Institutional Money, Ausgabe 4 | 2023

scheidungsträger nicht vollständig verstehen, wie die Wirt- schaft und die Wirtschaftspolitik tatsächlich funktionieren. Einer der größten Fehler war meiner Ansicht nach das Fest- halten am sogenannten Quantitative Easing, während die Pandemie bereits im Gange war. Als Covid zugeschlagen hat, war die Fähigkeit der Wirtschaft zur Produktion von Waren und zur Bereitstellung von Dienstleistungen enorm reduziert. Es ist doch eigentlich nicht schwer zu begreifen, was zu tun ist, wenn man die wirtschaftliche Aktivität durch Lockdowns dermaßen herunterfahren muss, um die Aus- breitung der Pandemie einzudämmen und zu verhindern. Das Schlimmste aber, was man in einer solchen Situation unternehmen kann, ist jedenfalls, die Nachfrage sogar noch anzuheizen. Aber genau das ist in Europa und den USA und nicht zuletzt auch in Großbritannien durch massives Drucken von Geld geschehen.Wobei einer der grundlegen- den Leitsätze makroökonomischer Politik, wonach es gilt, ein gewisses Gleichgewicht zwischen der Gesamtnachfrage und demGesamtangebot innerhalb der Wirtschaft aufrecht- zuerhalten, eine ziemlich grundlegende Erkenntnis ist, die jeder Student in seinem ersten Jahr an der Uni versteht. Umso erstaunlicher ist aber doch, dass gerade Zentralbanken und Regierungen offenbar regelrecht versagt haben, das zu verstehen. Lord Mervyn King: Was meiner Ansicht nach nur den Schluss zulässt, dass beide sich überhaupt nicht über die Konsequen- zen einer solchen Steigerung der Geldmenge durch die quantitative Lockerung im Klaren waren. Heute versteht jeder, was es bedeutet, wenn die von Unternehmen und Privathaushalten gehaltene Geldmenge um so enorm große Beträge erhöht wird, denn wir sind gerade unfreiwilliger Zeuge der Auswirkungen: Dann kommt es zu einer Infla- tionsentwicklung, wie wir sie in den vergangenen zwei Jah- ren erlebt haben. Insbesondere dann, wenn man gleichzeitig die Angebotsseite der Wirtschaft schrumpfen lässt. Aber sind Sie fündig geworden auf der Suche nach den tatsächli- chen Gründen, warum es so weit kommen konnte? Lord Mervyn King: Ich bin auch heute noch davon überzeugt, dass die Zentralbanken – in erster Linie aufgrund eines aka- demischen Konsenses, den ich für falsch halte – nach wie vor der Auffassung sind, Geld spiele imGrunde keine Rolle. Es war ein schwerwiegendes Versäumnis, nicht anzuerken- nen, dass Geld eine Rolle spielt, als die Inflation enorm ge- stiegen ist. Und es könnte in den kommenden Jahren ein genauso schwerwiegendes Versäumnis sein, diese Auffassung beizubehalten, wenn die Geldmenge in der Wirtschaft wie- der schrumpft. Mit erscheint es jedenfalls sehr seltsam, dass man sich in Politik und Notenbanken offenbar nicht die Frage stellt, warum die Geldmenge so schnell angestiegen ist, wie das in den Jahren 2020 und 2021 der Fall war, und warum sie jetzt schrumpft. Und warum man gleichzeitig offenbar nicht danach fragt, welche Auswirkungen das in Zukunft haben könnte. Das bestärkt mich nur in der Auf- fassung, besser gesagt der Sorge, dass diese großen makro- ökonomischen Fragen nicht richtig verstanden werden. Übrigens nicht der einzige Grund, der Anlass zur Sorge gibt. Was noch? Lord Mervyn King: Der zweite Grund für meine Besorgnis ist, dass in allen großen westlichen Volkswirtschaften die Regie- rungen die Staatsverschuldung deutlich erhöht haben, was nicht ohne Folgen bleiben wird. Es gibt nur noch sehr wenig Spielraum für Ausgaben, die viele Menschen gern er- leben würden, sei es zur Verbesserung unseres Gesundheits- wesens, zur Vorbereitung auf eine erneute Pandemie, um die Wirtschaft umweltfreundlicher zu gestalten oder die Infra- struktur zu verbessern. All das wird sehr viel schwieriger zu erreichen sein, wenn Regierungen einfach nicht das Geld dafür haben, um die notwendigen Investitionen zu finanzie- ren. Und ironischerweise befindet sich das Land, das immer an der Spitze der G7-Staaten stand, die Vereinigten Staaten, wahrscheinlich in der schlechtesten Position von allen – weil es mit der Aussicht auf Haushaltsdefizite von wahrscheinlich 40 N o . 4/2023 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | Lord Mervyn King | House of Lords FOTO: © TOM BIRTCHNELL » Ich bin auch heute noch davon überzeugt, dass die Zentralbanken – in erster Linie aufgrund eines akademi- schen Konsenses, den ich für falsch halte – nach wie vor der Auffassung sind, Geld spiele im Grunde keine Rolle. « Lord Mervyn King, House of Lords Ein falscher akade- mischer Konsens mit dem Potenzial für schwerwiegende Versäumnisse in der Zukunft.

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