 war es umgekehrt: Fallende Bewertungen im Zuge steigender Zinsen verringerten die Renditen am Aktienmarkt um ein Viertel. Quelle: Smolyansky, M. (2023), End of an Era: The Coming Long-Run Slowdown in Corporate Profit Growth and Stock Returns, S. 10 82 N o . 4/2023 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | US-Aktien

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