Institutional Money, Ausgabe 4 | 2023

die Robustheit der Ergebnisse mithilfe alternativer Portfolio- spezifikationen, indem man die Resultate zum Beispiel im Hinblick auf die unterschiedliche Anzahl von Scores bei den ESG-Rating-Anbietern kontrolliert. Das Team testet auch verschiedene Gewichtungsschemata (rangbasiert bezie- hungsweise optimiert) und unterschiedliche CO 2 -Emissions- bereiche (Scope 1 bis Scope 3). So kann man das Ergebnis einer starken grünen Verwässerung bei Mischansätzen und des Fehlens einer solchen bei Screening-Ansätzen über diese verschiedenen Spezifikationen hinweg bestätigen. Insgesamt liefert Scientific Beta klare Belege gegen die quan- titative Vermischung von ESG- und CO 2 -Scores in Gewich- tungsschemata für Aktienportfolios, die für grüne Anleger mit hohen CO 2 -Kosten verbunden ist. Umgekehrt liefert man auch starke Hinweise für den ausschließenden Ansatz bei ESG-Zielen, um mehreren nichtfinanziellen und unab- hängigen Zielen bestmöglich Rechnung zu tragen. Für institutionelle Investoren bedeutet dies, bei den immer beliebter werdenden Nachhaltigkeitsmandaten mit Fokus auf CO 2 -Einsparungen genau die tatsächlich angewandten Methoden zu prüfen, speziell wenn damit auch noch ande- re Ziele verfolgt werden sollen. Score-Kombinationen über mehrere Ziele haben wohl ausgedient, so diese nicht hoch korreliert sind. DR. KURT BECKER Kombination von ESG-Scores und CO 2 -Intensität als theoretisches Neuland Kapitalmarktforscher nahmen sich des Themas bislang noch kaum an. S tattdessen lag ein Hauptaugenmerk der Lite- ratur auf der Beziehung zwischen ESG-Merk- malen oder Klimamerkmalen und erwarteten Aktienrenditen. Harrison Hong und Marcin T. Kacperczyk stellen 2009 beispielsweise in „The Price of Sin: The Effects of Social Norms on Markets“, veröffentlicht im Journal of Financial Economics, die Hypothese auf, dass Aktien, die aufgrund gesellschaftlicher Normen gemieden werden (Sin Stocks oder Sündenaktien), höhere erwartete Renditen aufweisen sollten, und fin- den empirische Unterstützung für diese Hypo- these, selbst nach Berücksichtigung standard- mäßiger Aktienfaktoren. Lubor Pastor, Robert F. Stambaugh und Lucian A. Taylor zeigen 2021 in „Dissecting Green Returns“ theoretisch, dass Aktien, die ESG-Präferenzen und Klima-Hedging- Bedenken erfüllen, mit niedrigeren erwarteten Renditen verbunden sind. Patrick Bolton und Marcin Kacperczyk stellen im gleichen Jahr in „Do Investors Care about Carbon Risk?“ fest, dass absolute CO 2 -Emissionen mit einer positi- ven Prämie im US-Aktien-Querschnitt verbunden sind, dass diese Prämie jedoch verschwindet, wenn die CO 2 -Emissionen durch Einnahmen nor- malisiert werden. Mehr oder weniger Rendite Eine andere Untersuchung, die sich auf grüne Portfolios konzentriert, ist zum Beispiel die Publikation „Hedging Climate Risk“ von Mats Andersson, Patrick Bolton und Frédéric Samama von 2016. Das Forschertrio zeigt, dass Investoren Aktienportfolios mit einer Reduzierung der CO 2 - Intensität um 50 Prozent aufbauen können, ohne dass ein Tracking Error gegenüber kapita- lisierungsgewichteten europäischen Aktienindi- zes auftritt. Zu nennen ist hier auch „Climate Change Concerns and the Performance of Green versus Brown Stocks“ von David Ardia, Keven Bluteau, Kris Boudt und Koen Inghelbrecht aus dem Jahr 2021. Sie gelangen zur Erkenntnis, dass grüne