Institutional Money, Ausgabe 4 | 2023

Zentralbank in ihrer theoretischen wie auch praktischen Arbeit konzentrieren sollte. Aber ich räume natürlich ein, dass die US-Notenbank durchaus ein doppeltes Mandat hat. Ich denke allerdings, dass sie dieses doppelte Mandat in den letzten Jahren auf unglückliche Weise wahrgenommen hat. Nicht zuletzt deshalb, weil es in meinen Augen nicht wirk- lich etwas gibt, was eine Zentralbank unternehmen kann, um das Niveau der Arbeitslosigkeit langfristig zu beeinflus- sen. Denn das hängt vor allem von drei Faktoren ab: von der Struktur des Arbeitsmarktes und der Leistungen für Arbeitslose sowie von der Art der Beschäftigungsmöglich- keiten, die es gibt. Die Fed kann daher die Struktur des Arbeitsmarktes nicht ohne Weiteres verändern oder beein- flussen. Sie kann lediglich dafür sorgen, dass in der Wirt- schaft insgesamt ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage besteht. Und wenn sie das tut, dann wird die Arbeitslosigkeit in der Nähe dessen liegen, was wir als nor- male oder natürliche Arbeitslosenquote ansehen. Das sehen einige Ökonomen aber anders, wenn sie behaupten, das Anheben der Zinssätze könne durchaus eine Rezession aus- lösen und damit indirekt Einfluss auf den Arbeitsmarkt nehmen. Lord Mervyn King: Das würde ich auch gar nicht in Zweifel ziehen. Wenn die Geldpolitik nicht richtig agiert, wenn sie Fehler macht, dann kann die Arbeitslosigkeit in der Kon- sequenz durchaus entweder zu hoch oder zu niedrig sein. Und solche Fehler müssen natürlich korrigiert werden, damit sich das möglichst gar nicht erst in der Entwicklung der Preise von Waren und Dienstleistungen niederschlägt. Was uns aber im Grunde nur zurückführt zu dem Aspekt, dass die Hauptaufgabe einer Zentralbank darin besteht, für Preisstabilität zu sorgen. Wenn es gelingt, Preisstabilität durch ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage in der Wirtschaft als Ganzes zu erreichen, dann wird auch die Arbeitslosigkeit ausgeglichen sein, und Löhne und Preise werden mit einer Rate steigen, die mit dem Inflationsziel von zwei Prozent korrespondiert. Wobei unter Ökonomen ja durchaus darüber diskutiert wird, ob das Zwei-Prozent-Ziel nach wie vor das richtige ist oder ob man es nicht eventuell auf drei Prozent anheben sollte. Davon scheinen Sie nicht viel zu halten, oder? Lord Mervyn King: Ich würde es auf keinen Fall verändern. Zumal aktuell der denkbar ungünstigste Moment für eine solche Veränderung wäre.Denn das würde geradezu wie die Kapitulation vor der Tatsache wirken, dass die Inflation über dem Zielwert liegt. Das wäre das falsche Signal und wider- spricht eigentlich jeder Theorie. Denn das Ziel unter den aktuellen Umständen zu ändern, wäre ein bisschen so, als würde man sagen: Eigentlich wollen wir die Preisstabilität gar nicht erreichen. Ich bin allerdings von einem überzeugt: Wenn die Zentralbanken ihre Aufgabe, die Inflation zu kon- trollieren, wirklich ernst nehmen, können sie das auf lange Sicht auch schaffen. Man sollte dabei nicht den Fehler be- gehen, das Zwei-Prozent-Ziel als präzises Steuerungsinstru- ment zu betrachten. Das Inflationsziel sollte aber auch nicht zu einer Art „Moving Target“ verkommen – ein Fehler, den die amerikanische Notenbank begangen hat. Was meinen Sie konkret? Lord Mervyn King: Die Federal Reserve ist im Jahr 2020 dazu übergegangen, ihren geldpolitischen Handlungsrahmen auf eine durchschnittliche Inflationssteuerung umzustellen. Doch die Absurdität dieses Vorhabens zeigte sich fast sofort, als die Zinsen, anstatt von zwei auf drei Prozent zu gehen und dann wieder auf zwei Prozent zurückzukehren, von zwei auf fast zehn Prozent gestiegen sind. Die Geldpolitik war sozusagen außer Kontrolle. Aus meiner Sicht ein wei- terer Grund dafür, das Zwei-Prozent-Ziel nicht anzutasten. Damit können alle Marktteilnehmer einen sinnvollen Ori- entierungspunkt behalten, anhand dessen die Notenbanken einerseits ihre Politik erklären können, an dem sie sich aber andererseits auch messen lassen müssen. Wir danken für das Gespräch! HANS HEUSER 48 N o . 4/2023 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | Lord Mervyn King | House of Lords FOTO: © TOM BIRTCHNELL » Man sollte nicht den Fehler begehen, das Zwei-Prozent-Ziel als präzises Steuerungsinstrument zu betrachten. Es sollte aber auch nicht zu einer Art ›Moving Target‹ verkommen. « Lord Mervyn King, House of Lords

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