Institutional Money, Ausgabe 4 | 2023

D as stetige Wachstum der amerikanischen Staatsver- schuldung relativ zur Wirtschaftsleistung ist ange- sichts der enormen Bedeutung von US-Anleihen schon seit vielen Jahren ein Thema, das langfristig agierende Anleger beschäftigt. In jüngerer Zeit hat es allerdings eine Brisanz erreicht, die die Frage aufwirft, wie lang das noch so weitergehen kann. Die Ratingagentur Moody’s senkte den Ausblick für US-Schuldtitel Anfang November von „stabil“ auf „negativ“. Finanzministerin Janet Yellen erklärte zwar umgehend, dass sie mit dieser Einschätzung nicht einver- standen sei, gab aber selbst zu, dass weitere Anstiege der Zinsen am langen Ende zum Problem werden könnten. Aber wie groß ist das Problem wirklich? Seit fast 20 Jahren werden die Zehnjahresprojektionen des Congressional Budget Office (CBO) für den Anstieg der Staatsschulden laufend von der Realität über den Haufen geworfen. 2007 ging die 1974 eingerichtete Behörde zur Unterstützung und Beratung des US-Kongresses in Haus- haltsfragen noch davon aus, dass sich das Volumen der von der Öffentlichkeit gehaltenen US-Staatsschulden binnen zehn Jahren von rund 35 auf etwa 20 Prozent der Wirt- schaftsleistung reduzieren würde. Tatsächlich lag der Wert 2017 dann bei mehr als 77,5 Prozent, und man erwartete auch keine Senkung mehr binnen Zehnjahresfrist, sondern ein Anwachsen auf etwa 89 Prozent. Leider lag der tatsäch- liche Wert schon 2021 bei mehr als 100 Prozent. In einer in diesem Jahr vorgelegten Prognose geht das CBO davon aus, dass der von Investoren gehaltene Anteil des Schuldenbergs in zehn Jahren bei 119 Prozent liegen wird. Dazu schreibt man: „Über das kommende Jahrzehnt hinaus sind die Haus- haltsaussichten für die Vereinigten Staaten schwierig. In den langfristigen Projektionen des CBO nehmen die Haushalts- defizite im Verhältnis zum BIP zu, da das Wachstum der Ausgaben, das weitgehend durch steigende Zinskosten und höhere Ausgaben für Medicare bedingt ist, das Wachstum der Einnahmen übersteigt. Diese steigenden Defizite wür- den die Bundesverschuldung in den nächsten drei Jahrzehn- ten erheblich erhöhen. Im Jahr 2053 wird die Verschuldung den Projektionen zufolge 195 Prozent des BIP erreichen … und würde sogar noch weiter ansteigen.“ Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Mitte des Jahres veröffentlichte Analyse der Wharton School der Uni- versität von Pennsylvania. Die Wirtschaftsforscher gelangen darin zum Schluss, dass die USA mit der gegenwärtigen Politik für Korrekturmaßnahmen etwa 20 Jahre Zeit haben. Danach ließe sich auch mit Steuererhöhungen oder Ausga- benkürzungen ein expliziter oder impliziter (gemeint ist in- flationstreibendes Gelddrucken) Zahlungsausfall des Staates nicht mehr verhindern. Im Gegensatz zu technischen Zah- lungsausfällen, bei denen Zahlungen lediglich aufgeschoben werden, wäre dieser Ausfall viel größer und würde sich auf die gesamte amerikanische und weltweite Wirtschaft auswir- ken.Diese 20 Jahre seien allerdings nur in einem „Best-Case- Szenario“ denkbar, wobei man schon unterstelle, dass die Marktteilnehmer davon ausgehen, dass rechtzeitig fiskalische Korrekturmaßnahmen erfolgen. Sollte dies nicht der Fall sein, mache die Schuldendynamik das Zeitfenster für Kor- rekturmaßnahmen noch kleiner. Die Aussichten sind also ungünstig, Grund zur Panik besteht allerdings noch nicht, die Zeiten, in denen T-Bonds als unbedenklicher „sicherer Hafen“ betrachtet werden können, liegen aber hinter uns. Wir wünschen Ihnen trotzdem einen angenehmen Jahreswech- sel und würden uns freuen, Sie am Institutional Money Kongress 2024 persönlich begrüßen zu dürfen. Gerhard Führing und Mamdouh El-Morsi Gerhard Führing Mamdouh El-Morsi Gehen die USA pleite? BRIEF DER HERAUSGEBER 4 N o . 4/2023 | institutional-money.com

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