Überrenditen (Excess Returns) von unerwarteten Veränderungen der Klimabeden- ken seitens der Investoren abhängig sind, und Lubor Pastor, Robert F. Stambaugh und Lucian A. Taylor halten 2022 fest, dass Bedenken bezüglich der Klimarisiken die positiven Renditen eines „Grün minus Braun“-Faktors im Zeitraum von 2012 bis 2020 erklären. Der Tsunami-bedingte Reaktorunfall von Fukushima im Jahr 2011 könn- te hierfür ein (Co-)Auslöser gewesen sein. Andere Beiträge der Kapitalmarktwissenschaft konzentrieren sich auf die Quelle von ESG-Ren- diten und stellen ein erhebliches Exposure zu traditionellen Aktienfaktoren fest. In „How Many Active Funds Should You Hold?“ berichten An- drew Ang, Ananth Madhavan und Jason Ribando, dass ESG-Investmentfonds einen Qualitäts- und Momentum-Bias aufweisen. In „ESG in Factors“ legen Ying Chan, Ked Hogan, Katharina Schwai- ger und Andrew Ang 2020 dar, dass man das Faktorengagement in globalen Aktien bewahren und gleichzeitig ESG- und CO 2 -Intensitätsbe- schränkungen umsetzen kann. Giovanni Bruno, Mikheil Esakia und Felix Goltz belegen in „Honey, I Shrunk the ESG Alpha: Risk-Adjusting ESG Port- folio Returns“, dass die berichtete ESG-Outper- formance möglicherweise auf Stilfaktoren und Änderungen beim ESG-Geschmack der Investo- ren zurückzuführen ist. Dazu kommt, dass ver- schiedene Metastudien der letzten Jahre aufzei- gen, dass die Belege betreffend den Zusammen- hang zwischen ESG-Kriterien und Renditen ins- gesamt gemischt sind. Ratingkonfusion Ein weiterer Bereich der ESG-Forschung hat die Beziehung zwischen ESG-Ratings verschiedener Anbieter untersucht. In dieser Literatur wurden Divergenzen bei ESG-Ratings dokumentiert und deren Folgen für Investoren sowohl aus der Risi- ko-Rendite- als auch aus ESG-Perspektive ana- lysiert. So zeigen beispielsweise Florian Berg, Julian F. Kölbel und Roberto Rigobon in „Aggre- gate Confusion: The Divergence of ESG Ratings“, dass es bei verschiedenen Anbietern für ähnli- che ESG-Themen starke Divergenzen bei den Be- wertungen gibt, und mehrere Studien kommen zum Ergebnis, dass unterschiedliche Bewertun- gen den Konnex mit den Renditen verschleiern. Die vorliegende Arbeit von Scientific Beta steht im Zusammenhang mit dem Paper von Noël Amenc, Felix Goltz und Victor Liu mit dem Titel „Doing Good or Feeling Good? Detecting Green- washing in Climate Investing“ aus dem Vorjahr, das sowohl reine Klimastrategien als auch Stra- tegien untersucht, die Klima- und ESG-Ziele kom- binieren. Dieses frühere Papier analysiert jedoch nicht die Auswirkungen der Vermischung dieser Dimensionen im Detail, identifiziert nicht die Treiber der Unterschiede zwischen reinen CO 2 - und CO 2 - und ESG-Mischstrategien und wertet keine detaillierteren Daten als aggregierte ESG- Bewertungen aus. Trade-offs Diese Arbeit befasst sich stattdessen mit der Be- ziehung zwischen verschiedenen nachhaltigen Anlagedimensionen: Klima und ESG. Die Wissen- schaftler von Scientific Beta untersuchen das Verhältnis von Klimakriterien und anderen ESG- Themen und analysieren die daraus erwachsen- den Trade-offs. Dabei verwenden sie ESG-Daten bestimmter ESG-Themen auf granularer Ebene und bewerten, wie kompatibel verschiedene Themen mit den Klimazielen sind. 118 N o . 4/2023 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | ESG

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